Wird Frankreichs Premierminister heute gestürzt?
Die für Mittwoch in der französischen Nationalversammlung geplante Fragestunde verspricht spannend zu werden. Um 16:00 Uhr steht die Prüfung zweier Misstrauensanträge an.
Der Antrag der linken Sammelpartei Nouveau Front populaire (NFP), über den zuerst abgestimmt wird, hat große Chancen, angenommen zu werden. Der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen hat erklärt, den Antrag zu unterstützen. Zusammen können Die Linke und der RN rund 330 Stimmen erreichen, weit mehr als die erforderlichen 288.
Letztes Gefecht oder letzter Versuch, dem Sturz zu entgehen?
Gestern Abend war der Premierminister um 20:00 zeitgleich auf den beiden größten TV-Sendern Frankreichs zu sehen. Ein „Verantwortungsreflex“ der Abgeordneten bleibt „möglich“, erklärte Michel Barnier. Er appellierte an „das höchste Interesse des Landes, das Gemeinwohl“ und „das nationale Interesse“.
Wenn der Haushalt nicht verabschiedet wird, warnte der Premierminister laut „Le Figaro“, werden „18 Millionen“ Franzosen „ihre Einkommenssteuer erhöht sehen“. Zudem produziere dies eine „Instabilität“, die sich „sofort“ auf „die Zinssätze“ auswirken werde.
Heute „liegt es nicht an mir“, „es geht sehr weit über meine Lage hinaus“, ergänzte Barnier seinen Appell nach Angaben von „Franceinfo“.
Die Opposition ist sich siegessicher
„Der Sturz von Barnier ist klar“, verkündete unterdessen die Anführerin der aufständischen Abgeordneten Mathilde Panot (La France insoumise, LFI). Nach seiner Ernennung am 5. September wird er dank „der Duldung des RN“ drei Monate im Amt geblieben sein. „Was ihn zu Fall bringen wird, ist die Tatsache, dass der RN aufgehört hat, ihn zu unterstützen“, betonte der Abgeordnete der Sozialisten (PS), Arthur Delaporte.
Die beiden Misstrauensanträge folgten auf die Anwendung eines Sonderartikels der Verfassung, der es erlaubt, Gesetze ohne Abstimmung durchs Parlament zu bringen. Der Artikel 49.3 wird auch in Anspielung auf ein deutsches Geschütz aus dem Ersten Weltkrieg in Frankreich „Grosse Bertha“ (Dicke Bertha) genannt. Seit dem Inkrafttreten der aktuellen Verfassung wurde er 113 Mal angewendet, wie „Le Parisien“ dokumentiert.
Frankreich im Sparmodus
Premierminister Barnier wollte damit den Sozialhaushalt durchbringen, der zahlreiche Kürzungen vorsieht. Barnier hatte im Fernsehen daran erinnert, dass Frankreich mit 3.228 Milliarden Euro hoch verschuldet sei und sparen müsse. Seine Mitte-rechts-Regierung hatte deshalb einen Sparhaushalt auf den Weg gebracht.
„Die Zensur dieses Haushalts ist leider die einzige Möglichkeit, die uns die Verfassung gibt, um die Franzosen vor einem gefährlichen, ungerechten und strafenden Haushalt zu schützen, der zudem die ohnehin schon monströsen Defizite aus sieben Jahren mit Macron am Ruder noch weiter verschärft“, erklärte Marine Le Pen am Dienstag auf X.
Aus den Reihen der Regierung heißt es hingegen, der RN habe die meisten politischen Errungenschaften erzielt, aber Frau Le Pen opfere sie lieber auf dem Rücken der Franzosen. So hatte die Regierung eingewilligt, die Stromsteuer nicht zu erhöhen, auf höhere Zuzahlungen für Medikamente zu verzichten und die medizinische Versorgung von Migranten zu verringern.
Chaoswarnungen von der Regierung
Regierungsmitglieder wechselten sich im Radio und Fernsehen mit Appellen und Warnungen ab. „Es ist das Land, das wir in Gefahr bringen“, erklärte Wirtschaftsminister Antoine Armand.
„Wollen wir wirklich Chaos? Wollen wir eine Wirtschaftskrise, die die Schwächsten trifft?“, fragte Innenminister Bruno Retailleau auf TF1. Er ging sogar „die Wette ein, dass es uns mit Michel Barnier gelingen wird, den Misstrauensantrag abzulehnen“.
Die Annahme eines solchen Antrags durch die Nationalversammlung wäre eine Premiere seit dem Sturz der Regierung von Georges Pompidou im Jahr 1962. Die Barnier-Regierung wäre dann die kürzeste in der Geschichte der Fünften Republik.
Sollte die Exekutive stürzen, würde Frankreich noch weiter in die politische Krise versinken, die durch die Auflösung der Nationalversammlung von Emmanuel Macron im Juni ausgelöst wurde.
Auf den Finanzmärkten sind die Zinssätze, zu denen Frankreich Kredite aufnimmt, angesichts der Unsicherheiten über die Regierung und der Fähigkeit des Landes, Defizite zu reduzieren, gestiegen. Doch die Pariser Börse verzeichnete am Dienstag noch einen Aufwärtstrend.
Der Präsident ist in Saudi-Arabien
Emmanuel Macron äußerte sich nur kurz in Riad zur Situation. Er glaube nicht an das Gelingen eines Misstrauensvotums. Seit Montag befindet er sich auf einem dreitägigen Staatsbesuch in Saudi-Arabien. Doch Macron ist schnell am Ruder, wenn das Misstrauensvotum wider seinen Erwartungen erfolgreich sein sollte. Dann muss er einen neuen Premierminister ernennen.
Es gibt bereits Spekulationen über mögliche Nachfolger von Michel Barnier, vom Verteidigungsminister Sébastien Lecornu bis zum gemäßigten François Bayrou aus dem Präsidentenlager.
Doch die Stimmenverteilung im Parlament bleibt dieselbe: Keine Konfiguration scheint eine Mehrheit für die Verabschiedung eines Haushalts für 2025 zu versprechen.
Mit Material der französischen Epoch Times und der AFP.
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