Verzichtet EU auf „grünen Neokolonialismus“? Mercosur-Abkommen vor möglichem Durchbruch

Nach jahrelanger Verzögerung könnte es nun doch zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten kommen. Brüssel schraubte Ansprüche zurück, allerdings steigt der Unmut in der europäischen Landwirtschaft. In Frankreich kommt es wieder zu Protesten.
Vorbereitungen zum G20-Gipfel in Brasilien.
Vorbereitungen zum G20-Gipfel in Brasilien.Foto: Eraldo Peres/AP
Von 18. November 2024

Noch im Dezember des Vorjahres musste EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen einen Flug zur geplanten Unterzeichnung des Freihandelsabkommens zwischen Brüssel und den Mercosur-Staaten absagen. Wenige Monate zuvor hatte Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva den Europäern „grünen Neokolonialismus“ vorgeworfen.

Mittlerweile scheint Brüssel seine Ansprüche gegenüber den Partnern deutlich zurückgeschraubt zu haben. Am Montag, 18.11., begann in Rio de Janeiro der G20-Gipfel – und von der Leyen zeigt sich optimistisch, schon in Kürze das Abkommen unterzeichnen zu können. Auch Lula hält es für möglich, dass es dazu kommen könnte, vielleicht sogar schon während des Gipfels, der auf zwei Tage anberaumt ist.

Was ist der Mercosur?

Die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten hatten bereits Ende der 1990er-Jahre begonnen. Die lateinamerikanische Binnenmarkt-Kooperation war im März 1991 durch den Vertrag von Asunción entstanden. Ihr gehören Argentinien, Brasilien, Bolivien, Paraguay und Uruguay als Vollmitglieder an.

Zu den assoziierten Mitgliedern zählen Chile, Peru, Kolumbien, Ecuador, Guyana und Surinam. Venezuela war bis Dezember 2016 Vollmitglied – seither ist die Mitgliedschaft suspendiert. Der Mercosur beheimatet fast 267 Millionen Menschen. Er erwirtschaftet ein BIP von fast drei Billionen Euro.

Im Jahr 2023 hatte sich das gesamte Handelsvolumen des Blocks auf rund 668,7 Milliarden US-Dollar belaufen. Von diesen gingen Waren im Wert von rund 378,75 Milliarden US-Dollar in den Export. Der Mercosur-Raum umfasst mehr als zwei Drittel der Fläche Südamerikas.

Seit 2019 verhandelt – dann entwickelte EU neue Begehrlichkeiten

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur gilt eigentlich schon seit 2019 als fertig verhandelt. In jenem Jahr rief die Kommission in Brüssel allerdings unter ihrer neu gewählten Präsidentin von der Leyen den „Green Deal“ aus – und wollte gleich weltweit zum Treiber der klimaneutralen Transformation werden.

Entsprechend begann Brüssel, auf eine Vielzahl von Nachverhandlungen mit den Südamerikanern zu drängen. Mal ging es dabei um den Schutz des tropischen Regenwaldes, mal um die Rechte indigener Völker, ein anderes Mal um den Ausstieg aus Öl und Gas. Zuletzt forderte man von den Mercosur-Ländern auch noch, den „russischen Angriffskrieg“ in der Ukraine im Wege eines Zusatzprotokolls zu verurteilen und die sogenannte Grenzsteuer, einen Klimazoll, zu akzeptieren.

Lula platzte daraufhin der Kragen und er warf der EU „grünen Neokolonialismus“ vor. Die Abholzung im Regenwaldgebiet sei um 49 Prozent zurückgegangen. Dazu kämen umfangreiche Bemühungen zur Wiederaufforstung. Die EU habe „keine Ausrede mehr, das Abkommen nicht zu unterschreiben“.

Trump als Schrittmacher für Kompromissbereitschaft der EU?

Mittlerweile hat sich die politische Großwetterlage weiter geändert, sodass in der EU der Gedanke, gegenüber dem Mercosur lieber etwas weniger forsch aufzutreten, rapide an Anhängern zu gewinnen scheint. Die Europäer hadern mit einer immer stärkeren Abhängigkeit von China, während Schlüsselindustrien aufgrund von wirtschaftlicher Stagnation, hohen Produktionskosten und hohen Energiepreisen abwandern.

Nicht wenige davon zieht es in die USA. Dort wird mit Donald Trump demnächst ein Präsident ins Weiße Haus einziehen, von dem die Europäer zusätzlichen handelspolitischen Druck zu erwarten haben. Ein Abkommen mit dem Mercosur würde in dieser Situation wenigstens einen nennenswerten Erfolg in diesem Bereich bedeuten.

Die EU-Kommission verspricht sich von dem Freihandelsabkommen mit dem Mercosur eine Zunahme des Handelsvolumens um bis zu 30 Prozent. Zudem müssten europäische Exporteure um etwa vier Milliarden Euro weniger an Zöllen bezahlen. Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange, verspricht sich vom Abkommen mit Mercosur sogar einen Beitrag zur Beseitigung von Hunger.

In Frankreich befürchtet man hormonbehandeltes Fleisch aus dem Mercosur

Voraussetzung dafür ist jedoch auch, dass das Abkommen in der EU selbst durch eine qualifizierte Mehrheit unter den Mitgliedstaaten ratifiziert wird. Auf Frankreich darf Brüssel dabei bis auf Weiteres nicht zählen. Dort sind die Bauern bereits jetzt wieder in Aufruhr, nachdem sich bereits zu Beginn des Jahres Proteste gegen eine Weiterverfolgung des Abkommens mit dem Mercosur geregt hatten.

Europäische Bauern rechnen mit massiver Konkurrenz durch günstige Fleischimporte aus Südamerika. Bis 2028 könnten beispielsweise dank eines reduzierten Zollsatzes 99.000 Tonnen Rindfleisch aus dem Mercosur-Raum nach Europa gelangen. Die EU will die befürchteten Verluste für die eigenen Landwirte durch Ausgleichstöpfe auffangen.

In Frankreich gehen sogar Zahlen um wie jene, dass jährlich 100.000 Tonnen südamerikanischer Fleischexporte ins Land kämen. Diese, so wird weiter behauptet, würden mit Hormonen oder in der EU nicht zugelassenen Stoffen wie Peroxyessigsäure behandelt.

Kleinere Bauernverbände wollen Großstädte blockieren

Unter den Bauern herrscht zudem Unmut darüber, dass sich Unterstützungsleistungen, welche die Regierung bereits im Frühjahr infolge der Bauernproteste versprochen habe, verzögerten. In Paris macht man die vorgezogenen Neuwahlen der Nationalversammlung dafür verantwortlich.

Bauernverbandspräsident Arnaud Rousseau geht von wochenlangen Protesten aus, die sich in Frankreich abzeichneten. Allerdings wolle man chaotische Verkehrsverhältnisse wie im vergangenen Winter vermeiden.

Eine kleinere Bauernorganisation drohte sogar an, den Transport von Lebensmitteln in Großstädte zu behindern. Innenminister Bruno Retailleau kündigte daraufhin an, gegen anhaltende Blockaden dieser Art werde es „keinerlei Toleranz“ geben.



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