Beiträge steigen, Rentenniveau bleibt: So soll das „Rentenpaket II“ aussehen

Einzahler in die gesetzliche Rentenversicherung müssen sich nach dem Willen der Ampel ab 2028 auf höhere Beiträge einstellen. Zur Stabilisierung will Finanzminister Lindner einen „Generationenkapital“-Fonds einführen, der hauptsächlich über Schulden gespeist werden soll.
Finanzminister Christian Lindner (l) und Arbeitsminister Hubertus Heil stellen ihr Renten-Reformpaket in Berlin vor.
Finanzminister Christian Lindner (l.) und Arbeitsminister Hubertus Heil stellen ihr Renten-Reformpaket in Berlin vor.Foto: Michael Kappeler/dpa
Von 5. März 2024

Seit Jahrzehnten herrscht im „Generationenvertrag“ zwischen Rentenbeitragszahlern und -empfängern eine Schieflage: Die monatlich von den Arbeitnehmern zu erwirtschaftenden Beiträgen inklusive „Arbeitgeberanteil“ reichen nicht aus, um die Ansprüche der Ruheständler und die Kosten sogenannter „nicht beitragsgedeckter Leistungen“ aufzufangen.

Nun will die Ampelregierung in Gestalt von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das Rentensystem zumindest langfristig wieder fit machen. Am 5. März 2024 stellten die beiden in Berlin den Referentenentwurf zu ihrem „Rentenpaket II“ offiziell vor. Die aktuellen Regelungen zum Renteneintrittsalter wurden für die Reform vorerst nicht angetastet, wohl aber die Beitragshöhe für die gesetzliche Rentenversicherung (RV).

Steigende Beitragssätze für stabiles Leistungsniveau – Lindner will nichts versprechen

Wie der „Focus“ berichtet, soll der seit 2018 konstante RV-Beitragssatz von 18,6 Prozent des Bruttolohns ab 2028 zunächst auf glatte 20 Prozent steigen. Bis 2035 werde er dann schrittweise auf 22,3 Prozent wachsen. Finanzminister Lindner betonte allerdings, dass „die heutigen Prognosen zu den Beiträgen keine feststehende Realität“, sondern vielmehr „unsere Verpflichtung zu erfolgreicher Arbeitsmarktpolitik“ und „zur Fortsetzung von Reformen der Sozialversicherungssysteme in den nächsten Jahren“ bedeuten würden.

„Je besser wir in der Erwerbsintegration am Arbeitsmarkt sind, desto stabiler die Rente und desto mehr kann man übrigens auch Beitragsanstiege vermeiden“, hatte Arbeitsminister Heil bereits kurz zuvor angemerkt. Jedenfalls dürfe man nicht zulassen, dass das Rentenniveau der Empfänger abstürze: Andernfalls würde das Vertrauen der Beitragszahler in die gesetzliche Rentenversicherung „zerstört“.

Schon jetzt sei gesetzlich garantiert, dass das Rentenniveau bei 45 Jahren Beitragszeit bis 2025 nicht unter 48 Prozent fallen dürfe, erklärte Heil. Diese 48 Prozent sollen nun „auch über 2039 hinaus“ gesetzlich abgesichert werden. Gegebenenfalls werde „der Gesetzgeber“ in den 2030er-Jahren entsprechende „Stellschrauben stellen“. Schon jetzt sei er mit Lindner einig, „dafür zu sorgen, dass Menschen, die können und wollen, freiwillig auch länger arbeiten. Und dafür werden wir entsprechende Anreize auch verstärken“, fügte Heil hinzu.

Aufbau eines „Generationenkapital“-Fonds

Auf Wunsch von Finanzminister Lindner soll noch 2024 ein rein kreditfinanzierter Fonds namens „Generationenkapital“ eingerichtet werden – als dritte Säule der gesetzlichen RV, die sich „neben den Beiträgen und neben dem Zuschuss aus dem Bundeshaushalt“ bewähren soll, wie Lindner erklärte. Es handele sich um einen „Paradigmenwechsel“, eine „kapitalgedeckte Säule“ in das Rentensystem einzuziehen (Video auf „YouTube“).

Zwölf Milliarden Euro sollen den Grundstock bilden. Diese Summe soll nach Aussage Lindners jedes Jahr in den Fonds fließen, und zwar jeweils um drei Prozent „dynamisiert“, also aufgestockt. Zusätzlich sollen bis zum Jahr 2028 auch „Vermögenswerte des Bundes“ in Höhe von 15 Milliarden in den Fonds gesteckt werden. Nach Auskunft von Lindner werde es sich um „Bundesbeteiligungen“ handeln, „die nicht im öffentlichen Interesse stehen“. Nähere Details wollte Lindner noch nicht nennen.

Bis 2035 sollen 200 Milliarden Euro gesammelt werden – auf Kreditbasis

Aus der reinen Schuldenaufnahme plus Bundesvermögenswerte-Einlage würden sich bis 2030 rund 107 Milliarden Euro ergeben, bis einschließlich 2035 wären es rund 185 Milliarden. Nach Vorstellung Lindners soll eine noch zu errichtende, politisch unabhängige „Stiftung Generationenkapital“ aus dem wachsenden Kapitalstock „langfristig und breit diversifizierte“ Wertpapiere kaufen. Bis diese „Stiftung des öffentlichen Rechts“ gegründet sei, werde der „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ (KENFO) mit dieser Aufgabe betraut. Inklusive der zu erwartenden Erträge sollen bis in die 2030er-Jahre damit letztlich 200 Milliarden Euro im Topf landen.

Erst ab dann könnten ausschließlich aus dem Rendite-Zufluss Geld an die Rentenversicherungsträger fließen, erklärte Lindner. Im ersten Jahr rechne er mit einer Ausschüttung von zehn Milliarden Euro. Schon allein das würde einer Beitragsersparnis von 0,3 Prozent entsprechen, so Lindner.

Lindner: Deutschland noch immer mit „Top-Bonität“

Sorgen wegen zu hoher Aufwendungen für die Kapitalbeschaffungskosten mache er sich nicht, stellte Lindner klar: Jene „Renditen“, die derzeit an den internationalen Kapitalmärkten erzielt werden könnten, lägen deutlich über den Zinsen, die für die Staatsanleihen aufzuwenden seien. Denn Deutschland habe eine „Top-Bonität“ und repräsentiere den „Goldstandard“ bei der „Staatsfinanzierung“.

Das Generationenkapital unterliegt nach Angaben des Bundesfinanzministeriums (BMF) nicht den Regeln der Schuldenbremse, weil „es sich um finanzielle Transaktionen im Sinne von § 3 des Gesetzes zur Ausführung von Artikel 115 des Grundgesetzes (Artikel-115-Gesetz – G 115)“ handele.

Lindner hofft auf „Lerneffekt“ – und kündigt weitere Reformen an

Lindner bezeichnete seinen Generationenkapital-Fonds auch als „eine Chance, einen gesellschaftlichen Lerneffekt einzuleiten“: Dass Deutschland im internationalen Vergleich „zu wenig auf die privaten Kapitalmärkte“ vertraue, dürfe „nicht fortgesetzt werden“.

Er kündigte deshalb zugleich Reformen der betrieblichen und privaten Altersvorsorge an, die im Verbund mit der gesetzlichen Rente die drei Säulen der hiesigen Altersabsicherung bilden. „Die Riester-Produkte“ müssten „attraktiver“ gestaltet werden, und auch über neue, innovative und risikoorientierte Konzepte wie ein „Altersvorsorgedepot“ werde man bald nachdenken müssen, kündigte Lindner an.

Über ein Jahrhundert wurden die Chancen des Kapitalmarkts in der gesetzlichen Rentenversicherung liegen gelassen. Jetzt nutzen wir sie. Wir investieren damit in die Zukunft dieser Gesellschaft.“ (Christian Lindner)

Bundesfinanzminister Lindner (FDP, l.) und Arbeitsminister Hubertus Heil bei der Präsentation des „Rentenpaket II“.

Bundesfinanzminister Lindner (FDP, l.) und Arbeitsminister Hubertus Heil bei der Präsentation des „Rentenpaket II“. Foto: Bildschirmfoto/YouTube/Phoenix.de

Später werde man auch über die Fragen „sprechen müssen, ob, wo und wie die Lebensarbeitszeit verlängert“ werde, kündigte Lindner für einen nicht näher bezifferten Zeitpunkt an. Denn das Rentenpaket II drehe sich auch „darum, das Arbeitsvolumen in Deutschland zu erhöhen“: Kein Arbeitsplatz, der von Angehörigen der „Babyboomer-Generation“ rentenbedingt verlassen werde, dürfe „dauerhaft unbesetzt bleiben“.

Das neue Gesetz zum „Rentenpaket II“ soll nach den Worten von Arbeitsminister Heil nun „zügig in die Ressortabstimmung“ und ins Kabinett, um möglichst noch „vor der Sommerpause“ verabschiedet werden zu können.

Sozialverbände fürchten Börsenverluste

Bereits im Vorfeld war viel Kritik speziell am Generationenkapital laut geworden. Ulrich Schneider beispielsweise, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, sagte laut „Focus“: „Die gesetzliche Rentenversicherung ist denkbar ungeeignet, um damit an der Börse zu spekulieren.“ Denn bei Gewinneinbrüchen müssten Beitrags- und Steuerzahler die Lücke stopfen.

Ähnliche Zweifel an der Einbeziehung des Kapitalmarkts hatten Verena Bentele vom Sozialverband VdK und Michaela Engelmeier, die Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), geäußert: „Eine Geldanlage in Aktien rentiert sich, wenn überhaupt, erst nach etwa 30 Jahren“, so Bentele laut „Focus“, „Wir brauchen keine spekulativen Investitionen auf dem Aktienmarkt, für die langfristig Milliarden Euro Schulden gemacht und nachfolgende Generationen belastet werden“.

Im Einklang mit Bentele habe sich Engelmeier für eine breiter gefächerte Beitragspflicht starkgemacht: „Wirklich gerecht wird die Altersversorgung in Deutschland erst dann, wenn alle Menschen eingebunden werden“. Selbstständige, Beamte und Parlamentarier unterliegen in Deutschland traditionell keiner Einzahlungspflicht, dürfen Art und Ausmaß ihrer Altersvorsorge selbst bestimmen.

„Das Rentenniveau bei 48 Prozent zu belassen und das Renteneintrittsalter nicht zu erhöhen, ist ökonomischer Wahnsinn und wäre in Mathe eine sechs“, tadelte nach Informationen des „Focus“ der Freiburger Rentenexperte Prof. Bernd Raffelhüschen. Laut „Südkurier“ hatte er bereits vor Kurzem eine Nullrunde für Rentner gefordert, um den Bundesetat zu entlasten. Arbeitsminister Heil wolle dagegen an der gesetzlich festgeschriebenen Erhöhung zum 1. Juli 2024 festhalten.

Bundeszuschüsse und Bundesmittel sorgen für Deckung

Die Lücke zwischen Beitragszahlern und -empfängern muss seit 1950 aus dem allgemeinen Steueraufkommen geschlossen werden, das in Form von Bundesmitteln und Bundeszuschüssen an die Rentenversicherungsträger fließt. In ihrer Summe lag der Aufwand 2022 bei „insgesamt rund 109 Milliarden Euro“, wie die Deutsche Rentenversicherung (DRV) berichtete. Lindner hatte zu Beginn seiner Präsentation klargestellt, dass es sich um „fast ein Viertel“ des gesamten Bundesetats handele.

Über 81 Milliarden davon stammten nach Angaben des Statistischen Bundesamts aus Bundeszuschüssen für „nicht beitragsgedeckte Leistungen“. Das betraf nach Angaben der DRV etwa Altersrenten, die „vor Erreichen des regulären Rentenalters ohne entsprechende Abschläge“ gewährt wurden. Zum Vergleich: 1950 hatte es umgerechnet nur 341 Millionen Euro solcher Bundeszuschüsse gegeben.

„Bundesmittel“ werden laut DRV unter anderem für den Ausgleich jenes Rentenanteils übernommen, der aufgrund von Kindererziehungszeiten zustande gekommen war. 2022 habe das einen Betrag von 16,8 Milliarden Euro ausgemacht. Außerdem würden regelmäßig Bundesmittel eingesetzt, um „Rentenzahlungen, die aus den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen der DDR abgeleitet sind“, finanzieren zu können. 2022 hätten derartige „Erstattungen“ Kosten von 5,7 Milliarden Euro verursacht.



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