Weitere Luftangriffe, halbnackte Gefangene: Der Krieg in Israel geht weiter

Eine Resolution im UN-Sicherheitsrat zur Lage in Israel und Gaza führte zu keinem Ergebnis. Eine sofortige Waffenruhe sei „realitätsfremd“ und „hätte vor Ort nichts verändert“ – weil die Hamas keinen Wunsch nach einem dauerhaften Frieden habe, so die USA. Huthi-Rebellen drohen eine Blockade des Roten Meeres für Schiffe nach Israel an.
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Die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen hindern Schiffe jeglicher Nationalität auf dem Weg nach Israel an der Durchfahrt im Roten Meer. Dieser Screenshot aus einem Video stammt aus der Übernahme des britischen Frachtschiffs „Galaxy Leader“ mit 52 Menschen an Bord.Foto: Huthi-Rebellen über Getty Images
Von 10. Dezember 2023

Der Gaza-Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas im Gazastreifen geht auch in der neunten Woche unvermindert weiter. In der südlichen Stadt Chan Junis, die als Hochburg der Hamas gilt, sowie in Dschabalia im Norden Gazas habe die israelische Armee ihre Angriffe in der Nacht zum Sonntag fortgesetzt, meldete die „Times of Israel“ unter Berufung auf palästinensische Berichte.

Man habe inzwischen etwa 7.000 Hamas-Terroristen getötet, hatte am Vorabend Israels Nationaler Sicherheitsberater Zachi Hanegbi dem Sender „Channel 12“ gesagt. Israel sucht vor allem Hamas-Chef Jihia al-Sinwar – dieser wolle, dass die Hamas bis zum bitteren Ende kämpft.

Eine Quelle aus dem Umfeld der Hamas und des Islamischen Dschihad sagte der Nachrichtenagentur AFP, Kämpfer beider Islamistengruppen lieferten sich rund um Chan Junis „heftige Kämpfe“ mit der israelischen Armee. Nach Angaben von Israels Generalstabschef Herzi Halevi „intensivierte“ die Armee dort ihre Offensive. „Wir müssen den Druck erhöhen“, sagte Halevi am Samstagabend.

Gefangene und ein Video

Sinwar soll sich kurz nach Beginn des Krieges in einem Hilfskonvoi in den Süden des abgeriegelten Küstenstreifens abgesetzt haben, meldeten israelische Zeitungen unter Berufung auf Informationen des Senders „Kan“.

In der Nacht zum Sonntag kursierte ein Video aus dem nördlichen Gazastreifen im Internet, auf dem laut der „Times of Israel“ ein mutmaßlicher Hamas-Kämpfer zu sehen sei. Der Mann tritt aus einer Reihe Männer, die wie er nur mit Unterhose bekleidet sind, mit erhobener Waffe hervor, geht an einem Panzer vorbei und legt sie vor einem israelischen Soldaten nieder.

Die Szene zeige, wie sich die Männer den israelischen Truppen ergeben, hieß es in dem Bericht. Ihre Identität konnte noch nicht unabhängig überprüft werden.

Israels Armee hat die in Onlinediensten geäußerte Empörung darüber zurückgewiesen. Es handele sich um Routinekontrollen, erklärte die israelische Armee am Sonntag. Bei ihrem seit zwei Monaten andauernden Militäreinsatz gegen die radikalislamische Hamas im Gazastreifen sei es „notwendig, dass Terrorverdächtige ihre Kleidung abgeben, damit sie durchsucht werden können und um sicherzustellen, dass sie keine Sprengstoffwesten oder andere Waffen verstecken“, hieß es.

Die israelischen Streitkräfte im Gazastreifen würden an „terroristischen Aktivitäten“ beteiligte Verdächtige festnehmen und verhören, erklärte die Armee weiter. Die Gefangenen würden im Einklang mit dem Völkerrecht behandelt. Personen, die nachweislich nicht an „terroristischen Aktivitäten“ beteiligt seien, würden freigelassen.

Die Aufnahmen lösten in den Onlinenetzwerken empörte Reaktionen aus. Eine erste Überprüfung durch den Faktencheck der Nachrichtenagentur AFP ergab, dass eine der Szenen in Beit Lahia im Norden des Gazastreifens gefilmt wurde. Eine genaue Lokalisierung des Materials war demnach aber schwierig. Im weiteren Clip war der Arm eines Soldaten im Vordergrund zu sehen, was darauf hindeutet, dass das Vorgehen von einem Angehörigen der israelischen Streitkräfte gefilmt wurde.

Israels Armee: Rücken an Kommandozentralen heran

Israelische Einheiten seien sehr nah an Kommandozentralen der Hamas in Dschabalia und Schedschaija herangerückt, sagte derweil Zachi Hanegbi. Eine totale Niederlage der Hamas werde auch den Weg zur Befreiung von derzeit noch 138 Geiseln aus der Gewalt der Islamisten frei machen.

Der ehemalige Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Yuval Diskin, übt scharfe Kritik an Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Dieser müsse „bezahlen“ für das, was er „seinem Land angetan“ habe, sagte Diskin dem „Spiegel“. Die maßgeblich von Netanjahu bestimmte Politik der vergangenen Jahre habe solch ein Massaker auf israelischem Terrain erst ermöglicht; für Diskin ein Staatsversagen sondergleichen.

Der Angriff der Hamas sei nicht denkbar ohne die Entwicklungen in Israel in den vergangenen Jahren. Diskin hatte wiederholt vor extremistischen Strömungen in der israelischen Politik und Gesellschaft gewarnt. Netanjahus Ziel, die Hamas auszulöschen, werde mit militärischen Mitteln allein im Gazastreifen nicht zu erreichen sein, so Diskin. Um die Sicherheit Israels auf lange Sicht zu garantieren, gebe es „nur eine Sache: Frieden“.

Das US-Außenministerium treibt unterdessen den Verkauf von knapp 14.000 Schuss Panzermunition an Israel voran und umgeht dabei ein Prüfverfahren im US-Kongress, das normalerweise bei Waffenverkäufen an andere Staaten vorgeschrieben ist. Das Ministerium beruft sich dabei auf eine Dringlichkeitsklausel im Waffenexportkontrollgesetz, wie aus einer am Samstag veröffentlichten Mitteilung hervorgeht.

Sofortige Waffenruhe „realitätsfremd“ – Hamas hat keinen Wunsch nach dauerhaftem Frieden

Am Freitag war eine Resolution im UN-Sicherheitsrat über eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen am Veto der USA gescheitert. Für den von den Vereinigten Arabischen Emiraten eingebrachten Resolutionsentwurf votierten 13 der 15 Mitgliedstaaten. Großbritannien enthielt sich, Frankreich stimmte zu.

Einzig die USA, die als eines der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats ein Vetorecht haben, stimmten dagegen. Eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen sei „realitätsfremd“ und „hätte vor Ort nichts verändert“, sagte der stellvertretende UN-Botschafter der USA, Robert Wood.

Außerdem würde eine Waffenruhe der Hamas erlauben, „zu wiederholen, was sie am 7. Oktober getan hat“. Eine sofortige Waffenruhe würde lediglich „die Saat für einen zukünftigen Krieg pflanzen, denn die Hamas hat keinen Wunsch nach einem dauerhaften Frieden“, sagte der US-Diplomat weiter.

Netanjahu begrüßte die Haltung der USA und kündigte die Fortsetzung des Kriegs gegen die Hamas an. Die anderen Länder müssten begreifen, dass „man nicht die Vernichtung der Hamas unterstützen und gleichzeitig ein Ende des Krieges fordern kann, was die Vernichtung der Hamas verhindern würde“, sagte Netanjahu am Samstag in einer Videobotschaft. „Deshalb wird Israel seinen gerechten Krieg fortsetzen, um die Hamas zu vernichten und die restlichen Kriegsziele zu erreichen.“

Guterres spricht von „Lähmung“ des UN-Sicherheitsrates

UN-Generalsekretär António Guterres warb vor der Abstimmung eindringlich für eine Waffenruhe im Gazastreifen. Er beklagt eine „Lähmung“ des UN-Sicherheitsrates. In einer Rede auf dem Doha Forum im Emirat Katar sagte Guterres am Sonntag, das höchste UN-Gremium sei „durch geostrategische Spaltungen gelähmt“ und daher nicht in der Lage, Lösungen für ein Ende des durch den Hamas-Angriff auf Israel ausgelösten Krieges gegen die islamistische Palästinenserorganisation zu finden.

Die „Autorität und die Glaubwürdigkeit“ des UN-Sicherheitsrates seien durch die verzögerte Reaktion auf den Gaza-Krieg „ernsthaft untergraben“ worden, sagte Guterres. Er habe seinen Appell für eine humanitäre Waffenruhe wiederholt. Bedauerlicherweise habe es der UN-Sicherheitsrat aber „versäumt“, ihn umzusetzen.

Die Emirate zeigten sich ebenfalls „zutiefst enttäuscht“ über die Blockade der USA. Auch der französische UN-Botschafter äußerte sich enttäuscht, ebenso wie eine Reihe von NGOs, darunter Ärzte ohne Grenzen und Human Rights Watch.

Huthi-Rebellen drohen Blockade für Schiffe nach Israel an

Die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen haben derweil gedroht, künftig Schiffe jeglicher Nationalität auf dem Weg nach Israel an der Durchfahrt im Roten Meer zu hindern. In einer Erklärung vom Samstagabend hieß es, nur Frachtern, die Hilfsgüter für den Gazastreifen lieferten, würde die Durchfahrt gewährt.

Alle anderen würden zu „legitimen Zielen unserer Streitkräfte“. Die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen greifen Israel seit Ausbruch des Gaza-Krieges immer wieder unter anderem mit Drohnen und Raketen an. Ein US-Zerstörer hatte in der vergangenen Woche drei Drohnen abgeschossen, als er Handelsschiffen im Roten Meer zu Hilfe kam, die vom Jemen aus attackiert wurden.

Eine französische Fregatte hat am späten Samstagsabend nach Armeeangaben im Roten Meer zwei aus dem Jemen abgefeuerte Drohnen abgefangen. Die Drohnen seien von der Küste aus in Richtung der „Languedoc“ geflogen, teilte der französische Generalstab mit. Sie seien als Bedrohung eingeschätzt und zerstört worden.

Die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen sehen sich als Teil der gegen Israel gerichteten selbst ernannten „Achse des Widerstands“. Dazu gehören auch weitere vom Iran unterstützte Gruppen wie die radikalislamische Hamas und die schiitisch-islamistische Hisbollah-Miliz im Libanon.

Katar bemüht sich weiterhin um Geiseln

Die Vermittlungsbemühungen um eine neue Feuerpause und die Freilassung weiterer Geiseln aus dem Gazastreifen gehen nach Angaben aus Katar weiter. „Unsere Bemühungen als Staat Katar zusammen mit unseren Partnern gehen weiter. Wir werden nicht aufgeben“, sagte Scheich Mohammed bin Abdulrahman al-Thani am Sonntag beim Doha Forum in der katarischen Hauptstadt. Er fügte hinzu, dass die Fortsetzung der israelischen Luftangriffe das Zeitfenster für ein erfolgreiches Ergebnis „verkleinert“.

Katar war ein wichtiger Vermittler der Verhandlungen, die zu einer siebentägigen Feuerpause im Gaza-Krieg, der Freilassung zahlreicher von der islamistischen Hamas verschleppter Geiseln sowie palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen und humanitären Hilfslieferungen in den Gazastreifen geführt hatten. Am 1. Dezember lief die Feuerpause aus.

„Wir werden weitermachen, wir setzen uns für die Freilassung der Geiseln ein, aber wir setzen uns auch dafür ein, den Krieg zu beenden“, sagte al-Thani. Aber „wir sehen nicht dieselbe Bereitschaft von beiden Parteien“, fügte er hinzu.

Kundgebungen auf beiden Seiten

In einem von einem israelischen Angriff schwer beschädigten Viertel von Rafah gab es am Samstag Proteste gegen die gescheiterte UN-Resolution. „Wann hat sich schon jemals eine Resolution des UN-Sicherheitsrats für unsere Sache und das palästinensische Volk eingesetzt“, sagte einer der Demonstranten, Mohammed Al-Chatib.

Bei einer Kundgebung in Tel Aviv forderten derweil Hunderte Menschen die Freilassung der 137 Geiseln, die nach israelischen Angaben weiterhin von der Hamas im Gazastreifen festgehalten werden. „Bringt sie jetzt nach Hause“, forderten die Demonstranten.

Durch die Kämpfe wurden etwa 1,9 Millionen Menschen im Gazastreifen vertrieben. Die Region Rafah entlang der Grenze zu Ägypten wurde zu einem riesigen Flüchtlingslager. Aufgrund der Überfüllung und der schlechten sanitären Bedingungen in den Unterkünften des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) breiten sich dort Krankheiten aus.

Die Lage palästinensischer Zivilisten sei unerträglich, so die UN. Demnach sei die Hälfte der Bevölkerung im Gazastreifen inzwischen am Hungern. Berichten zufolge trinken Kinder Meerwasser aus Mangel an sauberem Trinkwasser.

Ägyptenwahl von Krieg überschattet

Der Gaza-Krieg überschattet auch Ägyptens Präsidentenwahl, die am Sonntag beginnt. In Ägypten gibt es die Sorge, dass die zu seinem Land gehörende und an Gaza grenzende Sinai-Halbinsel zum Ausgangsort neuer Angriffe auf Israel werden könnte, wenn Bewohner des Küstenstreifens wegen des Krieges dorthin flüchten. Gleichzeitig befürchtet die Regierung in Kairo, dass aus einer Massenflucht eine dauerhafte Vertreibung werden könnte.

Bei dem bis Dienstag dauernden Urnengang gilt die Bestätigung von Staatschef Abdel Fattah al-Sisi für eine dritte Amtszeit als sicher. Seinen drei Gegenkandidaten werden kaum Chancen eingeräumt. Der ehemalige Armeechef, der 2013 den demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi von den islamistischen Muslimbrüdern abgesetzt hatte, wurde bei Wahlen 2014 und 2018 mit jeweils 96 Prozent im Amt bestätigt.

Seit dem Amtsantritt von al-Sisi geht die ägyptische Führung mit aller Härte gegen die Opposition vor. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung wurden Tausende Islamisten, Aktivisten und Blogger inhaftiert. Das Land mit seinen fast 106 Millionen Einwohnern befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise. Das Ergebnis der Präsidentenwahl wird am 18. Dezember bekannt gegeben.

(Mit Material von afp und dpa)



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