Zum EU-Gipfel: Landwirte blockieren mit tausend Traktoren Straßen in Brüssel

Belgische Landwirte blockieren vor dem Sondergipfel der EU die Stadt und Zufahrtsstraßen. Ihnen geht es unter anderem um die Marktverzerrung durch ukrainische Produkte in der Landwirtschaft. Auf dem Gipfeltreffen stehen das 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket und Militärhilfen für die Ukraine sowie der Nahostkonflikt auf der Tagesordnung.
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Während einer Protestaktion im Europaviertel in Brüssel, die von mehreren Landwirtschaftsgewerkschaften aus Belgien, aber auch anderen europäischen Ländern am Donnerstag, dem 01. Februar 2024, organisiert wurde.Foto: Dirk Waem/Belga Mag/AFP via Getty Images
Epoch Times1. Februar 2024

Anlässlich des Sondergipfels der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben Landwirte mehrere Straßen in Brüssel blockiert. Die Demonstranten waren am Donnerstagmorgen mit rund tausend Traktoren und anderen landwirtschaftliche Maschinen in der belgischen Hauptstadt unterwegs, wie die Polizei mitteilte. Die meisten Teilnehmer der Protestaktion kommen demnach aus Belgien.

Auf der Gipfel-Agenda stand die Lage der Landwirte jedoch nicht. Lediglich Macron, der wegen der Bauernproteste innenpolitisch unter Druck steht, beriet darüber bilateral mit von der Leyen. Bei dem EU-Sondergipfel geht es vor allem um ein Hilfspaket für die Ukraine im Umfang von 50 Milliarden Euro über vier Jahre.

Bauernproteste in Brüssel

Etwa 1.300 Traktoren seien in der belgischen Hauptstadt, teilte die Polizei am Donnerstag mit. Wegen der weiträumigen Absperrungen um das Gipfelgebäude konzentrierten sich die Proteste rund um das EU-Parlament. Die Demonstranten entzündeten dort Rauchbomben und legten Feuer mit Paletten.

„Wir müssen auf dem Gipfel auch darüber sprechen“, sagte der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo mit Blick auf die Bauernproteste. „Ihre Forderungen sind zum Teil berechtigt.“ Die EU-Kommission hatte am Mittwoch eine Reihe von Zugeständnissen gemacht, unter anderem eine längere Nutzung von Brachflächen für den Ackerbau. „Ich denke, dies sollte noch weiter verlängert werden“, sagte De Croo mit Blick auf die von den Bauern beklagten Einnahmeverluste.

„EU-Kommission sollte eher die Interessen der europäischen Bauern vertreten als die der Ukrainer“

Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán traf am Vorabend des Gipfels mit protestierenden Bauern zusammengetroffen und hatte ein Video davon im Onlinedienst X veröffentlicht. „Es ist ein Fehler, wenn Europa nicht auf die Stimme des Volkes hört“, schrieb er dazu.

„Die EU-Kommission sollte eher die Interessen der europäischen Bauern vertreten als die der Ukrainer“, zitierte ihn seine Partei. Orbán steht in der EU in der Kritik, weil er ein Hilfspaket für die Ukraine blockiert.

Die Landwirte fordern weniger Bürokratie und höhere Subventionen. „Stopp Mercosur“ war zudem auf einem der Plakate zu lesen, eine Anspielung auf das geplante Freihandelsabkommen mit Südamerika. Die meisten Teilnehmer der Protestaktion kamen nach Polizeiangaben aus Belgien, aber auch aus Frankreich und Deutschland wurden Bauern erwartet.

Belgiens Bauernverbände ABS (Algemeen Boerensyndicaat), FWA, FAJ nehmen an den Protesten teil. Die Landwirte fordern bessere Bedingungen für den Anbau, die Produktion und die Aufrechterhaltung eines angemessenen Einkommens. Die Landwirte erhalten viel Unterstützung aus der Bevölkerung, nicht nur in Belgien. Auch eine Kinder-Demo mit Traktoren war in Strasbourg unterwegs.

Marktverzerrung durch ukrainische Produkte in der Landwirtschaft

Angesichts der Bauernproteste hat die EU-Kommission Schutz gegen ukrainische Lebensmittelimporte vorgeschlagen. Seit 2022 sind ukrainische Erzeugnisse von Zöllen und Kontingenten befreit. Seither hat die Einfuhr der billigeren ukrainische Produkte massiv zugenommen, die einheimischen Landwirte haben das Nachsehen.

Zuckereinfuhren stiegen um 1000 Prozent, Eier um 130 Prozent und Geflügel um 50 Prozent. Die ukrainische Landwirtschaft ist dank billiger Arbeitskräfte, ertragreichen Schwarzerdeböden und einer Produktion deutlich unter EU-Maßstäben oftmals effizienter, wie der Streit um billiges Getreide mit Polen und anderen osteuropäischen Staaten zeigt. Vor allem Polen, Ungarn, die Slowakei, Bulgarien und Rumänien protestieren seit Wochen gegen diese Verzerrung des Binnenmarktes.

Nun schlug die EU-Kommission „einen verstärkten Schutzmechanismus“ vor, damit im Falle „negativer Auswirkungen“ für einen oder mehrere Mitgliedstaaten schnell „Korrekturmaßnahmen“ ergriffen werden können. Eine sogenannte automatische Ausfuhrsperre sollte installiert werden, wenn eine gewisse Höhe bei den Importen überschritten werde.

Laut ukrainischem Arbeitgeberverband stellen „die Ausfuhren von Eiern, Zucker und Hühnerfleisch [aus Kyjiw] keine Bedrohung für den europäischen Markt dar und spielen sogar eine stabilisierende Rolle.“ Mit den neuen Vorschlägen der EU-Kommission sind sie nicht einverstandne.

Weiterer Streitpunkt: Flächenstilllegung

Landwirtschaftliche Betriebe sind durch die Gemeinsamen Agrarpolitik der EU verpflichtet, vier Prozent ihrer Flächen stillzulegen. Sonst erhalten sie keine Fördermittel.

Auch das ist bei den Landwirten europaweit sehr umstritten, vor allem französische Landwirte protestieren dagegen. Nun schlug die EU-Kommission eine teilweise Ausnahme für das Jahr 2024 vor. Die wichtigsten europäischen Bauernverbände Copa und Cogeca begrüßen den Vorschlag.

Bei einem EU-Beitritt der Ukraine würde das Land voraussichtlich rund ein Viertel der EU-Haushaltsmittel für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) im Zeitraum 2021 bis 2027 erhalten, was sich auf etwa 96,5 Milliarden Euro belaufen könnte. Dies würde bedeuten, dass die Ukraine mit Abstand der größte Profiteur der EU-Agrarpolitik wäre.

Ein Beitritt der Ukraine zur EU würde „zum Exitus der familiengetragenen Landwirtschaft in Europa führen“, warnte der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied. Es müsste eine Landwirtschaft in die EU integriert werden, die „gänzlich andere Strukturen aufweist, bis hin zu Betrieben in einer Größenordnung von mehreren 100.000 Hektar“.

Politik und Verbände sind sich weitgehend einig, dass eine Fortführung der Gemeinsamen Agrarpolitik in ihrer jetzigen Form mit der Ukraine unmöglich ist.

Für die großen ukrainischen Flächen seien beispielsweise schon die Direktzahlungen (gezahlt pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche) finanziell nicht zu stemmen, denn durchschnittliche landwirtschaftliche Betriebe sind um ein Vielfaches größer als die in der EU.

EU-Diplomaten werfen Orban Erpressung vor

Während über die Landwirtschaft nicht offiziell beraten werde soll, steht das Paket mit finanziellen Unterstützungszusagen für die Ukraine zur Debatte. Über die 50 Milliarden Euro für die Zeit bis Ende 2027 hätte bereits bei einem regulären EU-Gipfel im vergangenen Dezember entschieden werden sollen. Damals legte Ungarns Staatschef Viktor Orbán ein Veto ein und verhinderte damit eine Einigung.

Vor dem Gipfel sagte Orban in einem Interview des französischen Magazins „Le Point“, Ungarn sei bereit, Teil einer Lösung zu sein. Voraussetzung sei allerdings, dass man jedes Jahr neu darüber entscheide, ob man weiter Geld schicken wolle oder nicht.

Andere Mitgliedstaaten wie Deutschland lehnen dies jedoch ab. Ein Grund ist, dass sie der Ukraine langfristig Unterstützung zusichern wollen. Zudem geht es auch darum, Ungarn Veto-Möglichektien zu nehmen. So werfen EU-Diplomaten Orban vor, er versuche, mithilfe einer Veto-Politik die wegen Rechtsstaatsbedenken eingefrorenen EU-Gelder freizupressen.

Orban weist dies zurück. Er verweist dabei auch auf die im Juni anstehenden Europawahlen. Jetzt für die Ukraine 50 Milliarden Euro für den Zeitraum bis Ende 2027 fest zuzusagen, könnte den Bürgern seiner Meinung nach den Eindruck vermitteln, dass ihre Stimme keine Rolle spiele, argumentiert er mit Blick auf Kritiker von Ukraine-Hilfen.

Sollte bei den Gesprächen mit Orban keine Lösung gefunden werden, wollen die anderen EU-Staaten im 26er-Kreis – also ohne Ungarn – handeln. Zugleich gilt es als wahrscheinlich, dass es dann Diskussionen über mögliche Schritte zum Entzug von Ungarns Stimmrecht bei EU-Entscheidungen geben würde.

Nahostkonflikt und Militärhilfen für die Ukraine

Weitere Themen des EU-Sondergipfels werden der Nahost-Konflikt und die EU-Militärhilfen für die Ukraine sein. Zu den Militärhilfen hatte jüngst Kanzler Scholz eine Debatte angeregt. Er kritisiert, dass andere große EU-Länder für das laufende Jahr deutlich weniger Geld für Waffen- und Munitionslieferungen eingeplant hätten als Deutschland.

Nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell kann die Ukraine in diesem Jahr auf europäische Militärhilfen im Wert von mindestens 21 Milliarden Euro hoffen. Im Vergleich zu dem, was bislang geleistet wurde, würde dies eine Beschleunigung der Unterstützung bedeuten, erklärte der Spanier am Mittwoch nach einem informellen EU-Verteidigungsministertreffen in Brüssel.

In den vergangenen knapp zwei Jahren seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges habe der Wert der europäischen Militärhilfen für die Ukraine insgesamt rund 28 Milliarden Euro betragen. Sie umfassen Waffen, Munition und andere militärische Ausrüstung.

Borrell betonte zudem, dass die Zahl von 21 Milliarden Euro für 2024 nicht auf Rückmeldungen von allen 27 EU-Mitgliedstaaten beruhe. Sie könnte demnach weiter steigen. Welche EU-Länder bislang keine Daten gemeldet haben, sagte Borrell nicht. Die Zahlensammlung soll auch Grundlage für die von Scholz angeregte Diskussion bei dem EU-Sondergipfel sein.

Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben für 2024 rund 7,5 Milliarden Euro an Haushaltsmitteln für Waffenlieferungen an die Ukraine eingeplant. Dies entspricht rein rechnerisch einem Anteil von mehr als einem Drittel an den bislang gemeldeten EU-Hilfen. (afp/dpa/red)



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