WHO-Pandemievertrag vorerst gescheitert – Plan B: Die Globale Gesundheitsstrategie „One Health“

Nach Abschluss der Verhandlungen in Genf glauben Diplomaten nicht mehr an einen Konsens in diesem Jahr. EU und USA haben einen Plan B vorbereitet. Der britische Brexit-Partei-Gründer Nigel Farage fordert den Austritt seines Landes aus der WHO und eine Neuorganisation.
Tedros Adhanom Ghebreyesus ist der Generaldirektor der WHO.
WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus sieht seinen Wunsch nach einem Abschluss eines Pandemieabkommens zunehmend gefährdet. Trotz Korrekturen im Vertrag gibt es weiterhin Kritik an den Inhalten.Foto: Salvatore Di Nolfi/Keystone/dpa
Von 15. Mai 2024

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Das Pandemieabkommen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist vorerst gescheitert. Zum Abschluss der zweiwöchigen Verhandlungen am Hauptsitz der WHO in Genf gab es keine Einigung zwischen den 194 Mitgliedstaaten auf einen einheitlichen Text. Dasselbe gilt für die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV). Die Verhandlungen laufen seit zwei Jahren.

Weitere Gespräche bis zum Beginn der WHO-Jahrestagung

Knackpunkt war unter anderem, dass einige Hilfsorganisationen und Länder befürchteten, dass bei der aktuellen Ausarbeitung des Kontrakts die Versorgung der ärmeren Nationen nicht gewährleistet würde. Der drohende Verlust der nationalen Souveränität durch Übertragung aller Rechte an die WHO im Pandemiefall ist ein weiterer Aspekt, den Staaten wie Großbritannien oder auch die Slowakei und die Niederlande nicht akzeptieren. In welchem Umfang Impfstoffe und Medikamente kostenfrei oder zu günstigen Preisen den ärmeren Ländern zur Verfügung gestellt werden könnten, blieb ebenfalls ohne Einigung.

So hatte Großbritannien aus diesem Grund in der vergangenen Woche angekündigt, den Pandemievertrag nicht zu unterschreiben. Das Land möchte sich keinem Diktat unterwerfen und selbst Herr über Preise und Verteilung bleiben, hieß es. Epoch Times berichtete über die Entwicklungen ausführlich.

Abkommen ungewiss

Die „Zeit“ beruft sich auf Diplomatenkreise in Genf, die ein Zustandekommen des Pandemievertrages anzweifeln. In jedem Fall sollen die Gespräche bis zum Beginn der Jahrestagung der WHO am Montag, 27. Mai, weitergeführt werden.

Es habe Zugeständnisse seitens der WHO gegeben, schreibt die englischsprachige Ausgabe der Epoch Times. So verschwand aus dem jüngsten Entwurf eine Bestimmung, wonach die Mitgliedstaaten „die WHO als leitende und koordinierende Behörde für die internationale Reaktion auf die öffentliche Gesundheit anerkennen“ und sich verpflichten, die Richtlinien der WHO während eines Gesundheitsnotstands zu befolgen.

Dieser Entwurf besagt auch, dass die Empfehlungen der WHO nicht bindend sind. Das globale Konzept von One Health bleibt jedoch im Pandemievertrag erhalten. Dieses könnte die Autorität der WHO auf neue Bereiche wie Klimawandel, Umwelt, Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung ausdehnen.

WHO-Kritikerin: Sie fürchten Verzögerungen, weil die Menschen aufwachen

Dr. Meryl Nass, eine in den USA ansässige Ärztin und Kritikerin der WHO-Vereinbarungen, sagte gegenüber der Epoch Times, Vorsicht sei weiterhin geboten. „Praktisch alle schlechten Dinge sind immer noch da“, es werde verzweifelt versucht, etwas zu verabschieden.
So haben die WHO und ihre Befürworter, darunter Prominente, Politiker und religiöse Gruppen, eine globale Kampagne gestartet, um die 194 Mitgliedstaaten aufzufordern, die Dokumente zu unterzeichnen. „Geben Sie den Menschen der Welt, den Menschen Ihrer Länder, den Menschen, die Sie vertreten, eine sicherere Zukunft“, sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus auf einem Treffen am 3. Mai in Genf. „Ich habe eine einfache Bitte: Bitte erledigen Sie das für sie.“ Tedros forderte alle Länder, die die Abkommen nicht unterstützen, auf, andere Staaten nicht zu ermutigen, sich dagegenzustellen.

Ex-Premier Gordon Brown: Fake News von Verschwörungstheoretikern

Der WHO-Botschafter und ehemalige britische Premierminister Gordon Brown forderte ein einheitliches globales Vorgehen, um „Fake-News-Desinformationskampagnen von Verschwörungstheoretikern aufzudecken, die versuchen, das internationale Pandemieabkommen zu torpedieren“.

Brown wies zudem Kritik zurück, dass der Pandemievertrag und die Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften jegliche Souveränität der Mitgliedstaaten an die WHO abtreten würden.

Großbritanniens Ex-Premier Gordon Brown bei einer Rede am Institute for Public Policy Research (IPPR). Foto: Victoria Jones/PA Wire/dpa/dpa

Trotz einiger Zugeständnisse in der aktuellen Fassung des Kontrakts stößt er in den USA auf zunehmenden Widerstand. In den vergangenen Monaten verabschiedeten Louisiana und Florida Gesetze, die besagen, dass Staatsbeamte die Richtlinien der WHO nicht befolgen werden. Und andere Bundesstaaten wie Oklahoma erwägen ähnliche Gesetze.

Am 8. Mai 2024 unterzeichneten Generalstaatsanwälte aus 22 Bundesstaaten einen Brief an Präsident Joe Biden, in dem sie ihn aufforderten, die WHO-Vereinbarungen nicht zu unterzeichnen. Sie versicherten, dass sie sich allen Versuchen der WHO, die öffentliche Gesundheitspolitik in ihren Bundesstaaten festzulegen, widersetzen werden.

Farage fordert Austritt Großbritanniens aus WHO

Zu den Skeptikern aus den USA gesellen sich Kritiker aus den Niederlanden, der Slowakei und Großbritannien (Epoch Times). Die Briten akzeptieren unter anderem nicht, dass die WHO die Kontrolle und Verteilung von Medikamenten und Impfstoffen im Pandemiefall weltweit übernehmen will. Nun fordert der Politiker Nigel Farage gar den Austritt seines Landes aus der WHO.

Farage war 2019 Mitbegründer der Brexit-Partei, die Anfang 2021 in Reform UK umbenannt wurde. Gegenüber „The Telegraph“ nannte der 60-Jährige die WHO „ein versagendes, teures, nicht gewähltes, nicht rechenschaftspflichtiges, supranationales Gremium“, das die Nationalstaaten „mit Füßen treten“ wolle, indem es ihnen die Gesundheitspolitik diktiere.

Farage hat sich der internationalen Interessengruppe Action on World Health (AWH) angeschlossen, die mit einer Kampagne die Reform der WHO fordert. Die Organisation habe wiederholt versäumt, die Menschen zu schützen, und nennt anfängliche Falschmeldungen zur Übertragbarkeit von COVID-19 sowie unwirksame Maßnahmen beim Ausbruch von Ebola 2014 in Afrika und beim SARS-Ausbruch 2003 in Asien.

AWH will auch das Budget der WHO von 5,5 Milliarden Pfund kürzen, das hauptsächlich von den USA, Großbritannien und der EU finanziert wird. Damit will die Gruppierung eine „schleichende Mission“ verhindern, wenn die WHO zukünftige COP-Klimakonferenzen nutzt, um hinter verschlossenen Türen Änderungen am Vertrag vorzunehmen. Farage sagte: „Lassen Sie uns eine ordentliche Debatte darüber führen, wofür die WHO da ist.“

EU und USA mit Alternativen zum Pandemieabkommen

Kritiker des Pandemievertrages, die ein globales, totalitäres Konstrukt befürchten, das die Souveränität der Staaten beschneidet und die WHO mit großer Macht versieht, mögen nun frohlocken. Doch scheint es Bestrebungen zu geben, ein weltumspannendes sogenanntes Gesundheitsnetzwerk auch mit anderen Mitteln einzuführen. So haben die Europäische Union und die USA parallel weitere Vereinbarungen auf den Weg gebracht.

In einer Pressemitteilung verkündete die Europäische Kommission bereits am 30. November 2022, dass sie „heute eine neue EU-Strategie für globale Gesundheit angenommen“ hat, „um die globale Gesundheitssicherheit zu stärken und in der sich wandelnden Welt eine bessere Gesundheit für alle zu erreichen“. Mit dieser Strategie baue die EU ihre Führungsrolle aus „und bekräftigt, dass sie es als ihre Verantwortung sieht, große globale Herausforderungen und Ungleichheiten im Gesundheitsbereich frontal anzugehen“.  Ihre Aufgaben sieht die EU im Bereich der globalen Gesundheit und der Bekämpfung von Gesundheitsgefahren. Dabei prägt sie im Zusammenhang mit diesen Aufgaben den neuen Begriff  „Pandemiezeitalter“.

Ein Terminus, der übrigens auch längst Einzug in den Wortschatz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gehalten hat. So postete der SPD-Politiker auf X (vormals Twitter) Ende September ein Foto vom High Level Forum zur Vermeidung von Pandemien, das in Berlin stattfand.

Mit der ihm eigenen Bestimmtheit sagte er: „Wir kommen in das Zeitalter der Pandemien, weil durch Klimawandel und Zerstörung der Biodiversität es immer mehr Ausbrüche von Erregern in Menschen geben wird.“ Das Foto zeigt ihn gemeinsam mit dem Virologen Christian Drosten und Michael Ryan, einem Funktionär der WHO und Exekutivdirektor des bei der Organisation angesiedelten Programms für gesundheitliche Notlagen.

„One Health“ als Leitfaden

Zurück zur EU-Strategie. Die Ziele sind klar definiert und dienen laut dem Leitfaden „Eine Gesundheit“ (One Health) dem Wohl der gesamten Menschheit. Zentral sind Gesundheit und Wohlbefinden „während ihres gesamten Lebens“, starke Gesundheitssysteme, eine universelle Gesundheitsversorgung sowie die Vermeidung und Bekämpfung von Gefahren für das Wohlbefinden, „einschließlich Pandemien“.

Zu den globalen Akteuren dieses Konzeptes gehören verschiedene Akteure wie die Vereinten Nationen (UN) und die WHO. Also hat hier jene Organisation ein weiteres Eisen im Feuer, die gerade mit Pandemievertrag und den Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) von einigen aufsässigen Mitgliedern ausgebremst wird.

Die Instrumente, mit denen die Ziele von „One Health“ erreicht werden sollen, sind hinlänglich bekannt. Sie sind auch Teil des Pandemievertrags. So geht es zuvorderst um einen „gerechteren Zugang zu Impfstoffen“ und die Stärkung der Arzneimittelsysteme. Mit „soliden“ verbindlichen internationalen Regeln will man Pandemien begegnen sowie eine stärkere Überwachung samt besserem Nachweis von Krankheitserregern installieren.

Globale Gesundheitsstrategie unter amerikanischer Kontrolle

Die USA haben mit der „Globalen Gesundheitsstrategie 2024“ Mitte April 2024 ebenfalls eine Alternative zum Pandemievertrag und ein Konzept zur Pandemieprävention auf den Weg gebracht. Dabei behält die US-Regierung – anders als im Pandemieabkommen – stets die Kontrolle über die Aktivitäten.

Sie arbeitet mit 50 Ländern sowie regionalen Einrichtungen zusammen. Zu den wichtigsten Punkten gehört die Stärkung „bilateraler Partnerschaften“ für die „globalen Gesundheitssicherheitskapazitäten“. Das Außenministerium fördere zudem die Fortschritte im Bereich der Gesundheitssicherheit in weiteren 50 Ländern.

Bezüglich der Finanzierung heißt es unter anderem, dass in den im September aufgelegten Pandemiefonds seither bereits 338 Millionen US-Dollar an Zuschüssen an 37 Länder vergeben wurden. In diesem Jahr werden weitere 500 Millionen US-Dollar bereitgestellt, um nationale und regionale Prioritäten von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu unterstützen.

Das Geld fließt in Überwachung, Laborkapazitäten, Arbeitskräfte, Risikokommunikation, Risikomanagement, Engagement der Gemeinschaft für die Pandemievorsorge sowie „One Health“.

Dritter Punkt ist die Stärkung der Verbindungen zwischen Gesundheitssicherheit und ergänzenden Programmen, um die Wirkung zu maximieren.

Bidens Strategiepapier mit Unterstützung von Bill Gates

In dem dazugehörigen und von Präsident Joe Biden unterschriebenen Strategiepapier heißt es einleitend unter anderem: „Diese neue globale Strategie für Gesundheitssicherheit legt die Maßnahmen fest, die die Vereinigten Staaten in den nächsten fünf Jahren ergreifen werden, um sicherzustellen, dass wir diesen Fortschritt fortsetzen und die Ziele erreichen, die im Nationalen Bioverteidigungsstrategie- und Umsetzungsplan meiner Regierung 2022 und im überparteilichen Global Health Security and International Pandemic Prevention, Preparedness and Response Act von 2022 festgelegt sind.“

Durch Investitionen und die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern würden Kapazitäten zur Prävention, Erkennung und Reaktion auf biologische Bedrohungen, „wo immer sie auftreten“, weiter ausgebaut. Es werde mehr Unterstützung für diese Bemühungen von anderen Ländern, dem Privatsektor und der Zivilgesellschaft benötigt, um eine langfristige Wirkung zu erzielen.

„Wir stehen an einem Wendepunkt in der Geschichte, an dem die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, den Kurs unserer Zukunft für die kommenden Jahrzehnte bestimmen werden“, so Biden in der Einführung. „Die neue Globale Gesundheitssicherheitsstrategie wird sicherstellen, dass wir in diesem kritischen Moment wachsam gegenüber möglichen Bedrohungen bleiben und dazu beitragen, einen sichereren, nachhaltigeren und gesünderen Kurs für unsere Bevölkerung und für die Menschen auf der ganzen Welt festzulegen.“

Auf Seite drei des Papiers tauchen altbekannte Namen als Geldgeber auf, so etwa die Impfallianz Gavi von Bill Gates oder die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), zu deren Mitbegründern ebenfalls die Gates Foundation gehört. Zwei Milliarden Euro seien bereits in den Pandemiefonds geflossen, heißt es weiter, gespeist von insgesamt 27 Gebern, „darunter Länder, Stiftungen und Philanthropen“.

Die USA seien führend bei den Bemühungen, „sicherzustellen, dass internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbankgruppe die Kreditvergabe für die Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion ausweiten, da Gesundheitssicherheit, wirtschaftliche Sicherheit, Klimasicherheit und nationale Sicherheit alle miteinander verbunden sind“.



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