„Brandmauer“ hielt nicht immer: AfD-Kooperationen in den Kommunen

Der Unionsfraktionschef und CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz hat die Kooperation mit der AfD auch auf kommunaler Ebene kategorisch ausgeschlossen. In der Vergangenheit klappte das trotz des Unvereinbarkeitsbeschlusses nicht immer – nicht nur bei der CDU.
«Es ist eben gerade nicht so, dass morgen die Welt untergeht: Friedrich Merz.
Archivbild: CDU-Chef Friedrich Merz stellt unmissverständlich klar: Auch in Kommunen darf es keine Zusammenarbeit seiner Parteimitglieder mit der AfD mehr geben.Foto: Jens Büttner/dpa
Von 25. Juli 2023

Im politischen Deutschland gibt es seit dem Wochenende eine Riesenaufregung um die Frage, ob die Merzsche „Brandmauer gegen die AfD“ auch in der Kommunalpolitik gelten sollte oder nicht. Die jüngste Klarstellung des „Team Merz“ auf Twitter stammt vom Abend des 24. Juli 2023:

Ich lasse mich von niemandem in der Klarheit überbieten, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht in Frage kommt. Das habe ich gestern und heute gesagt. Das werde ich in Zukunft sagen. Und dabei bleibt es auch.“

Am Morgen desselben Tages hatte Merz persönlich seine Aussage aus dem ZDF-„Sommerinterview“ vom 23. Juli auf Twitter erweitert:

Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der @CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der #CDU mit der AfD geben. (FM)“ (Hervorhebung: Epoch Times)

Der Haken an der Sache: Die Realität hat Merz‘ als Befehl getarnten Wunsch längst überholt. Und auch die schwurähnlichen Beteuerungen anderer Bundestagsparteien, die sich öffentlich entschieden, von Vertretern der „Alternative für Deutschland“ zu distanzieren.

Wie unter anderem der „Nordkurier“ berichtet, haben in der Vergangenheit „neben der CDU auch Grüne, Linke, SPD und FDP mit der AfD zusammengearbeitet“. Diverse Medien belegen die Aussage mit einer Reihe von Beispielen.

Thüringen 2020: Merkel lässt demokratische Wahl widerrechtlich rückgängig machen

Als eines der ersten und wohl denkwürdigsten Ereignisse im Kampf zwischen CDU und AfD dürfte die Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten von Thüringen am 5. Februar 2020 einer breiten Öffentlichkeit noch im Gedächtnis sein. Damals stimmten die „bürgerlichen“ Fraktionen von FDP, CDU und AfD für einen neuen Regierungschef, um eine weitere Amtszeit von Bodo Ramelow (Linke) zu verhindern.

Doch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), gerade in Südafrika unterwegs, schickte sofort eine Botschaft, dass die Wahl ein „einzigartiger Vorgang“ und „unverzeihlich“ sei. Daher müsse die Wahl „rückgängig gemacht“ werden (Video auf „ZDF.de“).

Kemmerich beugte sich dem Druck und trat wenige Tage später zurück. Am 4. März 2020 ging dann alles über die Bühne wie von Merkel und großen Teilen der AfD-Konkurrenzparteien erwünscht: Bodo Ramelow gewann und ist seitdem Regierungschef in Thüringen. Da er sich nicht an sein Versprechen hielt, den Souverän vor Ablauf der Legislatur zum Urnengang zu rufen, ist er noch heute im Amt. Die Bürger Thüringens werden erst wieder im Herbst 2024 gefragt, nach Informationen des MDR womöglich am 1. September.

Das Bundesverfassungsgericht entschied zwar im Juni 2022, dass Merkels Einschreiten die Rechte der AfD verletzt hatte, doch das änderte nichts mehr. Merkel wurde nicht bestraft. (Video auf „Youtube.de“).

Konnte man im Fall Kemmerich noch argumentieren, dass das gemeinsame Abstimmungsverhalten von CDU, FDP und AfD letztlich nicht zum Tragen gekommen war, sieht es auf Kommunalebene anders aus. Selbst der „Tagesspiegel“ räumt ein, dass es „unabhängig von den jüngsten Äußerungen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz […] bereits jetzt genug Beispiele [gibt], dass auf kommunaler Ebene mit der AfD abgestimmt, eine Fraktions- oder Zählgemeinschaften gegründet wurde oder auch ‚nur‘ eine Absprache stattgefunden hat“. Einige Beispiele:

CDU-Kräfte stimmten nicht nur im Landtag mit der AfD

Ende September 2019 gaben CDU-Vertreter im Kreistag von Bautzen (Sachsen) ihre Stimme an den AfD-Vertreter Frank Hannawald, der damit zum zweiten stellvertretenden Landrat gewählt wurde.

Mitte Dezember 2022 unterstützte ebenfalls der CDU-Kreisverband Bautzen um ihren Landrat Udo Witschas auch einen Antrag der AfD, ausreisepflichtigen Flüchtlingen das Leistungsspektrum deutlich zu kürzen.

Eine beinahe „ungeteilte Zustimmung“ aller Fraktionen im Stadtrat von Magdeburg gab es laut „ZEIT“ im Oktober 2020, als AfD-Politiker sich für ein „Pilotprojekt für Kita-Schwimmkurse“ einsetzten.

Im Dezember 2020 wurde nach Recherchen der „ZEIT“ ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen von CDU, AfD und „Unabhängigen Bürgern“ im Kreis Dahme-Spreewald (Brandenburg) auf den Weg gebracht, um „eine Montessori-Grundschule aus Königs Wusterhausen nach Bestensee zu holen“. Der Antrag wurde mehrheitlich angenommen.

Wie das Nachrichtenportal „ntv.de“ berichtet, stimmte Ende März 2021 die CDU im sächsischen Plauen zusammen mit der AfD und sogar mit Vertretern der Rechtsaußen-Partei „Dritter Weg“ gegen einen 8.000-Euro-Zuschuss für das „Bündnis für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage“.

Mitte April 2021 war die „Brandmauer“ zwischen CDU und AfD im Görlitzer Stadtrat gefallen: Mit den Stimmen der Grünen und einer „Stadtbewegung“ namens „Motor Görlitz“ beschlossen sie gemeinsam, über drei Millionen Euro bereit zustellen, um den Bau einer neuen Oberschule in der sächsischen Stadt voranzubringen.

Doch nicht nur in den Kommunen rauften sich Christdemokraten und Alternative gegen den offiziellen Parteitagsbeschluss pragmatisch zusammen: Im Thüringer Landtag brachte die CDU im November 2022 ihren Antrag durch, dass Landesbehörden nicht die „gendergerechte Sprache“ nutzen sollten. Ohne die Stimmen der AfD-Fraktion wäre das Ansinnen gescheitert.

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Auch SPD, Grüne und Linke zuweilen kooperativ

In der thüringischen Kleinstadt Hildburghausen verbündeten sich erst Ende Februar 2023 die SPD-Stadträte um Fraktionschef Ralf Bumann mit der AfD-Fraktion, Vertretern der „Wählergemeinschaften Feuerwehr und Pro HBN“ und dem „Bündnis Zukunft Hildburghausen“, um den linken Bürgermeister Tilo Kummer aus dem Amt zu wählen (Video auf „MDR.de“). Es gelang.

Schon im September 2019 hatte der „parteilose Grünen-Gemeinderat Uwe Börner aus der Gemeinde Gohrisch (Sächsische Schweiz) […] mit zwei Gemeinderäten von CDU und AfD eine Fraktion gebildet“, berichtete der „Tagesspiegel“.

2020 hatte ein grüner Gemeinderat in Waren an der Müritz (Mecklenburg-Vorpommern) trotz aller sonstigen Differenzen einem Antrag der AfD zugestimmt, bei dem es um „ein Gutachten zu Forstwirtschaft und Naturschutz“ gegangen sei. Auch SPD und Linke hätten „im Finanzausschuss des Stadtparlaments einen Antrag der AfD-Fraktion zur Nutzung des städtischen Waldes unterstützt“, berichtet „ntv.de“.

Im September 2020 entschieden sich die Grünen im Stuttgarter Landtag nach Angaben der „Frankfurter Rundschau“, gemeinsam mit den CDU- und AfD-Abgeordneten gegen einen Antrag der SPD zu stimmen, bei dem es um die Duldung „gut integrierter Asylsuchender“ ging.

Kurz nach einer eigenen Wahl zum Ministerpräsidenten von Thüringen gab Bodo Ramelow (Linke) im März 2020 einem AfD-Mann seine Stimme – nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung“ wegen der „parlamentarische[n] Teilhabe, die jeder Fraktion zugebilligt werden muss“.

Nach Informationen des „Tagesspiegel“ schloss sich 2020 der Fraktionschef der Linken in Forst (Lausitz/Brandenburg) mit der AfD-Ratsfraktion und dem „Bündnis für Forst“ zusammen, damit ein Jugendclub in einen Neubau ziehen konnte.

Bereits 2014, kurz nach Gründung der AfD, hatte nach „Tagesspiegel“-Angaben in der Gemeinde Muldestausee (Sachsen-Anhalt) eine gemeinsame Fraktion der AfD mit zwei parteilosen Ratsmitgliedern existiert, „die über die Liste der Linkspartei in das Gremium eingezogen waren“.

Mehreren Medienberichten zufolge ließe sich die Liste solcher Kooperationen in den Ortsräten, Stadtparlamenten oder Landkreisen dutzendfach fortführen. Zuweilen folgten Rügen oder Parteiausschlussverfahren gegen die verantwortlichen Kräfte unter den Parteimitgliedern, die sich nicht an die Unvereinbarkeitsbeschlüsse ihrer Parteispitzen gehalten hatten. Manche waren erfolgreich, andere nicht. Manche Bündnisse bestehen weiter, andere nicht.

Chronik einer Parteichef-Ansage

Um bei der Union zu bleiben: Fakt ist, dass CDU-Parteichef Friedrich Merz im Januar 2022 nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden auf „FAZ.net“ gesagt hatte:

Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.“

Während seiner Grundsatzrede auf dem „Kleinen Parteitag“ vom 16. Juni 2023 ging Merz noch einmal auf das Thema „Brandmauer“ ein – beziehungsweise „präzisierte“ seine Ansage, wie er sich im ZDF-„Sommerinterview“ (Video auf „ZDF.de“) ausdrückte, mit den Worten:

Es wird für uns, weder im Europaparlament, noch im Deutschen Bundestag, noch in irgendeinem Landtag in Deutschland eine Zusammenarbeit mit dieser Partei geben. Es wird sie nicht geben!“ (Video auf „Tagesschau.de“)

Die kommunalpolitische Ebene kommt in beiden Zitaten nicht vor. Dem half Merz in aller Deutlichkeit erst am Morgen des 24. Juli per Twitter-Botschaft ab. Noch einmal:

Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der #CDU mit der AfD geben.“

Teile der CDU-Basis schon länger unzufrieden mit „Brandmauer“

Dass es schon aus pragmatischen Gründen erneute Verstöße gegen Merz‘ Ansage geben wird, scheint zumindest denkbar, wenn nicht wahrscheinlich: Wie das ZDF in einem Einspieler zum „Sommerinterview“ zeigte, hatte etwa die CDU-Landrätin Martina Schweinsburg Merz‘ „Brandmauer“-Begriff gegenüber dem ZDF als „von Anfang an bescheuert“ und als „Blödsinn“ kritisiert.

Auch Michael Brychcy, langjähriger CDU-Bürgermeister in Waltershausen, betonte, dass er und seine Parteikollegen dafür gewählt worden seien, um „miteinander zu reden“. Werner Henning, der CDU-Landrat im Eichsfeld, erklärte, er habe mit AfD-Vertretern in seinem Kreis zusammenzuarbeiten: „Brandmauer auf unserer Ebene geht überhaupt nicht“. Ähnlich äußerte sich auch der praxiserfahrene Nordhäuser Landrat Matthias Jendricke gegenüber „Bild“:

Alle Fraktionen stimmen regelmäßig mit der AfD. Es wird nicht geschaut, von wem welche Hand hochgeht. Kommunalpolitik war noch nie so, dass Parteiinteressen höher als Regionalinteressen (Schulsanierung, Straßenbau, Radwege) gewichtet werden.“

Ob Merz nun Parteiausschlussverfahren gegen all jene CDU-Kommunalpolitiker einleiten wird, die womöglich noch einmal gegen sein kategorisches Brandmauer-Gebot verstoßen, bleibt abzuwarten.



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