Warum Amerikas Wirtschaftszahlen trügen: Ein Blick hinter die Kulissen
Von einer Vibrezession sprechen Ökonomen, wenn die Stimmung in einer Wirtschaft kippt – von Optimismus und Wachstum hin zu Unsicherheit und Zurückhaltung.
Es ist kein klassischer Wirtschaftsabschwung, sondern eher ein emotionaler Wandel, der durch Faktoren wie sinkendes Vertrauen, negative Marktprognosen oder politische Unsicherheiten ausgelöst wird. Solche Phasen prägen oft das Verhalten von Unternehmen und Verbrauchern und können wirtschaftliche Entscheidungen stärker beeinflussen als die tatsächliche Lage der Wirtschaft.
Genau diesen Zustand erlebt gegenwärtig die USA. Das Land erlebt eine große Diskrepanz zwischen den Gefühlen der Amerikaner hinsichtlich der Wirtschaft und den tatsächlichen Wirtschaftsdaten.
Angekündigte Rezession blieb aus
Schauen wir in das Jahr 2022: Bei den meisten Analysten galt damals als ausgemacht, dass die USA sich auf dem Weg in eine Rezession befinden. Steven Rattner, Investor und ein wichtiger Berater unter Präsident Barack Obama, hatte damals eine düstere Prognose: Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) habe viel zu spät damit begonnen, die Zinsen zu erhöhen. Zwar stehe eine Rezession nicht unmittelbar bevor. Doch sie zeichne sich ab in den kommenden eineinhalb bis zwei Jahren.
In diesem Zusammenhang verwies Rattner damals auf eine Analyse des früheren US-Finanzministers und Harvard-Professors Larry Summers: Immer wenn in den vergangenen 75 Jahren die Inflation höher war als 4 Prozent und die Arbeitslosenquote unterhalb der Fünf-Prozent-Marke lag, folgte innerhalb von zwei Jahren eine Rezession, analysierte der Professor.
Diese Faustformel, so Rattner, lasse sich auch auf die Anleihemärkte ableiten: „Wenn die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen unter die der zweijährigen Anleihen fallen, dann folgt im Schnitt eine Rezession innerhalb der nächsten 18 Monate.“
Nun, Ende 2024, kann man feststellen, dass die Rezession der US-Wirtschaft bisher ausgeblieben ist. Anstatt in die Krise abzurutschen, geht es der Wirtschaft gut – zumindest wenn man sich die Zahlen anschaut.
BIP, Arbeitsmarkt und Inflationsrate zeugen von Erfolg
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) belief sich 2022 auf 25,74 Billionen US-Dollar. Für das Ende dieses Jahres erwarten Analysten einen Anstieg auf 29,17 Billionen US-Dollar, was ein solides Wachstum der US-Wirtschaft zeigt. Auch der Arbeitsmarkt präsentierte sich zuletzt insgesamt robust, obwohl die Arbeitslosenquote im November bei 4,2 Prozent lag und die Zahl der Arbeitslosen auf 7,15 Millionen gestiegen ist. Dieser Anstieg resultiert jedoch teilweise aus externen Faktoren.
Die jüngsten Herausforderungen am US-Arbeitsmarkt wurden maßgeblich von Sonderfaktoren beeinflusst, darunter ein Streik in der Luftfahrtindustrie sowie die Auswirkungen der Hurrikans Helene und Milton in den Südstaaten. Schätzungen zufolge könnten diese Ereignisse mindestens 100.000 Arbeitsplätze gekostet haben.
Die Inflationsrate, die im März 2022 mit 8,5 Prozent ihren Höchststand erreichte, hat sich bis November dieses Jahres auf 2,7 Prozent abgeschwächt. Dennoch bleibt die Frage: Warum empfinden dennoch viele Menschen in den USA große Unzufriedenheit mit der Wirtschaftslage ihres Landes, trotz dieser positiven makroökonomischen Entwicklungen?
Kurz vor Weihnachten verkündete Fed-Chef Jerome Powell, dass die US-Notenbank den Zinsschritt noch einmal senken wird. Auf der anschließenden Pressekonferenz wurde Powell gefragt, wie es zu dem feststellbaren Pessimismus der US-Amerikaner im Hinblick auf die Wirtschaft kommen kann. Powell führte diese Unzufriedenheit auf die „enormen Schmerzen“ der Menschen durch die hohen Preise zurück.
„Die Preise sind stark gestiegen, und die Leute spüren das wirklich, und zwar bei den Preisen für Lebensmittel, Transport, Heizen und dergleichen. Dieser Inflationsschub, der weltweit stattfand, hat also enorme Schmerzen verursacht“, sagte Powell. „Die Inflation selbst ist zwar deutlich gesunken, aber die Menschen spüren immer noch die hohen Preise.“
„Bidenomics“ kam bei vielen Amerikanern nicht an
Tatsächlich sind die Verbraucherpreise um etwa 21 Prozent gestiegen. Die Erzeugerpreise, also die Preise, die auf Großhandelsebene für Waren und Dienstleistungen zu zahlen sind, stiegen sogar um 24 Prozent. Gleichzeitig ist die Kaufkraft der Amerikaner um 17 Prozent gesunken.
Die Biden-Regierung ignorierte diese Entwicklung lange Zeit. Unter dem Schlagwort „Bidenomics“ feierten die US-Demokraten die Wirtschafts- und Industriepolitik der Regierung. Viele Menschen im Land haben jedoch den Eindruck, dass dieses gefeierte Wachstum bei ihnen nicht ankommt.
„Es gibt eine Diskrepanz zwischen der feststellbaren makroökonomischen positiven Situation und den Umfragen in den USA, in denen die Menschen negativ auf die Wirtschaft blicken und sich Sorgen über die Zukunft machen“, sagte Laura von Daniels, Leiterin der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) schon im Juli gegenüber der „Tagesschau“. Das habe auch mit Einkommensunterschieden und individuellen Wachstumschancen der Haushalte zu tun. „Gerade bei Dienstleistungen, Energie und Benzin gab es seit 2019 drastische Preissprünge“, so die Expertin. Das habe Einfluss auf die Wahrnehmung einzelner Amerikaner, weil unterere Einkommensgruppen proportional stärker darunter leiden.
Laut Zahlen der US-Regierung aus dem Oktober stiegen die Entgelte in den vergangenen zwölf Monaten im Durchschnitt um 4 Prozent. Nach Abzug der Inflationsrate von zuletzt 2,5 Prozent bleibt eine reale Lohnsteigerung von lediglich 1,5 Prozent.
Vergleicht man diese reale Lohnentwicklung, stehen deutsche Arbeitnehmer sogar etwas besser da. Laut dem Statistischen Bundesamt in Wiesbaden sind die Entgelte im dritten Quartal 2024 (die letzten aktuell vorliegenden Zahlen) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,9 Prozent gestiegen, bei einer Inflationsrate von 1,9 Prozent. Real verdienten deutsche Arbeitnehmer im Jahresvergleich also 2,9 Prozent mehr und konnten ihr Gehalt im Durchschnitt stärker steigern als die Amerikaner.
Viele Haushalte in den USA haben angesichts dieser Situation große Mühe, ihre Lebenshaltungskosten Monat für Monat zu bestreiten.
Positive Zahlen verbergen große Gegensätze
„Es ist ratsam, sich nicht ausschließlich auf die offiziellen Daten und Aussagen der Regierung unter Präsident Biden zu verlassen“, riet Josef Braml, European Director der Denkfabrik Trilateral Kommission im Juli im Gespräch mit der „Tagesschau“. Die Zahlen seien häufig nicht repräsentativ für die gesamte Realität der Bevölkerung. „Die scheinbar positiven Durchschnittswerte verbergen oft extreme Gegensätze in Bereichen wie Einkommensverteilung, Vermögensungleichheit und Bildungschancen.“
Dazu komme, so Braml weiter, dass „Bidens interventionistische und protektionistische Wirtschaftspolitik“ die Inflation verstärkt habe. Diese Einschätzung wird auch von Larry Summers geteilt, der den Demokraten nahesteht. „Der weitere Anstieg der Inflation mag zwar gebremst worden sein, aber die bisherigen Preiserhöhungen bleiben, sodass viele Amerikaner einen enormen Verlust ihrer Kaufkraft erleben“, zitiert die „Tagesschau“ den ehemaligen Finanzminister unter US-Präsident Bill Clinton. Einige greifen dem Harvard-Professor zufolge auf ihre Ersparnisse zurück, andere verschulden sich zunehmend.
„Die steigenden Zinsen, die als Reaktion auf die Inflationserwartungen notwendig wurden, schwächen zusätzlich die Kaufkraft und die Konsumneigung“, meint European Director Braml.
Hat Biden-Regierung Zahlen geschönt?
Einige Ökonomen gehen sogar einen Schritt weiter und behaupten, dass die Inflation möglicherweise zu niedrig und das Wachstum zu hoch angegeben worden sei.
Im Oktober veröffentlichten die Ökonomen EJ Antoni und Peter St Onge eine Studie im „Brownstone Journal“, in der sie zum Schluss kamen, dass die kumulierte Inflation um fast die Hälfte zu niedrig angegeben worden sei und das kumulierte Wachstum möglicherweise „um rund 15 Prozent zu hoch angegeben“ worden sei.
„Selbst ohne Berücksichtigung des Bevölkerungswachstums und des BIP pro Kopf deuten die bereinigten realen BIP-Werte darauf hin, dass das Land im ersten Quartal 2022 in eine Rezession geriet und bis zum zweiten Quartal 2024 in dieser Kontraktion verblieb“, schrieben sie.
Dennoch deuten die offiziellen Daten der US-Regierung darauf hin, dass die Wachstumsaussichten selbst in einem Umfeld höherer Zinsen und geopolitischer Risiken robust sind.
Die höheren Preise, einhergehend mit dem schwachen Anstieg der Reallöhne, haben bei vielen Menschen also zur düsteren Einschätzung der Wirtschaft geführt. Aus den Umfragedaten von „NBC News“ geht hervor, dass am Wahltag im November fast die Hälfte (45 Prozent) der Wähler angab, dass es ihnen finanziell schlechter ginge als vier Jahre zuvor.
Zukunft beurteilen Amerikaner positiver
In die Zukunft schauen die Amerikaner aber offenbar optimistischer. Einer aktuellen Umfrage des Verbraucherfinanzdienstleistungsunternehmens „Bankrate“ zufolge glauben 44 Prozent der Amerikaner, dass sich ihre persönliche finanzielle Situation im nächsten Jahr verbessern wird; Ende 2023 waren es nur 37 Prozent.
Als das wichtigste finanzielle Ziel der Amerikaner benennen 21 Prozent der Befragten, ihre Schulden abzubauen.
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