Verbraucher im Dilemma: Die Schattenseite der Schokolade
Halloween steht vor der Tür. Schon in wenigen Tagen, am 31. Oktober, ziehen Kinder durch die Gassen, verkleidet in mehr oder weniger gruseligen Kostümen und erfreuen sich an ihren ergatterten Süßigkeiten. Doch Schokolade hat auch eine Schattenseite, wie Terry Collingsworth, Begründer von International Rights Advocates (IRA), in seinem neuesten Rundschreiben offenbart. Seine Organisation befasst sich mit einer Vielzahl von Menschenrechtsfragen, darunter Kinderarbeit.
Laut Collingsworth beziehen große Schokoladenmarken wie Nestlé ihren Kakao überwiegend von der Elfenbeinküste und Ghana. Zwar sind diese westafrikanischen Länder führend in der Kakaoindustrie, aber Kinderarbeit sei hier weitverbreitet.
Neu ist die Notlage dieser Kinder nicht. Bereits vor mehr als 20 Jahren, im Jahr 2001, unterzeichneten große Kakaokonzerne das „Harkin-Engle-Protokoll“, auch Kakaoprotokoll genannt. In dem Dokument wurden Schokoladen- und Kakaoindustrie aufgefordert, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die ausbeuterische Kinderarbeit bis 2005 abzuschaffen.
Diese Frist wurde bisher dreimal verlängert. Die letzte Vereinbarung sprach nur noch davon, die Abhängigkeit von Kinderarbeit bis zum Jahr 2025 um 70 Prozent zu reduzieren – von einer kompletten Abschaffung ist nicht mehr die Rede.
Verschleppte Kinder verrichten Sklavenarbeit bei Kakaoernte
Am 12. Februar 2021 rückte das brisante Thema in den Fokus eines Gerichtsprozesses. Acht ehemals versklavte Kinder, die aus Mali verschleppt und zur Kakaoernte in der Elfenbeinküste gezwungen worden waren, reichten mithilfe der Organisation IRA eine Bundesklage gemäß dem Gesetz für Opfer von Menschenhandel ein. Sie richteten sich gegen große Schokoladenproduzenten, darunter Nestlé, Mars, den Milka-Hersteller Mondelez sowie Cargill, Hershey, Barry Callebaut und Olam – alles Unternehmen, die das „Harkin-Engle-Protokoll“ unterzeichnet hatten.
Jedes dieser Kinder war laut IRA von einem professionellen Menschenhändler aus Mali geschmuggelt worden, der ihnen eine gute Arbeit bei der Kakaoernte versprach. Als sie in der Elfenbeinküste ankamen, wurde den acht Kindern gesagt, sie hätten keine andere Wahl, als ohne Bezahlung zu arbeiten. Nur wenn sie hart arbeiten, würden sie Nahrung erhalten. Die Kinder befanden sich in einem fremden Land, ohne Papiere, ohne Geld, sprachen die Sprache nicht und sie hatten keine Ahnung, wo sie sich in der Elfenbeinküste befanden.
Die von den Kindern verrichtete Arbeit war gefährlich. Sie mussten schwere Lasten tragen, mit scharfen Macheten Kakaoschoten schneiden und öffnen sowie ohne Schutzausrüstung oder Anleitung Pestizide und Herbizide ausbringen.
All diese gefährlichen Arbeiten sind ausweislich der von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verabschiedeten Konvention Nr. 182 vom 19. November 2000 als „die schlimmsten Formen der Kinderarbeit“ eingestuft und in jedem Land der Welt für Kinder illegal.
Die in der Klage aufgeführten Kinder ernteten Kakao für einen der angeklagten multinationalen Kakaokonzerne und arbeiteten jahrelang als Sklaven – bis ihnen endlich die Flucht gelang.
Studie: 1,56 Millionen Kinder bei Kakaoernte
Aus einer vom US-Arbeitsministerium finanzierten Studie der Universität Chicago, die im Oktober 2020 veröffentlicht wurde, ging hervor, dass in den Jahren 2018/19 „1,56 Millionen Kinder in Westafrika bei der Kakaoernte mitarbeiten, wobei 95 Prozent gefährliche Arbeiten verrichten“. Das Alter der Kinder lag zwischen fünf und 17 Jahren.
Trotz sich häufender Beweise bleiben die Kakaokonzerne nach Angaben von Collingsworth uneinsichtig. Nach seiner Schilderung verfolgen die Kakaokonzerne die Strategie „Verzögern und Leugnen“.
Sie investieren Millionen in Rechtsverteidigung und Öffentlichkeitsarbeit und stellen ihre Gewinne über die vor zwei Jahrzehnten gemachten Versprechen“, so Collingsworth.
Menschenrechtler appelliert an Gewissen
Die Verbraucher stürzt diese dunkle Seite der Schokolade in ein moralisches Dilemma, erklärt der Menschenrechtler weiter. Vor allem bei anstehenden Festtagen – wie Halloween, Weihnachten oder Ostern – werde die Freude auf Süßes getrübt von der erschütternden Vorstellung, dass afrikanische Kinder auf Kakaofeldern schuften.
Die Unternehmen jedenfalls setzten ihre fragwürdigen Praktiken fort, weil sie auf die Gleichgültigkeit oder Unwissenheit der Verbraucher setzen.
„Aber jetzt, mit dem Wissen bewaffnet, liegt die Macht, etwas zu ändern, in unseren Händen“, appelliert Collingsworth an die Verbraucher.
An diesem Halloween stünden sie an einer Kreuzung von Tradition und Ethik und müssten eine Entscheidung treffen. „Werden Sie eine Lieferkette unterstützen, die von Ausbeutung geprägt ist? Oder setzen Sie sich für einen Wandel ein und entscheiden sich für ethisch einwandfrei hergestellte Schokolade von Unternehmen, die den Menschenrechten Priorität einräumen?“
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