Ausnahmezustand im Ruhrgebiet: Protestwochenende gegen die AfD

Am letzten Juni-Wochenende steht die Polizei in Essen vor einer Herausforderung: Womöglich könnten 100.000 Menschen versuchen, AfD-Delegierten den Zugang zum Bundesparteitag in der Grugahalle zu versperren. Oberbürgermeister Thomas Kufen hatte erfolglos versucht, die ganze Veranstaltung zu verhindern.
In der Essener Grugahalle wollte die AfD ihren Bundesparteitag abhalten.
Die Grugahalle in Essen wird am letzten Juni-Wochenende zum Tagungsort der AfD-Bundespartei. Rundherum wollen zehntausende Protestler gegen die Partei demonstrieren.Foto: Helge Toben/dpa
Von 17. Juni 2024

Nach der juristischen Schlappe der Stadt Essen im Streit um die Vermietung der Grugahalle an die AfD soll es im Umfeld ihres 15. Parteitages zu massiven Protesten kommen. Es geht um das Wochenende des 29. und 30. Juni 2024. Betroffen ist das Umfeld des Tagungsortes auf dem Essener Messeparkplatz P2 sowie des gesamten Stadtteils Rüttenscheid.

Der Grugapark, das Grugabad und die Grugatherme werden angesichts der zu erwartenden Tumulte nach Angaben der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (WAZ) für drei Tage schließen, Straßen sollen abgeriegelt werden. Parallel zum Parteitag finden Achtelfinalspiele der Fußball-EM in Köln, Dortmund und Gelsenkirchen statt. Kurz: Ausnahmezustand im Herzen Nordrhein-Westfalens.

Nach Informationen der WAZ könnten mehr als 100.000 Menschen ihre Abneigung gegen die AfD zum Ausdruck bringen. Ende Mai hatte die Polizei vor Ort aufgrund der bundesweiten Anmeldungen schon mit 78.000 AfD-Gegnern gerechnet. Es wäre der „größte Protest, den Essen je gesehen hat“, freute sich Sonja Baumann, Sprecherin des Bündnisses „Essen stellt sich quer“, laut WAZ bereits am 28. Mai.

Demo-Bündnis „Gemeinsam Laut“

Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der zuständigen städtischen Messe GmbH, unterstützt die Proteste ausdrücklich. Bereits im Januar hatte er die AfD laut WAZ als „nicht willkommen“ erklärt. Das war der Startschuss für eine ganze Reihe von Demonstrationen verschiedener AfD-kritischer Gruppen und Initiativen.

Seit dem 12. Juni treten die AfD-Gegner, darunter auch die Stadt Essen selbst, außerdem Kirchen, Unternehmen und Gewerkschaften wie etwa Ver.di laut WAZ unter dem Motto „Gemeinsam Laut“ auf. Zum Parteitagswochenende soll es vor Ort Fahrradstellplätze und Zeltmöglichkeiten für bis zu 6.000 Demonstranten geben. Auch Musik- und Kleinkunstveranstaltungen seien im Rahmen der Anti-AfD-Proteste geplant.

Von bunt bis linksextrem: Widerstand gegen die AfD

Bereits am Freitagabend, 28. Juni, soll das Protestwochenende nach WAZ-Informationen mit einem Rave-Umzug eingeläutet werden, der vom Essener Hauptbahnhof zur Grugahalle führen soll. Der für 10 Uhr am Samstagvormittag angemeldete Demozug werde ebenfalls am Bahnhof starten und zum Messeparkplatz P2 in unmittelbarer Nähe der Grugahalle führen. Dort solle ab 13 Uhr die große Kundgebung starten, auf die ab 17 Uhr ein Musikprogramm folgen werde. Am Parteitagssonntag solle es ab 9 Uhr eine Mahnwache vor der Grugahalle geben.

Nach Informationen des Onlineportals „NiUS“ hatten Aktivisten angekündigt, den Zugang zur Grugahalle mit Blockaden unpassierbar machen zu wollen. Auf einer eigenen Website („Widersetzen.com“) ist von einem „‚bunten‘ zivilen Ungehorsam“ die Rede: „Wenn wir der AfD nicht aktiv den Raum nehmen, den sie sich nehmen will, werden wir die Ausbreitung des Faschismus nicht verhindern.“ Verantwortlich laut Impressum ist die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA) aus Berlin.

Auf der linksextremen Seite „Indymedia“ hieß es laut „NiUS“, man wolle „den Parteitag smashen“ – auch gegen den Widerstand der Polizei. Nach Angaben von „Radio Essen“ arbeitet die Polizei an einem Sicherheitskonzept für alle Seiten.

Archivfoto: Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) applaudiert anlässlich der „Steiger Awards“-Preisverleihung für die Schauspielerin Uschi Glas. Foto: Henning Kaiser/dpa

CDU-Oberbürgermeister Kufen will Grußwort für Demonstranten sprechen

Oberbürgermeister Thomas Kufen hatte im Januar gegenüber dem WDR angekündigt, bei der Protestwelle „selbst auch an der Spitze stehen“ zu wollen. Gegenüber „Radio Essen“ versprach er ein Grußwort bei der Versammlung.

Erst vor wenigen Wochen versuchte Kufen persönlich, den Parteitag noch kurzfristig mithilfe seines Stadtrats zu verhindern: Der Oberbürgermeister und der Rat verlangten am 29. Mai 2024 von der AfD, zu versprechen, dass es auf dem Parteitag zu keinen verbotenen Äußerungen kommen werde, wie sie beispielsweise einst der thüringische AfD-Landeschef Björn Höcke getätigt hatte. Dazu sollte die AfD eine „strafbewehrte Selbstverpflichtung“ unterschreiben und für jeden Verstoß 500.000 Euro zahlen. Das lehnte die Partei unter Verweis auf die Unmöglichkeit einer solchen Garantieerklärung ab und pochte auf den unterschriebenen Ursprungsvertrag vom 20. Januar 2023. Daraufhin trat die Messe Essen GmbH vom Vertrag zurück.

AfD darf Grugahalle mieten

Zu Unrecht, urteilte das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen nun am 14. Juni per Eilverfahren: Die AfD habe gemäß Grundgesetz „einen Anspruch auf Gleichbehandlung“ (Az.: 15 L 888/24). „Das Gericht konnte keine hinreichende Tatsachengrundlage erkennen, die die erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit von Rechtsverletzungen hätte begründen können“, hieß es in der Begründung. Die Stadt Essen akzeptierte den Gerichtsbeschluss.

Damit ist auch eine zivilrechtliche Klage der AfD gegenstandslos: Die für Montag, 17. Juni, anberaumte mündliche Verhandlung vor dem Landgericht in Essen wurde vom zuständigen Richter Dr. Dominik Kahleyß abgesagt.

„Das war eine Niederlage mit Ansage“, sagte AfD-Bundesvorstandsmitglied Roman Reusch einer Pressemitteilung zufolge, „es ist unverantwortlich, wie hier mit Steuergeldern umgegangen wird“. Der stellvertretende AfD-Bundessprecher Peter Boehringer ergänzte: „Die Stadt Essen wollte mit ihrem Vorgehen gegen den Bundesparteitag einer großen Rechtsstaatspartei aus politischen Gründen einen Präzedenzfall schaffen – und eine ‚lex AfD‘ kreieren. Dem hat das Gericht nun einen Riegel vorgeschoben.“

Die Stadt Essen hatte dem Soziologen Andreas Kemper nach „NiUS“-Informationen zuvor 3.900 Euro für eine 48-seitige Expertise (PDF) bezahlt, die ihre Argumentationslinie im Kampf gegen die AfD stützen sollte. Das VG Gelsenkirchen habe aber die Auffassung vertreten, dass der „Ausarbeitung [Kempers] bei genauer Betrachtung jeder empirische Gehalt“ fehle: Aus früheren Aussagen einzelner AfD-Parteimitglieder könne man nicht auf künftige Aussagen während eines Parteitages schließen.

Wie viel Steuergeld die CDU-dominierte Stadt Essen für drei Rechtsanwaltskanzleien ausgegeben hatte, die die Stadt nach Informationen der „Legal Tribune Online“ beraten hatten, konnte die Pressestelle auf Anfrage der Epoch Times bis zum Redaktionsschluss nicht sagen. Sobald die Informationen vorliegen, werden wir berichten.

600 Delegierte ringen um neue Struktur an der Spitze

AfD-Vize Peter Boehringer rechnet in der Halle mit rund „1.800 Teilnehmern und externen, parteifremden Besuchern“, darunter rund 600 Delegierte. Der wahrscheinlich wichtigste Tagesordnungspunkt wird die Wahl eines neuen Vorstands sein. Beide Bundesvorsitzende – Alice Weidel und Tino Chrupalla – wollen weitermachen.

Nach Informationen des Nachrichtensenders n-tv will allerdings eine deutliche Mehrheit der Landesverbände eine Satzungsänderung durchsetzen. Demnach könnte es ab dem 1. Januar 2025 keine AfD-Doppelspitze mehr geben, sondern nur noch einen Vorsitzenden und einen Generalsekretär. Letzterer solle die Bundesgeschäftsstelle leiten, die gesamte Parteiarbeit koordinieren und auch für die Bundestagswahl und die Europawahl zuständig sein. Falls die Doppelspitze bestehen bleibe, solle es aber auch keinen Generalsekretär geben.

Das Antragspapier hätten unter anderem die Landesparteichefs René Springer (Brandenburg) und Björn Höcke (Thüringen) unterzeichnet, außerdem Bundestagsfraktionsvize Sebastian Münzenmaier und Damian Lohr, der ehemalige Bundeschef der Jungen Alternative. Um sich durchzusetzen, bräuchten sie laut n-tv eine Zweidrittelmehrheit der Delegierten.

Das Archivfoto zeigt die ehemalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry. Foto: Sean Gallup/Getty Images

Vor neun Jahren: Petry löste Lucke ab

Die Essener Grugahalle war im Juli 2015 schon einmal der Schauplatz eines – damals außerordentlichen – AfD-Bundesparteitags gewesen. Gut zwei Jahre nach der Parteigründung 2013 eroberte die sächsische Landesvorsitzende Frauke Petry den Parteivorsitz und verpasste der AfD einen nationalkonservativeren Anstrich. Zweiter Vorsitzender wurde Jörg Meuthen. Der eher wirtschaftsliberale Parteigründer und damaligen Co-Vorsitzende Prof. Bernd Lucke zog sich aus dem Vorstand zurück und engagierte sich politisch letztlich erfolglos mit seiner Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA).

Petry war im September 2017 aus der AfD ausgetreten, um sich künftig ebenfalls in einer eigenen, neuen Partei („Die blaue Partei“) zu engagieren. Zum Jahresende 2019 war das Projekt allerdings Geschichte. Petry behielt ihr Bundestagsmandat, das sie als AfD-Kandidatin erworben hatte, noch bis zur Bundestagswahl im Herbst 2021.

In Sachsen und Thüringen finden am 1. September Landtagswahlen statt. Brandenburg wählt am 22. September.



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