Verunsicherung bei der gesundheitlichen und sozialen Sicherung für Suchtkranke
Deutschland bietet ein differenziertes, wirksames, leistungsfähiges und vernetztes Angebot an Hilfen, um eine Abhängigkeitserkrankung effektiv zu überwinden. Mehr als 1.200 Beratungsstellen, 12.000 Therapieplätze und 8.700 Selbsthilfegruppen bilden Eckpunkte einer Suchthilfe, die sehr wirksam ist – deren Struktur aber durch staatliche Sparmaßnahmen immer stärker beschädigt wird.
Täglich suchen in Deutschland mehrere tausend Menschen eine Suchtberatungsstelle auf, befinden sich in einer Therapie, in der ihre Abhängigkeit behandelt wird oder werden von Fachkräften betreut, die sie unterstützen, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ihre Tagesstrukturen neu zu ordnen oder die Folgen der Suchterkrankung zu überwinden.
Differenziertes Hilfesystem
Die Zahlen klingen gut:
- Um Betroffene zu erreichen, sind in 450 „niedrigschwelligen Angeboten“ einfache Hilfen zum Überleben in Tagestreffs, Notschlafstellen oder Drogenkonsumräumen vorhanden.
- In mehr als 1.200 Beratungsstellen werden gemeinsam mit den Betroffenen Hilfepläne entwickelt, um Gefährdung und Abhängigkeit zu überwinden. Etwa 300.000 Personen nutzten dieses Angebot jährlich oder nehmen Kontakt über eines der über 30 Onlineangebote auf.
- Voraussetzung für weitere Hilfen ist bei Abhängigkeit von Alkohol oder illegalen Drogen der qualifizierte Entzug, für den 6.500 Plätze in über 200 Einrichtungen zur Verfügung stehen.
- Durch die Suchttherapie sollen Menschen wieder arbeitsfähig werden. Sozialrechtlich ist das eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation in Verantwortung der gesetzlichen Rentenversicherung. Bundesweit stehen ca. 12.000 Plätze in Therapieeinrichtungen zur Verfügung, die von ca. 80.000 Betroffenen genutzt wurden. Knapp 500 Einrichtungen haben die Erlaubnis, ambulante Therapien anzubieten.
- Für abhängigkeitskranke Menschen ist es wichtig, Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Alltagsaufgaben zu bekommen. Dafür gibt es fast 300 Angebote des Betreuten Wohnens mit ca. 7.500 Plätzen aber auch 200 Wohnprojekte für chronisch mehrfach abhängige Menschen.
- Zur Verbesserung der „autonomen Lebenspraxis“ abhängigkeitskranker Menschen sind wohnortnahe Selbsthilfeangebote Standard. Hier rechnen die Fachleute mit ca. 8.700 Gruppen mit etwa 150.000 Beteiligten.
Suchthilfe fördert also durch ein intelligent strukturiertes und differenziertes Hilfesystem die Teilhabe betroffener Menschen selbst oder im Verbund mit anderen. Dieses „Verbundsystem der Hilfen“ ist weltweit nicht nur nahezu einzigartig, sondern auch durch ständige Fortbildung der Fachkräfte und erhebliche Anstrengungen in der Sicherung der Qualität bemerkenswert erfolgreich, was durch die „Deutsche Suchthilfestatistik“ ausgewiesen wird.
Finanzierungsprobleme belasten
Die Realität klingt schlecht:
Aus dem in Deutschland hochgelobten „System der sozialen Sicherung“ ist soziale Verunsicherung geworden:
- Prävention, Beratung und soziale Eingliederung von Suchtkranken werden überwiegend von den Kommunen durch jährliche, nicht kostendeckende Zuschüsse finanziert und sind zudem von der Finanzkraft der kommunalen Gebietskörperschaften abhängig.
- Therapie wird als „medizinische Rehabilitation“ von der gesetzlichen Rentenversicherung bezahlt. Der aber ist mittlerweile das Geld ausgegangen, so dass mit rigiden Anforderungen an Einrichtungen und Behandlungserfolg versucht wird, das an seine Grenzen gestoßene Budget zu retten.
- Leistungen der Grundsicherung nach SGB II und der Arbeitsförderung nach SGB III werden verkürzt und reduziert, weil sie den Einsparvorgaben der Bundesregierung unterliegen. Die Gewährung wird vom erwarteten Erfolg abhängig gemacht, der bei Suchtkranken nicht kurzfristig zu realisieren ist.
- Die Therapiebestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes machen es seit 30 Jahren möglich, dass Drogenabhängige anstelle einer Haftstrafe eine Behandlung ihrer Abhängigkeit antreten können. Inzwischen wird aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung immer häufiger ein Zusammenhang zwischen Straftat und Abhängigkeit bestritten und die Betroffenen viele Jahre im Justizvollzug festgehalten.
DHS-Vorstandsmitglied Jost Leune, im Hauptberuf für den Fachverband Drogen und Rauschmittel e.V. tätig, äußert den Verdacht, dass bei der Finanzierung der Suchthilfe sich die Geldgeber einig scheinen: „Bezahlen sollen immer die anderen! Kommunen, Länder, Sozialversicherungen, Jugend- und Sozialhilfe schieben sich die Verantwortung für die Finanzierung von Hilfeleistungen zu. Und wenn es eindeutige gesetzliche Grundlagen wie bei der therapeutischen Behandlung gibt, wird immer öfter die Fähigkeit der Betroffenen bestritten, die Therapie erfolgreich zu beenden“.
In Deutschland scheint die sozialpolitische Strategie zu greifen, dass mit kurzen (und billigen) Interventionen nur noch denjenigen geholfen wird, die schnell wieder leistungsfähig werden können. Chronische Kranke, Alte und ganz Junge fallen aus diesem Raster heraus und werden zunehmend ihrem Schicksal überlassen.
Die Suchthilfe wendet sich ganz entschieden gegen diese unsoziale Politik, die nicht zuletzt eine skandalöse Verschleuderung menschlicher Ressourcen bedeutet. Denn die Suchthilfe hat unter Beweis gestellt, dass sie mit wenig Aufwand viele Menschen wieder in die Gesellschaft integrieren kann, ihnen zu Arbeit und Lebenserwerb verhilft. Dadurch werden Süchtige nicht zuletzt auch zu Steuer- und Beitragszahlern, die den Aufwand für ihre Suchtbehandlung mit Zins und Zinseszins an die Gesellschaft zurückzahlen. (sfr / DSH)
Weitere Informationen: Deutsche Suchthilfe
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