Brandenburg vor Koalitionsverhandlungen – Sachsen und Thüringen noch lange nicht so weit
Bringt die Woche vor der US-Wahl den Durchbruch für neue Regierungsbündnisse in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg? Zumindest in Brandenburg erscheint die Situation weniger schwierig als in den beiden anderen Bundesländern, obwohl die Unterhändler drei Wochen weniger Zeit hatten als die Spitzenpolitiker in Sachsen oder Thüringen.
In Potsdam scheint es alles auf eine Koalition aus der stärksten Partei SPD (32 von 88 Sitzen) und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW, 14 Sitze) hinauszulaufen. Dietmar Woidke (SPD), der geschäftsführend amtierende Ministerpräsident und BSW-Landeschef Robert Crumbach, ein Ex-Sozialdemokrat, hatten sich laut „Focus“ Ende September erstmals zu Sondierungsgesprächen getroffen.
Landesparteivorstände sollen grünes Licht geben
Am Vormittag des 28. Oktober 2024 bestätigten Woidke und Crumbach während einer kurzfristig anberaumten Landespressekonferenz, in Koalitionsgespräche eintreten zu wollen. Es wäre das erste rot-rote Bündnis mit BSW-Beteiligung in der Bundesrepublik. Nach Informationen des „Focus“ hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bereits zuversichtlich über ein mögliches rot-rotes Bündnis in Brandenburg gezeigt.
Andere Optionen als ein SPD-BSW-Bündnis existieren im Vier-Parteien-Parlament Brandenburgs ohnehin nicht, denn die CDU Brandenburg gewann am 22. September nur zwölf Sitze. Die Alternative Rot-schwarz würde also lediglich 44 Sitze und damit ein Patt im Plenum bedeuten. Und mit der zweitstärksten Partei AfD (30 Sitze) will in Brandenburg wie überall sonst auch keine Partei koalieren. Der AfD Landesverband wurde vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft.
Man werde sich ab dem späten Nachmittag mit den jeweiligen Landesparteispitzen treffen und sie bitten, der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zuzustimmen, erklärten Woidke und Crumbach. Dafür und auch danach erwarteten beide „herausfordernde Prozesse“ und „intensive Gespräche“. Eine Zwischenstufe sei jedoch erreicht, die bisherigen Gespräche seien „sehr gut“ verlaufen, das Vertrauen gewachsen. „Nun schauen wir demütig auf die Sitzung des Landesvorstands“, bekräftigte Crumbach.
„Wir stehen auf einer besseren Basis, als ich es noch vor vier Wochen für möglich gehalten hätte“, ergänzte Woidke. Was man gemeinsam ins Sondierungspapier („Brandenburg voranbringen – Bewährtes sichern, Neues schaffen“) geschrieben habe, sei zwar „nicht 100 Prozent SPD, nicht 100 Prozent BSW“,
aber wir haben nicht nach Wegen gesucht, wie es nicht geht, sondern wie wir mit dem Wählerauftrag einen Weg finden, Brandenburg auch weiterhin sicher und stabil zu führen. Die richtige Herausforderung kommt mit den Koalitionsverhandlungen.“ (Video auf YouTube)
Entscheidung spätestens am Dienstagmorgen, neue Regierung womöglich noch 2024
Crumbach erklärte, er gehe davon aus, dass der BSW-Landesvorstand am Abend eine positive Entscheidung pro Koalitionsverhandlungen geben werde. Spätestens am Dienstagmorgen werde darüber Klarheit herrschen. Auf die Frage, ob auch Sahra Wagenknecht persönlich teilnehmen oder zugeschaltet werden würde, antwortete Crumbach: „Wir haben immer vertrauensvoll und eng mit dem Bundesvorstand zusammengearbeitet, das werden wir auch heute Abend tun.“
Falls die Landesparteispitzen grünes Licht gäben, sollten die Koalitionsgespräche in der kommenden Woche beginnen, erklärte Brandenburgs SPD-Vize Katrin Lange.
Laut Brandenburger Landesverfassung habe man nach der konstituierenden Sitzung des Landtags bis zur Wahl eines Ministerpräsidenten drei Monate Zeit, also maximal bis zum 16. Januar 2024. Crumbach verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass es so lange nicht dauern werde. Die Unterhändler hätten sich zwar einen „ambitionierten Zeitplan“ gegeben, bis zur Landtagssitzung am 11. Dezember werde es wahrscheinlich aber nicht klappen. Genauere Termine stünden bisher nicht fest.
Ukraine-Krieg: Beiderseitiges Bemühen um mehr Diplomatie
Befragt nach einem Passus zu Frieden und Abrüstung, erklärte Woidke, dass „wir alles dafür tun wollen, dass der Krieg bald endet“. Die Bundesregierung solle sich seiner Meinung nach stärker um Diplomatie bemühen.
Crumbach gab zu bedenken, dass Verteidigungs- und Außenpolitik nicht Teil des Alltags einer Landesregierung seien: „Das Arrow-3-System ist hinzunehmen, wir können es sowieso nicht verhindern.“ Von einem Passus, der sich im Sinne des BSW ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert hätte, hatte sich Woidke nach „Focus“-Informationen nicht überzeugen lassen. Die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden, so heißt es nun im Sondierungspapier, sehe man vor diesem Hintergrund „kritisch“. Der Krieg werde zudem „nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden können“.
Crumbach betonte, dass die Existenz der Bundeswehr vom BSW nie infrage gestellt worden sei. Die Verteidigungsbereitschaft Deutschlands müsse aus seiner Sicht durchaus gestärkt werden. Militärische Stärke müsse aber stets mit diplomatischer Klugheit verbunden sein. Man wolle sich nun gemeinsam dafür einsetzen, „dass der Bundestag sich mit diesen Fragen beschäftigt und das auch mal richtig diskutiert“. Im Sondierungspapier findet sich dazu folgende Passage:
„Wir stimmen darin überein, dass für Frieden und Sicherheit die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes von großer Bedeutung ist. Deswegen stehen wir zur Bundeswehr und ihren Brandenburger Standorten.“
Die SPD und das BSW hätten in der Friedensfrage, speziell mit Blick auf die Ukraine, durchaus unterschiedliche Vorstellungen. „Das ist einfach so“, meinte Crumbach. Unter Verweis auf das Wahlergebnis räumte der BSW-Landeschef allerdings ein, dass es manchmal auch notwendig sei, „Verantwortung für das Land zu übernehmen“.
Im Papier heißt es unter anderem, man sei übereingekommen, sich „im Sinne der Charta der Vereinten Nationen und des Budapester Memorandums“ auf Bundesebene und auf Ebene der Europäischen Union dafür einsetzen zu wollen, „eine diplomatische Lösung des Ukrainekonflikts und den Abbau der damit verbundenen Spannungen innerhalb Europas durch Verhandlungen mit den Konfliktparteien mit dem Ziel von Waffenstillstand und dauerhaftem Frieden voranzutreiben“.
Corona-Politik: Enquete-Kommission statt erneuter U-Ausschuss
Was die Corona-Aufarbeitung anbelange, habe man sich auf die Einrichtung einer Enquete-Kommission verständigt. Diese wolle man beauftragen, auch Vorschläge zu einem Corona-Amnestiegesetz erarbeiten.
Nicht entlastet werden sollten nach den Worten Crumbachs solche Straftäter, die etwa bei der Abrechnung von Corona-Beihilfen betrogen hätten. Man denke eher an Bußgeldzahler, die beispielsweise für das Sitzen auf Parkbänken belangt worden seien. In der vergangenen Legislatur hatte Brandenburg auf Betreiben der AfD-Fraktion den ersten U-Ausschuss Deutschlands einrichten lassen.
Laut „Bild“ war trotz eines Stillschweigeabkommens bereits im Vorfeld durchgesickert, dass die Unterhändler sich auf mehr Polizei, mehr Engagement für den ländlichen Raum, weniger Migration, weniger Bürokratie und ein Smartphone-Verbot an Grundschulen verständigt hätten. Es sei zudem vereinbart worden, Anträge der AfD oder der CDU grundsätzlich nicht zu unterstützen.
Sachsen: SPD verärgert über BSW-Zustimmung zu AfD-Antrag
In Dresden sollen die bereits angelaufenen Koalitionsgespräche für Sachsen zwischen der CDU (41 von 120 Sitzen), dem BSW (15 Sitze) und der SPD (zehn Sitze) am Montag fortgesetzt werden.
Die Verhandlungen um ein künftiges schwarz-rot-rotes „Brombeerbündnis“ waren am Freitag auf Betreiben der SPD-Sondierungsgruppe um Landesparteichef Henning Homann unterbrochen worden, nachdem die BSW-Fraktion einen Antrag der AfD (40 Sitze) auf einen Corona-Untersuchungsausschuss im Landtag unterstützt hatte. Homann hatte die gemeinsame Abstimmung im mdr als „Schulterschluss“ und „eine schwere Belastung für die Sondierungsgespräche“ kritisiert.
BSW-Landeschefin Sabine Zimmermann zeigte im Gespräch mit dem „Tagesspiegel“ wenig Verständnis dafür: „Das Theater, was die SPD aufführt, ist für mich nicht hinnehmbar und politisch unverantwortlich. Ich fordere die SPD auf, zu dem bisher seriös verlaufenen Verhandlungsprozess zurückzukehren.“ Immerhin, so Zimmermann, halte es sich um ein „nicht verhandelbares“ und „zentrales Wahlversprechen“ des BSW, die Corona-Zeit per Untersuchungsausschuss aufarbeiten zu lassen. Die SPD in Sachsen müsse „sich endlich entscheiden, was sie wirklich will“, so Zimmermann.
Thüringen: Wagenknecht beharrt auf Wahlversprechen
Während in Brandenburg Rot-rot vorweg marschiert und Sachsen zumindest wieder nach einem Konsens von Schwarz-rot-rot suchen will, sieht es im Erfurter Landtag derzeit nicht nach einer schnellen Einigung für eine neue Regierung aus.
Angedacht war auch dort eine Koalition aus CDU (23 von 88 Sitzen), BSW (15 Sitze) und SPD (sechs Sitze). Eine Koalition könnte ohnehin nur auf stabile 44 Sitze im Parlament bauen – nicht genug für eine Mehrheit. Eine Thüringer „Brombeere“ wäre jeweils mindestens auf eine Stimme aus den Reihen der Linken oder der AfD angewiesen, um Gesetze durchdrücken zu können.
Stein des Anstoßes ist auch in Erfurt das Beharren von BSW-Bundeschefin Sahra Wagenknecht auf einem klaren Bekenntnis in einem Koalitionsvertrag zu einer pazifistisch geprägten Außen- und Sicherheitspolitik. Die Unterhändler um Tilo Kummer (BSW), Andreas Bühl (CDU) und Katharina Schenk (SPD) hatten sich bei der Präsentation ihres Sondierungspapiers am 18. Oktober zwar auf eine erste Formulierung geeinigt, doch das hatte Wagenknecht offensichtlich nicht genügt.
Nach Angaben des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ habe Wagenknecht auch einen weiteren, „sehr mühsam errungenen Kompromiss“ vom vergangenen Freitagmorgen abgelehnt, der sowohl von den CDU- als auch von den SPD-Parteispitzen Thüringens akzeptiert worden war. Wagenknechts eigener Alternativvorschlag sei wiederum bei CDU und SPD auf taube Ohren gestoßen.
Letztlich habe man sich auf eine Bedenkzeit bis zum heutigen Montag geeinigt. Es sieht allerdings nicht danach aus, als ob Wagenknecht von ihrer Linie abrücken würde. Dem „Stern“ sagte sie:
Viele Menschen setzen große Hoffnungen in unsere neue Partei, wir sind daher fulminant gestartet. Alle, die sich im BSW engagieren, haben die verdammte Verantwortung, diese Erwartungen nicht zu enttäuschen.“
Kompromissbereitschaft dürfe aus ihrer Sicht „kein Vorwand sein, um für eine Regierungsbeteiligung fast alles über Bord zu werfen, wofür man gewählt wurde“. Ihre Wähler hätten das BSW schließlich nicht beauftragt, „ein Weiter-so zu ermöglichen“, meinte Wagenknecht. Die Verantwortung für ein mögliches Scheitern einer CDU/BSW/SPD-Koalition liege bei den anderen:
Wir sind CDU und SPD bei der Präambel zum Thema Frieden weit entgegengekommen. Wenn sie daran jetzt eine Koalition scheitern lassen, zeigt das, dass sie uns und die Anliegen vieler Wähler nicht ernst nehmen.“
CDU und SPD in Thüringen ratlos
Thüringens CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt hatte am Sonntag gegenüber der der „Thüringer Allgemeinen“ (Bezahlschranke) erklärt, dass es „offenkundig Einmischungen“ der Wahl-Saarländerin Wagenknecht zur Streitfrage eines Bekenntnisses um Friedensbemühungen für die Ukraine gegeben habe.
„Wir sind uns zwar einig, den berechtigten Sorgen der Menschen beim Thema Frieden Rechnung zu tragen“, so Voigt, „aber es gibt sehr unterschiedliche Grundüberzeugungen und Perspektiven“. Voigt habe empfohlen, sich doch lieber gemeinsam „auf unsere Arbeit und Aufgaben hier im Land“ zu konzentrieren.
Der Thüringer SPD-Landeschef und geschäftsführende Innenminister Georg Maier hatte im „Berlin Playbook Podcast“ des Onlinemagazins „Politico“ ähnlich argumentiert: Verglichen mit den „wirklich wichtigen Problemen des Landes“ sei die Außen- und Friedenspolitik aus seiner Sicht „nachgeordnet“.
Zu seinem Bedauern aber habe „das BSW und namentlich Frau Wagenknecht […] hier ein Stoppzeichen gesetzt“. Sie habe darauf bestanden, dass die offene Frage „zuerst geklärt werden“ müsse.
Er selbst wisse nicht, ob ein Bündnis aus CDU, SPD und BSW überhaupt noch zustande kommen könne, so Maier laut „Politico“-Podcast. An ihm solle solch eine Koalition aber nicht scheitern: „Wir arbeiten hart daran, dass sie kommt, oder beziehungsweise, dass wir in Thüringen eine Landesregierung bekommen, die handlungsfähig ist. Das Land braucht das dringend“, so Maier gegenüber „Politico“.
Ganz gleich aber, ob „Plan A“ scheitere und man womöglich noch andere Szenarien „in Betracht ziehen“ müsse, stehe für ihn eins fest: Die AfD müsse daran gehindert werden, „weiter an Macht“ zu gewinnen oder „Einfluss auf Macht“ zu haben. „Das ist unser gemeinsames Gebot“, stellte Maier klar.
Landkreistagspräsident gegen Bündnisse mit BSW-Beteiligung
Auch aus dem übrigen Bundesgebiet mehren sich allmählich kritische Stimmen zu den schwierigen Verhandlungsrunden. Die Geduld mit dem BSW ist bei Achim Brötel (CDU), Präsident des Deutschen Landkreistages und Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises, inzwischen offenbar aufgebraucht.
„Ich persönlich stehe für eine klare Abgrenzung, die nicht nur die AfD betrifft, sondern auch die Reste der Linken und Wagenknechts BSW“, erklärte Brötel den Zeitungen der „FUNKE Mediengruppe“. „Eine demokratische Grundeinstellung kann ich bei diesen Kräften nicht erkennen. Eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit kommt für mich persönlich deshalb hier nicht infrage.“
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