Wahl in der Türkei: Opposition sieht sich vorn

Der Wahlkampf lief zuletzt aggressiv ab - am Tag der Abstimmung blieb es zunächst weitestgehend ruhig. Die Opposition zeigt sich siegessicher. Was bedeutet die Wahl für die Türkei - und Europa?
Kemal Kilicdaroglu winkt seinen Anhängern nach der Stimmabgabe in Ankara.
Kemal Kilicdaroglu winkt seinen Anhängern nach der Stimmabgabe in Ankara.Foto: Uncredited/AP/dpa
Epoch Times14. Mai 2023

Bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei zeichnet sich ein spannendes Rennen zwischen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan und seinem Herausforderer ab. Nach Auszählung von etwa der Hälfte der Stimmen kam Erdogan am Sonntagabend auf rund 52 Prozent, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu, gemeinsamer Kandidat eines Sechser-Bündnisses, lag demnach bei rund 42 Prozent.

Bekommt keiner der drei Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen, geht es für die beiden führenden Bewerber am 28. Mai in eine Stichwahl. Kilicdaroglu hatte während der Stimmauszählung am Sonntagabend erklärt, er liege vorne.

Regierung wirft Opposition „diktatorische Haltung“ vor

Die türkische Regierung warf der Opposition eine „diktatorische Haltung“ während der Stimmauszählung vor. Frühzeitig ein Ergebnis bekanntzugeben ist „politischer Raub“, sagte der Sprecher der regierenden AKP, Ömer Celik, am Sonntagabend.

Die Staatsagentur veröffentlicht in der Regel zunächst die Auszählungsergebnisse in Erdogan-Hochburgen. Die ersten Daten lassen daher noch keine Rückschlüsse auf das Endergebnis zu.

Der Kandidat eines Parteienbündnisses, Sinan Ogan, lag laut Anadolu bei rund 5,3 Prozent. Muharrem Ince von der Vaterlandspartei hatte seine Kandidatur kurz vor der Wahl zurückgezogen, seine Name stand aber noch auf den Stimmzetteln.

Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan muss nach 20 Jahren an der Macht um seine Wiederwahl bangen. Umfragen hatten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen ihm und seinem Herausforderer hingedeutet. Belastbare Ergebnisse waren für den späten Sonntagabend angekündigt.

64 Millionen Wahlberechtigte

Die Wahl lief nach einer ersten Einschätzung der zuständigen Behörde ohne Probleme ab. Oppositionspolitiker meldeten kleinere Zwischenfälle aus verschiedene Provinzen. Rund 64 Millionen Menschen im In- und Ausland waren zur Stimmabgabe aufgerufen. In Deutschland waren rund 1,5 Millionen Menschen mit türkischem Pass stimmberechtigt.

„Wir haben die Demokratie sehr vermisst“, sagte Oppositionsführer Kilicdaroglu am Mittag bei der Stimmabgabe. Der „Frühling“ werde hoffentlich bald kommen, so der 74-Jährige unter Bezug auf einen möglichen Sieg bei der Wahl. Erdogan, der in Istanbul seine Stimme abgab, reiste am Nachmittag in die Hauptstadt Ankara.

Kritik am Krisenmanagement nach Erdbeben

In den von Erdbeben betroffenen Provinzen wurde in Containern oder noch intakten Schulen abgestimmt. Nach den Beben in der Südosttürkei am 6. Februar mit Zehntausenden Toten war Kritik am Krisenmanagement der Regierung laut geworden.

Der Wahlkampf war angespannt und galt als unfair, vor allem wegen der medialen Übermacht der Regierung. Bestimmendes Thema war die schlechte wirtschaftliche Lage mit einer massiven Inflation. Erdogan versprach unter anderem eine Anhebung von Beamtengehältern und weitere Investitionen in die Rüstungsindustrie. Er führte eine aggressive Kampagne und beschimpfte die Opposition als „Terroristen“. Ein beliebter Oppositionspolitiker war nur eine Woche vor der Wahl mit Steinen beworfen worden. Kilicdaroglu trug am Freitag bei einem Auftritt in der Erdogan-Hochburg Samsun eine kugelsichere Weste.

Kilicdaroglu gilt als besonnener Politiker. Er stammt aus der osttürkischen Provinz Tunceli und gehört der religiösen Minderheit der Aleviten an. Der Oppositionsführer will die Unabhängigkeit von Institutionen wie der Zentralbank wiederherstellen und die hohe Inflation in den Griff bekommen. Er steht für eine Wiederannäherung an Deutschland und die EU, aber auch für eine schärfere Migrationspolitik.

Mit der EU und in der Nato sind die Beziehungen eisig, seitdem Erdogan den Putschversuch im Jahr 2016 als Vorwand für eine Einschränkung von Grundrechten nutzte und Oppositionelle und Journalisten inhaftieren ließ. Die EU legte Beitrittsverhandlungen und Gespräche über eine Erweiterung der bestehenden Zollunion auf Eis. Mit Kilicdaroglu kann das alles nur besser werden, lautet deswegen in Brüssel die vorherrschende Meinung.

Zurückhaltung bei der Ampel-Koalition

In der Ampel-Koalition gibt man sich auch hinter vorgehaltener Hand zurückhaltend. Selbst wenn das Bündnis von Kilicdaroglu gewinne, bleibe abzuwarten, wie sich die unterschiedlichen Partner inhaltlich zusammenfinden würden, ist zu hören. Dies gelte auch für die großen Themen wie die Haltung der Türkei zu Russland, die Durchsetzung von Sanktionen oder den Umgang mit den Flüchtlingen.

Erdogans islamisch-konservative AKP kam 2002 an die Macht. Ein Jahr später wurde Erdogan Ministerpräsident, seit 2014 ist er Staatspräsident. In seinen ersten Regierungsjahren galt er als Reformer und sorgte für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Viele seiner eigenen Reformen hat Erdogan inzwischen zurückgedreht. Die regierungskritischen Gezi-Proteste, die sich in zwei Wochen zum zehnten Mal jähren, ließ Erdogan niederschlagen. (dpa)



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