Wer leitet die Rebellen? Der „pragmatische Radikale“ al-Dscholani

Der heutige Chef des HTS ist Abu Mohammed Al-Dscholani. Seine Gruppe nahm gemeinsam mit Verbündeten Damaskus ein. Jahrelang hatte Al-Dscholani im Verborgenen agiert. Wer ist er?
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Regimegegner am 8. Dezember 2024 auf dem Umayyad-Platz in Damaskus. Die von Islamisten angeführten Rebellen erklärten am 8. Dezember, dass sie Damaskus eingenommen haben, wodurch Präsident Bashar al-Assad in die Flucht geschlagen wurde.Foto: Louai Beshara/AFP via Getty Images
Epoch Times8. Dezember 2024

Der Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad war das große Ziel von Abu Mohammed al-Dscholani.

Am Sonntag sind al-Dscholanis islamistische Kämpfer in Syriens Machtzentrum, die Hauptstadt Damaskus, eingedrungen und haben die Stadt „für frei“ erklärt – 13 Jahre, nachdem Assad Proteste gegen die Regierung im Land mit Gewalt hatte niederschlagen lassen.

Al-Dscholani ist der heutige Chef des früheren Hajat Tahrir al-Scham (HTS), eines früheren Zweigs des Terrornetzwerks Al-Kaida in Syrien. Die HTS-Kämpfer und verbündete Gruppen hatten nach Jahren des weitgehenden Stillstands im syrischen Bürgerkrieg am 27. November überraschend eine Großoffensive gegen die Regierungstruppen gestartet.

HTS als Terrororganisation eingestuft

Jahrelang hatte Al-Dscholani im Verborgenen agiert. Heute steht er im Rampenlicht, gibt Erklärungen ab und spricht mit internationalen Medien. Den Turban der Dschihadisten, den er noch zu Beginn des syrischen Krieges im Jahr 2011 trug, legte er nach und nach ab – zugunsten einer Militäruniform.

Seit seinem Bruch mit Al-Kaida im Jahr 2016 versucht al-Dscholani, sein Image zu glätten und sich moderater zu zeigen. Experten und westliche Regierungen überzeugt das nicht. Sie stufen die HTS als Terrorgruppe ein.

Der Wissenschaftler Thomas Pierret von Frankreichs nationalem Forschungsinstitut CNRS nennt ihn einen „pragmatischen Radikalen“. 2014 sei al-Dscholani auf dem Höhepunkt seiner Radikalität gewesen, sagt der Experte und verweist darauf, dass er sich damals gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) habe durchsetzen wollen. Seitdem habe er „seine Rhetorik gemildert“.

Geheime Predigten und Kampf für Al-Kaida

Der 1982 geborene al-Dscholani wuchs in Masseh auf, einem gutbetuchten Stadtteil von Damaskus. Er stammt aus einer wohlhabenden Familie und war ein guter Schüler. Während der aktuellen Offensive fing er an, seinen bürgerlichen Namen zu nutzen: Ahmed al-Scharaa.

Karte der wichtigsten Städte Syriens. Foto: gemeinfrei. Quelle der Daten „World Factbook der CIA“

2021 sagte er dem US-Fernsehnetzwerk PBS, dass sein Kampfname Bezug nehme auf die Wurzeln seiner Familie auf den Golanhöhen. Seinen Angaben zufolge war sein Großvater nach der israelischen Annexion der Gegend im Jahr 1967 zur Flucht gezwungen worden.

Nach einem Bericht der Website „Middle East Eye“ fühlte sich al-Dscholani erstmals nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zum Gedankengut der Dschihadisten hingezogen. Er habe an „geheimen Predigten und Podiumsdiskussionen in abgehängten Vororten von Damaskus“ teilgenommen.

Nach der US-geführten Invasion im Irak verließ er Syrien, um im Nachbarland zu kämpfen. Im Irak schloss sich der heutige HTS-Chef Al-Kaida an und wurde anschließend fünf Jahre inhaftiert.

Gründer des syrischen Ablegers von Al-Kaida

Im März 2011, als die Revolte gegen Assads Regierung in Syrien begann, kehrte er in sein Heimatland zurück und gründete die Al-Nusra-Front – den syrischen Ableger von Al-Kaida, aus dem später die HTS hervorging. 2013 weigerte er sich, Abu Bakral-Baghdadi, dem späteren Emir des IS, die Treue zu schwören. Stattdessen versicherte er dem Emir von Al-Kaida, Ayman al-Sawahiri, seine Loyalität.

Im Mai 2015 gab al-Dscholani an, dass er im Gegensatz zum IS nicht die Absicht habe, Anschläge gegen den Westen auszuführen. Auch erklärte er, dass es im Fall einer Niederlage Assads keine Angriffe aus Rache gegen die alawitische Minderheit geben werde, der Assads Familie entstammt.

Als al-Dscholani die Verbindungen zu Al-Kaida kappt, erklärt er, dies zu tun, um dem Westen keine Gründe zu geben, seine Organisation anzugreifen. Nach Angaben von Pierret hat er seidem versucht, sich auf den Weg zu einem „aufstrebenden Staatsmann“ zu begeben.

Syrische Einwohner in der Türkei feiern am 8. Dezember 2024 in der Fatih-Moschee in Istanbul das Ende der Assad-Herrschaft in Syrien. Foto: Yasin Akgul/AFP via Getty Images

Im Nordwesten Syriens zwang al-Dscholani rivalisierenden islamistischen Gruppen im Januar 2017 einen Zusammenschluss mit der HTS auf und beanspruchte damit die Kontrolle über weite Teile der nordwestsyrischen Provinz Idlib. HTS baute in den von ihr kontrollierten Gegenden eine zivile Regierung auf und richtete eine Art Staat in Idlib ein, während sie zugleich ihre Rivalen zerschlug.

Aleppos christliche Minderheit hat Angst

HTS wurden in dieser Zeit von Bewohnern und Menschenrechtsgruppen brutales Vorgehen gegen Andersdenkende vorgeworfen – die Vereinten Nationen stufen diese als Kriegsverbrechen ein.

Womöglich im Wissen um die Angst und den Hass, den seine Miliz hervorrief, hat al-Dscholani sich an die Bewohner von Aleppo gerichtet, um ihnen zu versichern, dass ihnen nichts passieren werde. In Aleppo gibt es eine große christliche Minderheit. Außerdem rief er seine Kämpfer dazu auf, die Sicherheit in den nun eingenommenen Gebieten zu gewährleisten.

Das sei zunächst einmal ein politisch gutes Vorgehen, erklärte Aron Lund von der Denkfabrik Century International. „Je weniger Panik auf lokaler und internationaler Ebene herrscht und je mehr al-Dscholani wie ein verantwortungsbewusster Akteur und nicht wie ein toxischer Dschihad-Extremist erscheint, desto einfacher wird seine Aufgabe. Ist er völlig aufrichtig? Sicherlich nicht“, sagte er. „Aber es ist das Klügste, was man im Moment sagen und tun kann.“ (afp/red)



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