US-Präsident Bidens Widerwille mit Blick auf das Pulverfass Nahost
Eigentlich wollte Joe Biden sich aus dem Pulverfass Nahost möglichst heraushalten. Am jahrzehntelangen Konflikt zwischen Israel und Palästinensern haben sich schon viele US-Präsidenten die Zähne ausgebissen, und der neue Herr im Weißen Haus wollte seinen Fokus auf andere Weltregionen legen. Doch mit dem erneuten Aufflammen der Gewalt gerät Biden auch innenpolitisch unter Druck, eine aktivere Rolle in Nahost zu spielen. Der Widerwille des Politik-Veteranen ist keine Überraschung.
„Die Biden-Regierung sieht das als Unterfangen mit geringem Wert und geringer Rendite, das mit politischem Risiko behaftet ist“, sagt der langjährige US-Nahost-Unterhändler Aaron David Miller, der jetzt beim Politikinstitut Carnegie Endowment for International Peace arbeitet. „Bei diesem Thema gibt es keinerlei Aussichten auf Erfolg.“ Das Beste, was die US-Regierung erreichen könne, wäre ein Rückgang der Gewalt.
US-Außenminister Antony Blinken und Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan haben seit vergangener Woche versucht, beide Seiten zu Zurückhaltung zu ermahnen. Doch die Eskalation der Gewalt konnten sie nicht verhindern.
Biden war nach seinem Amtsantritt im Januar eine Reihe von Großthemen energisch angegangen: Die Corona-Pandemie, die Wirtschaftskrise, den Klimawandel, den Umgang mit Russland und China. Beim Nahost-Konflikt hat der Demokrat sich dagegen auffallend zurückgehalten. Bis zu seinem ersten Telefonat mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu verging rund ein Monat.
Das liegt auch daran, dass unklar ist, mit wem Biden es in der Region künftig zu tun haben wird: Die politische Zukunft von Netanjahu und auch von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ist ungewiss. Und die US-Regierung hält zwar weiterhin an einer Zwei-Staaten-Lösung fest, sieht aber zumindest derzeit kaum Erfolgschancen. Im Januar sagte Blinken, „realistisch betrachtet“ sei in naher Zukunft kaum mit Fortschritten zu rechnen.
Trump verfolgte eine klar Israel-freundliche Politik
Bidens Vorgänger Donald Trump verfolgte eine klar Israel-freundliche Politik und erkannte Jerusalem trotz scharfer Proteste der Palästinenser als Hauptstadt Israels an.
In den letzten Monaten seiner Amtszeit legte Trump dann den Schwerpunkt darauf, eine Anerkennung Israels durch arabische Staaten zu erreichen – mit einem gewissen Erfolg: Die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Marokko und der Sudan vereinbarten mit Israel eine Normalisierung ihrer Beziehungen. Biden hat diese Entwicklung gutgeheißen, ist ansonsten aber zu einer zurückhaltender Position zurückgekehrt.
Der Nahost-Konflikt ist für den Präsidenten auch innenpolitisch heikel. Insbesondere bei den konservativen Republikanern hat eine Unterstützung Israels hohe Priorität. Trump griff seinen Nachfolger diese Woche angesichts der Gewalteskalation in Nahost offen an: „Wegen Bidens Schwäche und mangelnder Unterstützung für Israel werden unsere Verbündeten Ziel neuer Attacken“, erklärte der Ex-Präsident.
Linke Demokraten fordern Distanz zu Israel
Gleichzeitig wächst bei Bidens Demokraten – insbesondere im linken Flügel – die Distanz zu Israel wegen Netanjahus hartem Palästinenser-Kurs. Der einflussreiche Senator Bernie Sanders forderte jüngst, die USA müssten deutlich Haltung beziehen gegen „die Gewalt von mit der israelischen Regierung verbündeten Extremisten“. Im April legten demokratische Parlamentarier einen Gesetzentwurf vor, der strengere Vorgaben für US-Hilfen an Israel vorsieht.
Biden muss auf die Stimmung in seinem Land achten – und sieht den Konflikt zwischen Israel und Palästinensern auch in einem größeren internationalen Zusammenhang. So glaubt Phyllis Bennis vom Institute for Policy Studies, dass Biden seinen Kurs zu Netanjahu nicht verschärfen wird.
Denn die USA wollen in das internationale Atomabkommen mit dem Iran zurückkehren, das von Israel strikt abgelehnt wird. Mehr werde Washington Netanjahu aber kaum zumuten, sagt Bennis. „Israel will nicht, dass wir zu dem Abkommen zurückkehren, und wir tun es trotzdem. Also werden wir nicht noch mehr tun, was Israel nicht gefällt.“ (afp/so)
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