Wie die „Partygate“-Affäre die britische Politik lähmt
„Partygate“, „Partygate“ und dann vielleicht noch „Partygate“. Gut, ab und an gibt es derzeit doch noch einmal eine andere Schlagzeile in Großbritannien.
Unbestritten ist aber, dass die Affäre um Lockdown-Partys in der Downing Street alles in den Schatten stellt. Seit Wochen gibt es in den Fluren des Parlaments, in den Pubs von Westminster, in allen Medien, aber auch in persönlichen Gesprächen und Hintergrundrunden fast nur ein Thema. Der Skandal und damit einher die Frage, ob Premierminister Boris Johnson gelogen hat, als er Feierlichkeiten bestritt, lähmt die britische Politik.
Dabei gäbe es Aufreger genug. Die Regierung hat mehrere Milliarden Pfund auf ungeeignete Corona-Schutzausrüstung abgeschrieben, Skandale bei der Londoner Polizei, falsche Angaben von Johnson und Innenministerin Priti Patel zu Kriminalitätsstatistiken oder die schwere Krise in Nordirland. Die Reihe von Themen, die üblicherweise Aufmacher und Aufreger wären, ließe sich lange fortführen. Selbst der heftige Anstieg der Energiekosten um mehr als 50 Prozent war am Donnerstag nur vorübergehend die Top-Meldung. Noch am selben Abend eroberte „Partygate“ angesichts der Rücktritte enger Johnson-Berater die Schlagzeilen zurück.
„Partygate“ schlägt Brexit-Bilanz
Auch Projekte der konservativen Regierung haben keine Chance. So ging etwa die lang erwartete Ankündigung von Bauminister Michael Gove, wie die Regierung landesweit gleich hohe Lebensstandards ermöglichen will – genannt „Levelling Up“, eines von Johnsons Kernversprechen – völlig in der Debatte unter. „Ob es ein bisschen frustrierend ist, wenn ich über Krebsbekämpfung sprechen möchte und jemand, der mich befragt, über etwas ganz anderes?“, sagte Gesundheitsminister Savid Javid. „Ja. Aber so ist das Leben, so ist Politik, ich verstehe das.“
Manchmal hat die Regierung aber auch Glück. Als sie zum zweiten Jahrestag des EU-Austritts einen Bericht über die „Vorteile des Brexits“ vorlegte, der Experten fassungslos zurückließ, interessierte sich kaum jemand dafür, weil fast zeitgleich der erste Teil des „Partygate“-Untersuchungsberichts publik wurde.
Die Opposition fordert Johnsons Rücktritt – auch weil ihn das Thema vom Regieren abhalte. Ein für vorigen Montag geplantes Gespräch mit Kremlchef Wladimir Putin musste der Premier verschieben, weil er sich im Parlament den „Partygate“-Fragen stellen musste. Prompt verhöhnte Putins Sprecher Dmitri Peskow den Premier als „völlig verwirrt“.
Selbst von Verbündeten kommt Spott. Die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden machte sich über einen Tory-Abgeordneten lustig, der Johnsons Lockdown-Geburtstagsparty mit dem Spruch verteidigt hatte, der Premier sei „von einem Kuchen überfallen“ worden. Natürlich sei das Vereinigte Königreich ein wichtiger Partner in der Ukraine-Krise, versicherte Jen Psaki – um dann nachzusetzen: „Und das hat sich trotz Kuchen in irgendwelchen Gesichtern nicht geändert.“ EU-Diplomaten in London versichern mit Nachdruck, die Affäre beeinträchtige die Zusammenarbeit mit Großbritannien nicht. Doch ein Schmunzeln oder Augenrollen können sie sich alle nicht verkneifen.
Johnson setzt auf „Carry on“
Premier Johnson, der sich mittlerweile mehrmals – auch bei der Queen persönlich – für die Lockdown-Feiern entschuldigen musste, setzt längst wieder auf Gegenangriff. „Lasst uns mit der Arbeit weitermachen“, fordert Johnson regelmäßig. Ähnlich äußern sich seine Unterstützer. Letztlich interessierten die Vorgänge nur einige Beobachter in Westminster, sagte Bauminister Gove bei einem Besuch im wirtschaftlich schwachen Nordosten Englands. „Aber was wirklich in einer Woche oder in einem Monat oder in einem Jahr zählt, ist, ob wir Investitionen, Arbeitsplätze und eine bessere Zukunft für die Menschen in Sunderland bringen.“
Doch Johnson hat eine Mehrheit gegen sich. Einer Umfrage zufolge ist nur gut ein Drittel (36 Prozent) der Briten der Meinung, man müsse die Affäre jetzt mal hinter sich lassen. Auch deshalb erinnert die Opposition bei jeder Gelegenheit an die Polizeiermittlungen zu „Partygate“. Als Johnson sich mit Erfolgen brüstete, beschied ihm Labour-Chef Keir Starmer feixend: „Viele Worte, viel Getöse, keine Antworten (…), das wird bei der Polizei nicht reichen.“ (dpa/red)
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