Zürcher Piratenpartei: „Wenn nichts passiert, werden wir regelrecht ausgeschlachtet von KI“

Monica Amgwerd, Generalsekretärin der Zürcher Piratenpartei, spürt die Folgen des digitalen Wandels am eigenen Leib. Eine Stunde musste sie in der Kundenhotline der Bank warten, um zu hören, dass es keine persönlichen Termine mehr gibt. Mit ihrer Partei setzt sie sich für all diejenigen ein, die ein Leben jenseits von Apps und Smartphones bevorzugen.
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Für viele Menschen ist ein Leben ohne Smartphone undenkbar, aber es gibt auch Menschen, die gerne offline sind.Foto: dikushin/iStock
Von 27. August 2024

Reisetickets per App, Banküberweisungen im Internet, kontaktlose Bezahlung. Die Digitalisierung ist allgegenwärtig. Doch es gibt auch Menschen, die hier nicht Schritt halten können oder sich bewusst dagegen entscheiden, etwa um Manipulation und Datenmissbrauch zu vermeiden.

Im Kanton Zürich hat die Piratenpartei eine Initiative für ein Recht auf ein Leben ohne Smartphone eingereicht, die sich aus ihrer Sicht zur nationalen Volksinitiative entwickeln könnte. In Österreich und Deutschland gibt es ähnliche Bestrebungen.

Mit ihrer Initiative richtet sich die Zürcher Piratenpartei nicht gegen die Digitalisierung per se. Denn Monica Amgwerd, Generalsekretärin der Partei im Kanton Zürich, sieht eine große Anzahl positiver Aspekte, die das Leben der Menschen bereichern – aber ebenfalls Probleme und Risiken.

„Bei unserer Bank gibt es zur Kundenberatung nur noch einen digitalen Zugang via Chatroboter – dieser funktioniert aber kaum. Nach einer Stunde in der Hotline wurde mir gesagt, dass der Kontakt via E-Mail und auch ein physischer Termin nicht möglich seien, um etwas zu besprechen, was ich unglaublich finde“, erklärt sie in einem Interview mit der Zeitung „20 Minuten“.

Auch der Kauf von Busfahrkarten stellt sie vor Herausforderungen, denn der Ticketautomat an der Haltestelle wurde abgeschafft. Deshalb kann sie ihren beiden Kindern, die beide noch kein Smartphone besitzen, nicht wie früher Geld mitgeben, damit sie eine Fahrkarte lösen können.

„Das darf einfach nicht sein und muss rückgebaut werden. Jede und jeder muss unüberwacht ÖV [Öffentliche Verkehrsmittel] fahren können“, so Amgwerd.

KI – eine Gefahr für die Demokratie?

Problematisch sieht sie auch den Umgang mit den riesigen Datenmengen, die über Menschen gesammelt und nur durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz ausgewertet werden können. Firmen wie Meta, Google, Microsoft und OpenAI wären hier durch die Entwicklung entsprechender Programme in der „Übermacht“. Sie befürchtet, dass mit der Zeit das Wissen und die Arbeit der Menschheit entwertet wird, „was auch wirtschaftlich problematisch ist“.

Wichtig sei, dass die Menschen verstehen, was mit ihren Daten passiere. Insoweit hofft Amgwerd auf eine große Bewegung für ein Menschenrecht auf digitale Integrität, die keine politische Frage von links oder rechts sei.

Wenn nichts passiert, werden wir regelrecht ausgeschlachtet von KI“, erklärt Amgwerd.

Außerdem sieht sie eine Gefahr für die Demokratie und verweist auf den Datenskandal von Cambridge Analytica.

Das im Jahr 2013 gegründete, auf Datenanalyse ausgerichtete Unternehmen Cambridge Analytica erhielt über eine App unrechtmäßig Zugriff auf die persönlichen Daten von rund 87 Millionen Facebook-Nutzern. Oberflächlich betrachtet konnten die Nutzer der App einen Persönlichkeitstest machen – tatsächlich wurden damit im großen Stil Daten abgeschöpft, um Menschen im Rahmen des sogenannten Microtargeting gezielt zu beeinflussen, beispielsweise in ihrem Wahlverhalten.

Die Züricher Politikerin warnt: „Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Kombination aus Profiling, Scoring und Targeting zerstört die Grundpfeiler der Demokratie.“ Profiling, Scoring und Targeting sind Technologien, die Daten sammeln und analysieren und über das Anlegen und Bewerten von Nutzerprofilen gezielt Menschen ansprechen.

Soziologe über Wahlmanipulation im großen Stil

Vor manipulierten Wahlen berichtet auch Dirk Helbing, Soziologe und Physiker an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Er sei zwar nach eigenem Bekunden Befürworter der Digitalisierung, „aber wir haben auf dem Weg ein paar Abzweigungen verpasst, sind in die falsche Richtung gefahren, und jetzt müssen wir das ausbaden“, sagte er in einem Interview mit der Zeitung. „Der Standard“.

Die Demokratie werde viel stärker untergraben, als den meisten Menschen bewusst sei. Im letzten Jahrzehnt seien mehr als 60 Demokratien mit Methoden wie von Cambridge Analytica unterwandert worden.

„Die geheime Wahl wird ausgehebelt, weil man mithilfe der Daten, die über eine Person gesammelt werden, letzten Endes erraten kann, was sie wählen wird“, so Helbing. Selbst wenn gemäß Datenschutz Pseudonyme verwendet würden, könne man trotzdem anhand von Eigenschaften und Vorlieben Personen direkt anzusprechen und sie manipulieren (Microtargeting).

„Es gilt dann nicht mehr ‚eine Person, eine Stimme‘, sondern: Wer mehr Geld investiert, bekommt mehr Stimmen. So war die Demokratie nicht gedacht“, schildert der Soziologe. „Je mehr man weiß über die Menschen, desto gezielter kann man versuchen, sie in bestimmte Richtungen zu lenken in ihrem Denken, Fühlen und Handeln. Im Grunde genommen ist Targeting nichts anderes als eine moderne Waffe im Informationskrieg.“

„Es ist so, als würden gleichzeitig mehrere Leute die ganze Zeit auf uns einreden, was wir jetzt tun sollen“, sagt Helbing. Das könne nicht im Sinne einer selbstbestimmten, aufgeklärten Entscheidungsfindung sein.

Für ein Recht, offline zu sein

Nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Österreich und Deutschland laufen Initiativen für ein Leben ohne Digitalzwang. In Österreich forderte die SPÖ im Juni ein Gesetzespaket, das ein „Recht auf analoges Leben in Österreich schafft, und verhindert, dass insbesondere ältere Menschen den Zugang zu staatlichen Leistungen und Förderungen mehr und mehr verlieren“. Im Parlament, dem Nationalrat, fand der Entschließungsantrag jedoch nicht die erforderliche Mehrheit.

Auch bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September spielt das Thema eine Rolle. Die AfD Sachsen will die „Überwachung und Kontrolle der Bürger mit digitalen Mitteln“ auf die Bekämpfung von Kriminalität beschränken.

Die Linke in Sachsen fordert zwar mehr Schulungen für Senioren an digitalen Endgeräten, will aber auch analoge Möglichkeiten offenhalten. Die Partei fordert, dass die Verwaltung ihre Angebote für ältere Menschen leicht zugänglich machen soll.

Das BSW in Sachsen setzt sich dafür ein, dass Dinge des Alltags auch ohne Apps und „Zwang zur Digitalisierung“ stattfinden können. Beim Unterricht soll der Schwerpunkt wieder auf gedruckte Schulbücher und dem Fachwissen des Lehrers liegen.

Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2023 in der Europäischen Union rund sechs Prozent der 16- bis 74-jährigen Bevölkerung noch nie online. In Deutschland lag ihr Anteil bei fünf Prozent, was knapp 3,1 Millionen Menschen entspricht, darunter überwiegend die ältere Generation.



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