Ungarn: Wir könnten Migranten nach Brüssel schicken

In der Frage der Migrationskrise schließt Ungarn neue Ansätze nicht aus. Die Regierung Orbán ist nicht bereit, Migranten ins Land zu lassen, selbst wenn sie dafür Hunderte Millionen Euro Strafe an die EU zahlen muss.
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Flüchtlinge verlassen Ungarn während der Migrationskrise 2015.Foto: iStock / RadekProcyk
Von 28. August 2024

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Ende vergangener Woche erläuterte der ungarische Kanzleramtsminister, Gergely Gulyás, in einer Presseerklärung den Standpunkt Ungarns zum neuen EU-Migrationspakt.

„Wenn Brüssel Ungarn weiterhin eine Verordnung aufzwingen will, die das Festhalten von Migranten an der Grenze nicht zulässt, werden wir allen Migranten an der ungarischen Grenze ermöglichen, sich freiwillig und kostenlos nach Brüssel transportieren zu lassen“, so der Minister.

Der Parlamentarische Staatssekretär des Innenministeriums, Bence Rétvári, bestätigte diese Aussage ebenfalls in einem Radiointerview am Sonntag. Rétvári fügte hinzu, dass neben den Ungarn auch die östlichen Länder der EU im Allgemeinen „die massenhafte Ansiedlung illegaler Migranten vollständig ablehnen“. Wenn Brüssel wirklich Migranten wolle, überlege die ungarische Regierung, wie man sie dorthin transportieren könne.

Den Hintergrund des Konflikts bildet eine Entscheidung des höchsten Gerichts der EU.

200 Millionen Euro Strafe

Mitte Juni hat der Europäische Gerichtshof Ungarn wegen Nichteinhaltung der Asylvorschriften zu einer Geldstrafe verurteilt. Nach dem Urteil muss Ungarn eine einmalige Geldstrafe in Höhe von 200 Millionen Euro sowie 1 Million Euro für jeden Tag des Verzugs zahlen.

Ministerpräsident Viktor Orbán erklärte damals, dass Ungarn dafür bestraft werde, „dass es die illegalen Migranten nicht einreisen lässt“.

„Die Entscheidung ist ungeheuerlich und inakzeptabel. Wir werden der finanziellen Erpressung der Brüsseler Bürokraten nicht nachgeben! Wir werden unsere Grenzen verteidigen und das ungarische Volk schützen!“, schrieb er auf Facebook.

Die Debatte geht auf den Dezember 2020 zurück. Damals verurteilte der Europäische Gerichtshof Ungarn zum ersten Mal, weil es den Zugang zum Asylverfahren für Personen, die internationalen Schutz suchen, eingeschränkt hat. Den ungarischen Behörden wurde vorgeworfen, Asylsuchende rechtswidrig in Transitzonen festzuhalten.

Nach EU-Recht dürfen Asylsuchende nicht länger als 28 Tage festgehalten werden. In dieser Zeit muss ihr Antrag geprüft werden. Ist noch keine Entscheidung gefallen, muss ihnen die Einreise gestattet werden.

Darüber hinaus stellte der EuGH fest, dass Ungarn gegen das Gesetz verstoßen hat, als die Behörden die Asylbewerber abschoben, während diese gegen ihre abgelehnten Anträge Berufung einlegten.

Die einfache Fahrkarte nach Brüssel ist nur eine Ultima Ratio

Die Idee der ungarischen Regierung, Migranten direkt nach Brüssel zu schicken, sei nicht beispiellos. Viktor Marsai, Direktor des Migrationsforschungsinstituts, berichtete gegenüber der regierungsnahen Tageszeitung „Magyar Nemzet“, dass der texanische Gouverneur Greg Abbott Zehntausende Migranten auf Kosten des Staates Texas nach New York, Chicago, Denver, Philadelphia, Los Angeles und Washington, D.C. gebracht hat, wo die Mehrheit der Bevölkerung Demokraten waren.

Das sei aber eindeutig nicht die Lösung, die die ungarische Regierung anstrebe, sagte der Experte. Vielmehr müsse ein vernünftiger Deal mit Brüssel erzielt werden.

Das Problem liegt in dem neuen Migrationspakt Brüssels. Laut dem Pakt vom April ist Ungarn verpflichtet, 8.000 Menschen im Asylverfahren an der Grenze parallel zu prüfen, was maximal drei Monate dauern sollte. Wenn das nicht so schnell geht, müssen die Migranten nach Ungarn einreisen dürfen.

„Das sind 32.000 Menschen pro Jahr. Das würde eine elfmal höhere Kapazität erfordern als in den bisherigen Transitzonen, in denen sich jeweils etwa 700 Menschen aufhalten“, sagte Marsai. Der Aktionsplan muss hierzu bis Dezember fertig sein.

Verfassungsrechtler: Ungarn hat das Recht, die Kommission zu verklagen

Verfassungsrechtler Zoltán Lomnici erklärte gegenüber „Magyar Nemzet“, dass Ungarns Regierung seit Jahren versuche, Brüssel dazu zu bringen, den Grenzschutz der Europäischen Union zu finanzieren, für den Ungarn seit 2015 rund 700 Milliarden Forint (1,8 Milliarden Euro) ausgegeben habe.

Nach Artikel 263 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) habe Ungarn das Recht, die Europäische Kommission vor dem EU-Gerichtshof auf eine Entschädigung der EU für die Grenzschutzausgaben zu verklagen. Das sei ein viel höherer Betrag als der, den Ungarn aufgrund des Urteils dieses Gerichts vom 13. Juni zahlen müsste, in dem eine Geldstrafe von 200 Millionen Euro verhängt wurde, sagte er.

Obwohl es für Ungarn nicht mehr möglich sei, gegen das Urteil des EU-Gerichts in Berufung zu gehen, könnte aber das Land durch eine weitere Klage erhebliche Geldsummen zugesprochen bekommen.

Lomnici verwies auch darauf, dass die Ausübung der Befugnisse der EU im Einklang mit den im Grundgesetz verankerten Grundrechten und -freiheiten stehen müsse. So darf diese das unveräußerliche Recht Ungarns, über seine territoriale Integrität, seine Bevölkerung, seine Regierungsform und sein Staatssystem zu verfügen, nicht einschränken.

Brüssel reagiert

Die Sprecherin der Europäischen Kommission, Anitta Hipper, reagierte auf die Ankündigung der ungarischen Regierung Ende vergangener Woche, dass Ungarn möglicherweise Migranten direkt nach Brüssel transportieren könnte.

Hipper erklärte, dass die Kommission nicht die Absicht habe, die ungarischen Äußerungen zu kommentieren, betonte aber, dass es das Ziel der EU sei, die Migration effektiv und auf menschenwürdige Weise zu steuern.

„Wir arbeiten daran, dass die EU in diesem Bereich einheitlich handelt, sei es durch Gesetzgebung, operative Maßnahmen oder die Zusammenarbeit mit Partnerländern. Wir werden weiterhin mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Migration richtig gesteuert wird“, so Hipper.

Zudem merkte der Sprecherkollege Hippers an, dass die Kommission an „scharfe Kommentare“ der ungarischen Regierung zu Einwanderungsfragen gewöhnt sei.



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