Libyen: Dammbrüche waren mit Tsunami vergleichbar – UNO spricht von 21.000 Toten und Vermissten
Eine Woche nach der Überflutung von Darna ist die Lage in der libyschen Küstenstadt weiterhin katastrophal. Die UNO hob ihre vorläufigen Angaben zur Opferzahl in der Nacht zum Sonntag deutlich an: Demnach starben in der 100.000-Einwohner-Stadt mindestens 11.300 Menschen, etwa 10.100 Menschen würden noch vermisst.
Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Hilfe (Ocha) berief sich bei den Angaben auf Informationen des libyschen Roten Halbmonds. Es sei damit zu rechnen, dass die Opferzahl im Zuge der Suche nach möglichen Überlebenden weiter steige, hieß es weiter.
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) waren wegen der Überflutungen mindestens 40.000 Menschen im Nordosten Libyens auf der Flucht.
Zwei Flussdämme gebrochen – wie ein Tsunami
Das Sturmtief „Daniel“ hatte am Sonntag vergangener Woche heftige Überschwemmungen im Osten Libyens angerichtet. Die Küstenstadt Darna wurde besonders schwer getroffen, da dort zwei Flussdämme brachen. Die Wucht der Wassermassen war mit der eines Tsunamis vergleichbar. Außerhalb von Darna zählte die UNO weitere 170 Todesopfer.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte zuletzt erklärt, dass in dem Katastrophengebiet bislang 3.958 Todesopfer geborgen und identifiziert worden seien. 9000 weitere Menschen würden noch vermisst. Der Gesundheitsminister der Regierung in Ostlibyen, Othman Abdeldschalil, hatte am Samstagabend von mindestens 3.252 Toten gesprochen.
Bei den Überflutungen waren zahlreiche Menschen ins Mittelmeer gerissen worden. Ein Teil der Stadt wurde unter Schlammmassen begraben. Weiterhin werden täglich Dutzende Leichen aus dem Wasser oder unter Trümmern und Schlammmassen herausgezogen. Eilig vorgenommene Beerdigungen erschweren die Zählung und Identifizierung der Opfer.
Maltesische Rettungskräfte entdeckten laut der Zeitung „Times of Malta“ hunderte Leichen in einer Bucht. „Es waren wahrscheinlich 400, aber es ist schwer zu sagen“, sagte Einsatzleiter Natalino Bezzina der Zeitung, ohne den genauen Fundort zu nennen. Die Bucht sei wegen heftigen Winds schwer zugänglich. Sein Team habe aber bei der Bergung einiger Dutzend Todesopfer helfen können.
Ein libysches Einsatzteam auf einem Schlauchboot berichtete in einem in Online-Netzwerken verbreiteten Video, es habe in der Region Om-al-Briket etwa 20 Kilometer östlich von Darna „vielleicht 600 Leichen“ im Meer entdeckt. Unklar war, ob es sich um die selbe Stelle handelte, von der auch die maltesischen Einsatzkräfte sprachen.
Verseuchtes Grundwasser und Landminen
Ocha erklärte, die humanitäre Lage in Darna sei weiterhin „besonders schlimm“. Es gebe ernsthafte Probleme bei der Trinkwasserversorgung und mindestens 55 Kinder seien durch verseuchtes Trinkwasser vergiftet worden. Nach Angaben des UN-Koordinierungsbüros besteht in der Umgebung von Darna außerdem die Gefahr, durch Landminen verletzt oder getötet zu werden, die durch die Überschwemmungen in Bewegung geraten oder freigespült worden sind.
Gesundheitsminister Abdeldschalil wies Gerüchte über eine mögliche Evakuierung von Darna zurück. Es würden nur „bestimmte Gebiete“ der Stadt „isoliert“, um die Rettungsarbeiten zu erleichtern, erklärte er. Als Schutz vor Seuchen würden täglich Wasserproben genommen und analysiert.
Die Hilfsorganisation Islamic Relief erklärte, in Darna bestehe das Risiko einer „zweiten humanitären Krise“. Es gebe eine „wachsende Gefahr von durch Wasser übertragenen Krankheiten“ wie die Cholera. Außerdem mangele es in Darna an Nahrungsmitteln, Unterkünften und Medikamenten. „Die Stadt riecht nach Tod“, sagte Salah Abulgasem von Islamic Relief.
Chaotische Lage
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen verlegte unterdessen Teams in den Osten des Landes, um dort die Wasser- und Sanitärversorgung zu überprüfen. Bei solch einer Katastrophe „können wir uns wirklich Sorgen wegen wasserbedingter Krankheiten machen“, sagte die medizinische Koordinatorin Manoelle Carton.
Sie sprach von einer „chaotischen“ Lage in Darna. Angesichts von zahlreichen Freiwilligen aus Libyen und dem Ausland sei eine „Koordination der Hilfe dringend erforderlich“. Auf dem Flughafen von Bengasi, mehr als 300 Kilometer westlich von Darna, trafen derweil weitere Einsatzkräfte und Hilfsgüter für die Hochwasseropfer in Darna und Umgebung ein.
Die US-Diplomatin und ehemalige UN-Gesandte für Libyen, Stephanie Williams, forderte im Onlinedienst X (ehemals Twitter) die Schaffung eines „gemeinsamen nationalen/internationalen Mechanismus, um die (Hilfs-)Fonds zu beaufsichtigen“. Sie verwies auf die „räuberische“ herrschende Klasse in Libyen, die dazu neige, „unter dem Vorwand der Souveränität“ die Hilfsaktionen „nach ihren Interessen“ zu steuern. (afp)
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