Wie China schrittweise das Südchinesische Meer übernimmt: Grant Newsham

Grant Newsham, früherer Oberst der US-Marine, zeichnet ein ganz neues Bild, wie ein Angriff Chinas aussehen kann. Seit mehreren Jahrzehnten gewinnt China Stück für Stück die Kontrolle über das Südchinesische Meer. Wie dringlich ist es, die zunehmende Vorherrschaft der Chinesen ebendort einzudämmen?
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Grant Newsham zu Gast bei „American Thought Leaders“.Foto: Epoch Times
Von 16. September 2024

Grant Newsham ist Experte für die asiatisch-pazifische Region. Er ist Senior Fellow am Center for Security Policy (Zentrum für Sicherheitspolitik) in den USA. Außerdem ist er Forschungsmitglied beim Japan Forum for Strategic Studies und beschäftigt sich mit verteidigungspolitischen, politischen und wirtschaftlichen Fragen in Asien und im Pazifik.

Newsham ist Oberst der US-Marine im Ruhestand und war der erste Verbindungsoffizier der US-Marine bei den japanischen Bodenverteidigungskräften. Er diente auch als Reservechef des Nachrichtendienstes der Marine Forces Pacific und war zweimal US-Marineattaché an der US-Botschaft in Tokio.

Jan Jekielek, Gastgeber der Reihe „American Thought Leaders“ bei der englischen Epoch Times, war im Gespräch mit ihm über die Situation im Südchinesischen Meer und die Rolle der chinesischen Streitkräfte.

Grant, in Ihrem Buch „When China Attacks“ zeichnen Sie ein interessantes Szenario, wie ein Angriff von China aussehen könnte, und zwar in der Tat etwas anders als unsere Vorstellung von einem klassischen Angriff. Als ich mir die jüngsten Geschehnisse im Südchinesischen Meer angesehen habe, insbesondere rund um die Philippinen, erinnerte ich mich an ein Kapitel aus diesem Buch. Lassen Sie uns über diese Vorfälle sprechen.

Gerne. Was wir derzeit erleben, ist das Ergebnis der 20- bis 30-jährigen Bemühungen von China, die Kontrolle über das Südchinesische Meer zu erlangen. Dieses Meer ist etwa anderthalbmal so groß wie das Mittelmeer, um die Dimensionen dieses Gebiets zu verdeutlichen.

Die Chinesen sind dabei schrittweise, aber stetig vorgegangen, und wenn es möglich war, schneller, manchmal aber auch langsamer. Im Allgemeinen haben sie es ohne einen einzigen Schuss geschafft, mit Ausnahme eines Falles im Jahr 1988, als sie 60 vietnamesische Matrosen und Marinesoldaten erschossen, die knietief im Wasser standen, auf einem Stück vietnamesischen Territoriums in der Mitte des Meeres, das China haben wollte.

Ansonsten haben sie es sich einfach genommen, indem sie nach und nach ihre Präsenz aufgebaut haben, eine physische Präsenz natürlich, und auch ihre Küstenwache, ihre maritime Miliz, ihre Fischerboote und die chinesische Marine waren immer präsent.

Etwa 2015 haben sie de facto die Kontrolle über das Südchinesische Meer erlangt. Sie haben das miterlebt. Sie übernahmen das, was immer internationale Gewässer waren, und die US-Amerikaner und die Nachbarländer haben nicht viel dagegen unternommen. Das einzige Land, das wirklich etwas tun könnte, sind die USA.

Ich glaube nicht, dass bekannt ist, dass das Südchinesische Meer überhaupt übernommen wurde. Regelmäßig sehen wir Berichte über Flugzeugträger dort und über alle möglichen Aktivitäten. Es gibt offene Schifffahrtswege. Ich glaube nicht, dass das chinesische Regime sagen würde, dass es das gesamte Südchinesische Meer kontrolliert.

Sie haben deutlich gemacht, dass das Südchinesische Meer ihrer Meinung nach ihnen gehöre, und sie haben sogar ein juristisches Argument dafür ausgeheckt, aber auch, um die physische Kontrolle zu erlangen. Sie können die Seewege durch das Südchinesische Meer wirklich abschneiden. Sie haben Gesetze erlassen, nationale Gesetze, die ihnen das erlauben.

Vor Kurzem wurde der chinesischen Küstenwache das Recht eingeräumt, Unbefugte im Südchinesischen Meer festzunehmen. Sie haben es nur noch nicht sehr oft getan. Schauen wir ein wenig in die Vergangenheit. Wie bereits erwähnt, handelt es sich um eine 30-jährige Anstrengung der Chinesen.

Seit 1974 haben sie einige vietnamesische Inseln in der Paracels-Gruppe am nördlichen Ende des Südchinesischen Meeres besetzt. 1988 eroberten sie weitere vietnamesische Inseln und Gebiete weiter südlich auf den Spratly-Inseln. Das war, als sie die vietnamesischen Soldaten erschossen.

Dann errichteten sie 1996 einige Fischerhütten auf einem Riff namens Mischief Reef, das philippinisches Hoheitsgebiet war. Seitdem sind die Philippinen nicht mehr dort gewesen. Von 2013 bis 2015 starteten sie dann eine Kampagne zum Bau von Inseln, die gelinde gesagt beeindruckend war.

Sie bauten eine Reihe von künstlichen Inseln in den Paracels im Norden, aber auch weiter südlich, einige hundert Meilen vom chinesischen Festland entfernt, in der Spratly-Kette. Drei dieser von China gebauten Inseln sind wirklich erwähnenswert und verdeutlichen, wie China seine Kontrolle aufgebaut hat.

Das sind das Mischief Reef, das Subi Reef und das Fiery Cross Reef. Das Subi-Riff wurde in einen Militärstützpunkt verwandelt, der sogar größer ist als Pearl Harbor auf Hawaii. Aus dem Nichts ist ein Ort geworden, der über Tiefwasserankerplätze verfügt. Man kann dort seine Seestreitkräfte unterbringen, lange Start- und Landebahnen, und das Gleiche am Mischief Reef.

Erläutern Sie bitte die Funktionsweise der chinesischen Marineeinheiten, maritimen Miliz, Fischereiflotte und Küstenwache. Sie haben sie alle als Teil einer Einheit bezeichnet, was sie in der Tat sind, aber das ist nicht offensichtlich.

Letztendlich sind sie Teil der gleichen Einheit. Aber wir wollen das nicht wahrhaben. Wenn es den Chinesen gelungen ist, uns einzureden, dass die Küstenwache oder die maritime Miliz nicht wirklich Teil der chinesischen Staatsmacht seien, sondern einfach nur eine zivile, friedliche Einheit, dann haben sie einen enormen Erfolg gehabt und konnten ganz ohne Kampf gewinnen.

Um das Südchinesische Meer auf diese Weise kontrollieren zu können, haben die Chinesen diese verschiedenen Elemente kombiniert. Selbstverständlich haben sie eine riesige Fischereiflotte, die ideal ist, um Präsenz zu zeigen und sogar Leute aus Gebieten zu vertreiben.

Die Fischereiflotte verfügt über eine Art Vorhut, die maritime Miliz. Sie sehen aus wie Fischerboote, haben aber einen stark verstärkten Rumpf, sind bewaffnet und werden von den chinesischen Kommunisten wie üblich als Muskelpaket eingesetzt.

Man kann sie an vielen Orten einsetzen, man kann dank ihnen eine ständige Präsenz haben, man kann sie einfach an gewissen Orten parken. Einige zivile, private US-Organisationen wie die Asia Maritime Transparency Initiative vom Center for Strategic and International Studies und die Operation eines gewissen Ray Powell haben Fotos von diesen Schiffen gemacht, die in umkämpften Gebieten nebeneinanderliegen und dort geparkt werden. Das ist die maritime Miliz.

Dann gibt es noch die chinesische Küstenwache, deren Schiffe eigentlich für Kriegseinsätze gebaut sind. Sie dienen nicht nur dazu, Fischerboote abzufangen. Einige dieser Schiffe sind riesig. Die Chinesen haben ein 10.000-Tonnen-Schiff der Küstenwache in der Nähe der Philippinen in einem der Gebiete, in denen es zu Gefechten kommt. Zur Einschüchterung ist es dort geparkt. 10.000 Tonnen sind mehr als einige Schiffe der US-Marine. Sie bauen diese Schiffe, um zu kämpfen.

Dann haben wir noch die Volksbefreiungsarmee, die chinesische Marine, mit etwa 350 Schiffen. Die US-Marine hat etwa 290 und es werden weniger. Die Chinesen bauen etwa fünf Schiffe für jedes Schiff, das wir bauen. Ihre Zahl steigt also stark an. Außerdem müssen sie nur ein Gebiet abdecken, das relativ nahe an China liegt. Die US-Marine muss die ganze Welt abdecken.

Die Zahlen sind auf ihrer Seite und man kann sehen, wie sie ihre Präsenz mehr und mehr verstärken können. China hat diese Operationen hauptsächlich mit der Küstenwache, der maritimen Miliz und der Fischereiflotte durchgeführt. Daher sagen sie: „Das hier draußen ist nicht unser Militär. Es handelt sich um eine effektive Strafverfolgung der Küstenwache, und dann auch nur die Fischer.” Wer kann sich darüber schon beschweren?

Aber wenn sie operieren, ist die Volksbefreiungsarmee mit ihrer Marine entweder in der Nähe oder direkt am Horizont zu sehen. Das hat wunderbar funktioniert. Wir im Westen haben gesagt: „Naja, das ist nur die Küstenwache. Wenn wir hier Marineschiffe hinschicken, dann eskaliert das Ganze. Dann sind wir die Schuldigen.“ Für die Chinesen hat das super funktioniert.

Was sind die Auswirkungen von all dem?

Leider ist es meiner Meinung nach die größte Bedrohung für die USA, für die freie Welt, die es zu meinen Lebzeiten je gegeben hat. Sie ist viel schlimmer als das, was wir mit der Sowjetunion erlebt haben.

Die Chinesen haben ein beachtliches Militär aufgebaut. Darüber hinaus haben sie den Vorteil, dass sie ihre Hauptfeinde von ihrer Wirtschaft abhängig gemacht haben, zum Beispiel auch für die Produktion, sowohl bei Pharmazeutika als auch bei militärischen Dingen, die man für die Herstellung von militärischem Sprengstoff braucht, Magnete für F-35-Flugzeuge.

Es gibt natürlich diese wirtschaftliche Komponente, aber es ist fast eine psychologische Abhängigkeit der wirtschaftlichen, politischen und akademischen Elite der USA. Sie alle sind zu der Überzeugung gelangt, dass wir China nicht herausfordern und den Status quo nicht erschüttern können. Es gibt an sich keinen guten Grund, das zu denken, aber die Elite ist zu dieser Überzeugung gelangt.

Diese Abhängigkeit hat zu einer Art elitärer Vereinnahmung geführt. Das bedeutet im Grunde, dass die USA und auch andere Länder, die, aus welchen Gründen auch immer, ihre Interessen in China verankert haben, entweder wissentlich oder unwissentlich China zuarbeiten.

Das ist am Capitol Hill, an der Wall Street und in der Geschäftswelt zu beobachten. Das erschwert es dem Land, sich gegen das zu wehren, was die Chinesen anstreben: regionale und globale Dominanz. Sie haben das sehr deutlich gemacht. Wie gesagt, das ist eine Bedrohung, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe.

Wir haben es an den Punkt kommen lassen, an dem wir möglicherweise verlieren. Es muss nicht so weit kommen, aber wenn wir nicht endlich aufwachen und aufhören, unseren Hauptgegner zu finanzieren, stehen die Chancen für uns nicht gut. Doch zumindest beginnen wir, das Problem klarer zu erkennen. Es ist zwar spät, aber noch können wir hier die Oberhand gewinnen.

Haben Sie noch einen abschließenden Gedanken?

All das mag sich ziemlich düster anhören, vor allem bezüglich des Südchinesischen Meeres, wo es so aussieht, als hätten die Chinesen de facto die Kontrolle und würden sie weiter ausbauen. Aber gleichzeitig ist das Südchinesische Meer, wenn man sich die Geografie der Region ansieht, von Japan über Taiwan und die Philippinen bis hinunter nach Malaysia, aus der Sicht Chinas eine Art Badewanne.

Die von mir erwähnten Nationen, die sogenannte erste Inselkette, sind wie die andere Seite der Badewanne. Sie sind gut bewaffnet und gut verteidigt. China mag die Kontrolle über die Badewanne übernommen haben, aber nicht auf der anderen Seite. Sie haben echte Probleme, das zu erweitern, wenn wir unsere Karten richtig ausspielen. Wir haben ein gutes Blatt. Wir müssen uns nur entscheiden, es zu spielen.

Vielen Dank für das Gespräch!


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