Volksnaher Nationalist soll Wende für türkische Opposition bringen

Mit Muharrem Ince schickt die CHP einen kämpferischen Redner ins Rennen, der sich als volksnaher Nationalist präsentiert und auch vor populistischer Rhetorik nicht zurückschreckt.
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Türkei-Flaggen.Foto: Emrah Gurel/AP/Archiv/dpa
Epoch Times23. Mai 2018

Seit 1950 hat die Republikanische Volkspartei (CHP) in der Türkei keinen Staatspräsidenten mehr gestellt und seit 1979 auch keinen Regierungschef.

Seit der Übernahme der Regierung durch die islamisch-konservative AKP von Recep Tayyip Erdogan 2002 ist die einstige Staatspartei CHP von Mustafa Kemal Atatürk nicht einmal mehr über 25 Prozent gekommen. Dies will sie bei der Parlaments- und Präsidentschaftswahl am 24. Juni nun ändern.

Mit Muharrem Ince schickt die CHP einen kämpferischen Redner ins Rennen, der sich als volksnaher Nationalist präsentiert und auch vor populistischer Rhetorik nicht zurückschreckt. Der frühere Physiklehrer war dem CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu zwei Mal im Kampf um den Vorsitz unterlegen, doch ließ dieser ihm nun den Vortritt als Präsidentschaftskandidat, da er seine überlegenen rhetorischen Fähigkeiten anerkannte.

Anders als der meist leise und freundlich lächelnde Kilicdaroglu schlägt Ince auch scharfe Töne an und ähnelt in seinem Auftreten bisweilen seinem Rivalen Erdogan. „Dass sich Ince in seiner politischen Karriere als Kämpfer erwiesen hat, ähnlich wie Erdogan engen Kontakt zum Volk wahrt und vor allem witzig und tolerant ist, macht ihn zu einem guten Herausforderer“, findet der Professor Tanju Tosun der Ege Universität.

Bei einer Kundgebung in der zentralanatolischen AKP-Hochburg Corum springt Ince im offenen Hemd und mit dem Schal des örtlichen Fußballvereins auf die Bühne. Mit dem Mikrofon in der Hand läuft er von einer Seite zur anderen, während er sich an die Menge wendet. „Ich will diese Nation vereinen und versöhnen und unter einen großen Schirm bringen“, verspricht er. „Ich werde kein Präsident sein, der andere als ’schmutzig‘ bezeichnet.“

Bei seinen Anhängern kommt sein energischer Auftritt an. „Ince ist ein mutiger Mann. Er macht mich stolz“, sagt Erdal Uzunkaya. Die Türkei brauche einen Wechsel an der Spitze, findet er und verweist auf den Verfall der türkischen Lira, der die Spritpreise in die Höhe treibt. Auch wenn die Wirtschaft noch kräftig wächst, bereitet der rapide Verfall der Währung vielen Türken ebenso Sorgen wie der zunehmend autoritäre Kurs des Präsidenten.

Im Fall seiner Wahl will Ince die vergangenes Jahr beschlossene Einführung des Präsidialsystems rückgängig machen. „Der erste Schritt für die Herrschaft des Rechts wird sein, den Ausnahmezustand zu beenden“, der nach dem Putschversuch von Juli 2016 verhängt worden war, sagt er. Sodann werde er zu einem starken parlamentarischen System zurückkehren. Dafür muss Ince zuerst aber die Präsidentschaftswahl gewinnen.

Die Hoffnung der CHP ist, dass Ince stärkster Oppositionskandidat wird und Erdogan in der ersten Runde keine Mehrheit erhält, so dass er in eine Stichwahl muss. Dort könnte es dann Ince gelingen, die Opposition hinter sich zu scharen. „Ich denke, der einzige Kandidat, der Erdogan in der zweiten Runde nahe kommen kann, ist Ince“, sagt Tosun. Insbesondere habe er eine Chance, auch die Stimmen der Kurden zu gewinnen.

Tatsächlich wird die Unterstützung der Kurden entscheidend für Ince sein, dessen Partei im Kurden-Konflikt über Jahrzehnte auf Härte setzte. Gleich nach seiner Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten besuchte Ince daher Selahattin Demirtas, den inhaftierten Präsidentschaftskandidaten der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), im Gefängnis. Dann hielt er eine Wahlkampfkundgebung in Hakkari tief im kurdischen Südosten ab.

Zudem versucht Ince, auch national-konservative Wähler anzusprechen, die bisher mit der streng säkularen CHP wenig anfangen konnten. So drohte er – im Bruch mit der traditionell prowestlichen Politik der CHP – die US-Militärbasis Incirlik zu schließen, wenn Washington den islamischen Prediger Fethullah Gülen nicht ausliefere, den Ankara für den Putschversuch verantwortlich macht. So weit ist bisher noch nicht einmal Erdogan gegangen. (afp)



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