Zu viel erneuerbare Energie: Betreiber trennt PV- und Windanlagen vom Netz

Einen Schockmoment für die Energiewende erlebte kürzlich Polen: Um das Stromnetz stabil zu halten, musste ein Netzbetreiber Solar- und Windanlagen vorübergehend vom Netz trennen. Kann das auch in Deutschland passieren?
Zu viel Erneuerbare Energie: Betreiber trennt PV- und Windanlagen vom Netz
Photovoltaik- und Windkraftanlagen in Polen: Auch das östliche Nachbarland baut erneuerbare Energien stark aus. Für das aktuelle Leitungsnetz offenbar zu stark.Foto: iStock
Von 27. April 2023

Der polnische Netzbetreiber PSE („Polskie Sieci Elektroenergetyczne“) hat am Sonntag, 23. April, bereits zum zweiten Mal eine offizielle Bedrohung für die Sicherheit der Stromversorgung ausgerufen. Der Grund war ein Überangebot an erneuerbarer Energie im nationalen Stromnetz. PSE ordnete daraufhin an, neben Windanlagen auch Solarkraftwerke vorübergehend vom Netz zu trennen:

In Verbindung mit dem Zustand einer Bedrohung für die Sicherheit der Stromversorgung möchten wir Sie über die Abschaltung der PV [photovoltaischen] Quellen informieren.“

Zu viel Sonnenstrom für marodes Netz

Es war das erste Mal, dass der Betreiber keine andere Möglichkeit sah, als Solaranlagen zur Stromerzeugung vom Netz zu trennen. Auslöser für die Warnung durch Experten und Beamte war das zu diesem Zeitpunkt besonders sonnige Wochenende, wie „Notes from Poland“ berichtete.

Hintergrund ist das veraltete und marode Stromnetz Polens. Es benötigt dringend eine Modernisierung, um die zunehmende Strommenge aus erneuerbaren Energiequellen bewältigen zu können. Da jedoch der Großteil des polnischen Stroms aus alten Kohlekraftwerken stammt, die nicht so leicht abgeschaltet werden können, musste der Betreiber den Anteil erneuerbarer Energien reduzieren.

Photovoltaik wächst rasant

Die Solaranlagen in Polen erlebten in den vergangenen Jahren eine enorme Expansion. Keine andere Energiequelle wuchs und wächst in Polen so schnell wie Photovoltaik. Nach Angaben der Energieagentur ARE (Agencja Rynku Energii) war die installierte Leistung 2022 im Jahresvergleich um fast 60 Prozent auf nun 12,1 Gigawatt angestiegen. Das übertrifft die selbstgesteckten Ziele der polnischen Regierung deutlich, wie kürzlich „Germany Trade & Invest“ berichtete.

Laut dem Nachrichtendienst für Elektrizität, „Wysokie Napięcie“, leistete die Solarenergie am kritischen Sonntag in Spitzenzeiten 7,5 Gigawatt (GW), Wind immerhin ein bis drei GW. Das entspricht zusammen etwa zwei Dritteln der Gesamtnachfrage von 15 GW. Neben PV-Anlagen wurde am Nachmittag des 26. April auch die Windenergieerzeugung vom Netz gekappt, wo dies möglich war.

Teilweise wurde der überschüssige Strom auch nach Deutschland, in die Slowakei und nach Schweden exportiert.

Abschaltungen auch bald in Deutschland?

„Solche Anordnungen zur Begrenzung der Produktion werden in Polen und anderen Ländern immer häufiger vorkommen. Insbesondere dort, wo der Anteil der Energiespeicherung gering ist“, teilte ein Sprecher von Wysokie Napięcie mit. 2022 installierte Polen die drittgrößte Menge an neuen Solaranlagen in der Europäischen Union, hinter Deutschland und Spanien. Der Strom aus erneuerbaren Kleinstanlagen – hauptsächlich heimische Solarpanels – hatte sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt.

Auch in Deutschland findet derzeit ein Wettrennen statt zwischen Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Netzausbau. Große Netzbetreiber investieren bereits in stabilere Netzinfrastruktur, um der höheren Belastung bei sonnigeren oder windigeren Tagen standzuhalten.

Großanlagen werden bedeutsamer

Nur einige Tage vor der Abschaltung der Erneuerbaren hatte Polens Regierung die Ausbauziele für Photovoltaik noch weiter nach oben geschraubt. Fördergelder unterstützen den Ausbau.

PSE geht davon aus, dass zwischen 2023 und 2032 weitere Photovoltaikkraftwerke mit insgesamt 20 Gigawatt ihren Betrieb aufnehmen werden – und das sogar ohne Berücksichtigung der beliebten Kleinstanlagen. Die Leistung von Photovoltaikgroßanlagen wird demnach zwischen 2022 und 2036 um mehr als das 70-Fache steigen.

Das Klimaministerium kündigte angesichts der rasanten Entwicklungen eine überarbeitete Energiestrategie an. Laut Tageszeitung DGP („Dziennik Gazeta Prawna“) liegt die neue Zielmarke für Photovoltaik bis 2030 bei 27 Gigawatt. Das ist fast viermal so hoch wie in der alten Energiestrategie.

Energiesicherheit hat in Polen Vorrang

Der Umweltschutz scheint dabei jedoch nicht die einzige Rolle zu spielen. Klimaministerin Anna Moskwa erklärte in einem Interview: „Der wichtigste Faktor ist die Energiesicherheit.“

Kohle ist heute der bedeutendste Energieträger in Polen und wird voraussichtlich auch künftig eine Rolle spielen. So will laut Zeitungsberichten zum Beispiel die Partei Solidarna Polska, die Mitglied in der Regierungskoalition ist, dass weiterhin neue Braunkohlereviere erschlossen werden können.

Ein Element der Energiestrategie der polnischen Regierung sind Förderprogramme. Der staatliche Umweltfonds (Narodowy Fundusz Ochrony Środowiska i Gospodarki Wodnej, NFOŚiGW) übernimmt im Rahmen der Programme „Mein Strom“ (Mój Prąd) und „Saubere Luft“ (Czyste Powietrze) Teile der Kosten für PV-Anlagen auf Einfamilienhäusern.

Polen stockt die Zuschüsse sogar noch auf. Interessenten können ab April 2023 im Rahmen von „Mein Strom“ bis zu 12.300 Euro beantragen. Zuvor lag die Höchstförderung bei knapp 6.600 Euro. Das Programm „Saubere Luft“ hatte Polens Klimaministerium bereits Anfang 2023 erweitert.

 

Energie

PV-Anlagen auf den Dächern von Einfamilienhäusern werden in Polen kräftig gefördert. Foto: iStock

Die Einspeisevergütung für Prosumenten, also PV-Anlagen-Betreiber, orientiert sich seit April 2022 an den Preisen an der Strombörse. Privatpersonen, die vor April 2022 einen Netzanschluss beantragt hatten, können bis zu 80 Prozent der eingespeisten Strommenge kostenlos aus dem Netz beziehen. Zudem bieten staatliche Banken günstige Kredite für neue PV-Anlagen an.

Leistungsfähige Netze sind nötig

Die Stromnetze sind die große Schwachstelle für die polnische Energiewende. Mehr als drei Viertel aller Mittel- und Hochspannungsleitungen in Polen sind älter als 25 Jahre. Verteilnetzbetreiber lehnen immer häufiger den Anschluss neuer Kraftwerke ab. Geplante Gesetzesänderungen sollen darum Planungsverfahren beim Netzausbau beschleunigen und Direktleitungen zwischen Kraftwerken und Abnehmer ermöglichen.

Das Klimaministerium verweist auf die Investitionspläne der Netzbetreiber. Demnach fließen zwischen 2020 und 2025 rund elf Milliarden Euro in neue Leitungen. Bis 2030 kommen noch einmal 13 Milliarden Euro hinzu.

Das Problem: Viele Investitionsprojekte existieren nur auf dem Papier. Ein Transformationsfonds (Fundusz Transformacji Energetyki), der Gelder aus dem Verkauf von Emissionsrechten erhält, sollte die Finanzierung des Netzausbaus sichern. Der Fonds kam bislang nicht über die Konzeptphase hinaus. Branchenvertreter üben auch Kritik an einer geplanten Reform im Raumplanungsrecht. Das Gesetz schaffe, je nach Art des Grundstücks, neue bürokratische Hürden für Solarparks.



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