Wahlen in Venezuela: Politische Wende oder neues Chaos?
Nach Jahren politischer Verwerfungen und inmitten einer fortdauernden Wirtschaftskrise finden am Sonntag, 28. Juli, in Venezuela Präsidentschaftswahlen statt. Seit 1999 wird das ehemals reiche Ölexportland sozialistisch regiert.
Seit dem Tod des Führers der „Bolivarischen Revolution“, Hugo Chávez im Jahr 2013 regiert dessen langjähriger Vertrauter Nicolás Maduro. Er bewirbt sich um seine mittlerweile dritte Amtszeit.
Als sein aussichtsreichster Gegenkandidat gilt der frühere Diplomat Edmundo González Urrutia, der für die „Einheitsplattform“ ins Rennen geht. Er ist der Ersatzkandidat für die Oppositionsführerin María Corina Machado, die infolge von Korruptionsvorwürfen nicht zur Wahl zugelassen wurde.
Die Opposition spricht von einer politisch motivierten Entscheidung. Die USA haben infolge des Ausschlusses ihre Sanktionen gegen venezolanische Ölexporte wieder aufgenommen. Diese hatten sie zuvor gelockert, nachdem Regierung und Opposition Ende des Vorjahres eine Vereinbarung mit Blick auf die Wahlen getroffen hatten.
Mehr als sieben Millionen Menschen aus Venezuela geflüchtet
Laut dem Anfang Juli veröffentlichten Wählerverzeichnis des zentralen Wahlbüros CNE sind 21.392.464 Personen wahlberechtigt. Allerdings werden sich bei Weitem nicht alle von diesen an dem Urnengang beteiligen.
Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der UNO befinden sich nicht weniger als 7,7 Millionen Venezolaner außerhalb der Landesgrenzen. Mindestens drei bis vier Millionen seien grundsätzlich wahlberechtigt.
Bei den meisten davon handelt es sich um Flüchtlinge, die vor den Zuständen im Land ins Ausland geflohen waren. Die meisten davon halten sich in Kolumbien, Peru, Ecuador oder Chile auf.
Von ihnen werden nur wenige die tatsächliche Möglichkeit haben, abzustimmen. Berichten zufolge sollen nur 69.000 Venezolaner in der Lage sein, vom Ausland aus an der Wahl teilzunehmen.
Ein erschwerender Faktor ist dabei, dass viele westliche Länder Maduro bereits seit 2019 nicht mehr als legitimen Präsidenten anerkennen. Ihm wird vorgeworfen, das gewählte Parlament durch eine willkürlich zusammengesetzte „Verfassungsgebende Versammlung“ ersetzt zu haben.
Die Wahlen 2019 sind nach westlicher Auffassung nicht fair gewesen. In den Ländern, die deshalb keine offiziellen diplomatischen Verbindungen mit Venezuela aufweisen, war eine Registrierung für die Wahlen kaum möglich.
Führung verbreitet Angst vor Blutvergießen im Fall eines Sieges der Opposition
Dieser Faktor könnte auch jetzt dem Amtsinhaber zugutekommen – obwohl die Unzufriedenheit im Land erheblich ist. Inflation, unzureichende Versorgung mit Nahrungsmitteln und Elektrizität sowie ausufernde Kriminalität durch marodierende Banden kennzeichnen nach wie vor den Alltag vieler Venezolaner.
Die Hauptstadt Caracas ist erst kürzlich wieder zur unsichersten Stadt für Touristen erklärt worden – für Einheimische ist sie indessen nicht wesentlich sicherer.
Darüber hinaus verbreitet die Führung gezielt Angst innerhalb der Bevölkerung. Urrutia wird als Marionette der als „rechtsradikal“ stigmatisierten Machado dargestellt. Befürworter des Chavismus malen Szenarien von angeblich drohenden blutigen Rachefeldzügen an die Wand, sollte die Opposition die Wahlen gewinnen. Tatsächlich geht Gewalt nach wie vor von den sogenannten Colectivos aus, die regelmäßig als Schlägertruppen des Regimes gegen Oppositionelle vorgehen.
Maduro präsentiert sich vor diesem Hintergrund als „Wahrer des Friedens und der Stabilität“. Er verweist darauf, dass die Inflation in Venezuela im Juni „die niedrigste seit 39 Jahren“ gewesen sei. Diese Aussage ist auch zutreffend – im Juli des Vorjahres hatte sie noch bei 398,2 Prozent gelegen. Allerdings lag sie im Juni immer noch bei 51,4 Prozent.
Der Präsident behauptet auch, die Steuereinnahmen hätten „Rekordwerte erreicht“. Diese würden es ermöglichen, „die sozialen Investitionen und den Schutz der Bevölkerung zu verbessern“. Auch soll es 2024 ein Wirtschaftswachstum von vier Prozent geben.
Umfragen in Venezuela mit Vorsicht zu genießen – Mobilisierungspotenzial für Maduro unterschätzt
Die Umfragen im Vorfeld der Wahl sind widersprüchlich. Einige gehen von einem Erdrutschsieg für Urrutia aus, andere sehen Maduro vorn. Einige weitere erwarten ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Regimefreundliche Medien beschuldigen die Opposition, in Zusammenarbeit mit ihren westlichen Unterstützern gefälschte Umfragen mit deutlichem Vorsprung für Urrutia zu verbreiten.
Diese sollen im Fall eines Wahlsiegs von Maduro die Grundlage für ein „Wahlbetrug“-Narrativ und weitere Sanktionen abgeben. Die Opposition werde demnach schon kurz nach Schließung der Wahllokale ihren Sieg verkünden, so die Prognose.
Gleichzeitig werden Zweifel laut, dass Maduro seinerseits einen Wahlsieg der Opposition anerkennen würde. Neben den fehlenden Stimmen der Geflüchteten ist auch das Mobilisierungspotenzial der Chavisten in ärmeren Vierteln sowie ländlichen und entlegenen Gebieten ein Unsicherheitsfaktor.
Dieses wird in Umfragen häufig nicht abgebildet, weil es an technischer Ausstattung fehlt, um diese durchzuführen. Der Eindruck, dass wirtschaftlich „das Schlimmste vorbei“ sei, könnte ebenfalls zu einem höheren Ergebnis für Maduro beitragen als erwartet.
Nationaler Wahlrat will bis Mitternacht Ergebnisse präsentieren
Im Unterschied zu früheren Jahren steht die Linke in diesem Jahr nicht geschlossen hinter Maduro. Ein Teil der Kommunistischen Partei unterstützt beispielsweise den Mitte-Rechts-Kandidaten Enrique Márquez.
Sie werfen dem Präsidenten Oligarchentum vor und zeigen sich enttäuscht, dass die Partei im „Großen Patriotischen Pool“ der Vereinigten Sozialistischen Partei nicht angemessen berücksichtigt worden sei.
Diesem gehören 19 politische Kräfte an. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um jene, die bereits zuvor die chavistische Führung im Land getragen hatten.
Einen prominenten internationalen Unterstützer hat Maduro ebenfalls gewonnen: Der mit Antisemitismusvorwürfen konfrontierte frühere Pink-Floyd-Sänger Roger Waters hat die Wähler in Venezuela zur Wahl Maduros aufgefordert. Dies sei die einzige Garantie dafür, dass das Land nicht „von der ultrarechten Opposition an die USA verkauft“ werde.
Um „Spekulationen vorzubeugen“, will der nationale Wahlrat bis spätestens Mitternacht die Ergebnisse präsentieren.
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