Umstrittenes EU-Renaturierungsgesetz mit knapper Mehrheit angenommen

Kaum eine Abstimmung eines Gesetzesvorhabens wurde mit so viel Spannung erwartet. Nachdem es im Juni kurz den Anschein hatte, als würden die Grundpfeiler des Green Deal ins Wanken kommen, hat sich die Situation nun geändert.
Titelbild
Ein Moorweiher im Allgäu. Das EU-Renaturierungsgesetz sieht vor, bis 2030 für mindestens 20 Prozent der Flächen und Meeresgebiete in der EU eine Renaturierung zu veranlassen.Foto: iStock
Von 12. Juli 2023

Die EU-Abgeordneten in Straßburg haben am Mittwoch mit knapper Mehrheit für den Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zur Wiederherstellung der Natur abgestimmt. 324 Abgeordnete stimmten dafür, 312 dagegen. Zwölf haben sich enthalten.

Zuvor hatten die Konservativen im Umweltausschuss mit weiteren rechten Abgeordneten im Juni die Zustimmung zum Kommissionsvorschlag verhindert. Im heutigen Plenum wurde deshalb zunächst nur darüber entschieden, ob der Entwurf an die Brüsseler Behörde zurückverwiesen werden soll oder nicht.

Der Ausgang der Abstimmung war bis zum Schluss völlig offen, deshalb war klar, dass es auf jede Stimme ankommen würde. Auch Vertreter anderer Fraktionen hatten sich in vertraulichen Gesprächen nur vorsichtig über den möglichen Ausgang der Abstimmung geäußert.

Von der Europäischen Union wird das Gesetz, das EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) als wichtigstes Projekt ihrer Amtszeit sieht, als Grundpfeiler des Green Deal betrachtet. Mit dem „Green Deal“ will die EU ihr Ziel erreichen, bis 2050 klimaneutral zu werden.

Laut EU-Kommissionsvize Frans Timmermans hätte die Ablehnung des Gesetzes fatale Folgen gehabt, wie er im Vorfeld vor Journalisten angab. „Wenn wir keine Einigung über die Wiederherstellung der Natur erzielen können, haben wir auch Probleme mit unseren Emissionsreduktionszielen, denn vieles von dem, was wir tun wollen, hängt davon ab, dass die Natur die Lösung liefert“, so Timmermans.

Weber begrüßt Debatte mit Umweltaktivisten

Weber selbst betonte dagegen bei einem Treffen mit Umweltaktivisten, das „Engagement für die europäischen Klima- und Biodiversitätsziele zu bekräftigen“. Er begrüße die demokratische Debatte. In einem Twitter-Beitrag schreibt er: „Wir sind für die Wiederherstellung der Natur, aber gegen dieses Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. Wir brauchen einen neuen Vorschlag.“


Wie Weber gegenüber der Funke Mediengruppe angab, beobachte er schon jetzt eine „schleichende Deindustrialisierung“, die sich nicht weiter verschärfen dürfe: „Die letzten vier Jahre waren zu Recht geprägt von der Umweltgesetzgebung. Die nächsten fünf Jahre werden eindeutig geprägt sein von Wettbewerbsfähigkeit und Jobs.“

Die Christdemokraten kritisieren unter anderem, dass das Vorhaben Bauern zu sehr einschränke und damit negative Folgen für die Lebensmittelproduktion habe. Auch müsse bei einer Umsetzung der EU-Verordnung mit einer „Enteignung“ von Flächen gerechnet werden.

Petition: Umweltgruppen befürchten „Kollaps des Klimas“

Vor der Abstimmung im EU-Parlament über das Renaturierungsgesetz haben über eine Million Menschen in einer Online-Petition einen ambitionierten Einsatz für die Natur gefordert. Die von mehreren Umweltgruppen gestartete Petition unterzeichneten bis Mittwochvormittag 1,1 Millionen Menschen, wie der Umweltverband NABU mitteilte (Stand 11:30 Uhr).

Darin fordern sie die Abgeordneten in Straßburg auf, sich für ein „starkes EU-Renaturierungsgesetz“ einzusetzen und dieses bis Ende 2023 zu verabschieden.

Wir haben Angst: Der Verlust der biologischen Vielfalt und der Kollaps des Klimas bedrohen das Überleben unseres Planeten und der Menschheit selbst“,

heißt es in dem im Rahmen der Petition veröffentlichten Brief an die EU-Abgeordneten. „Sie haben die Chance, eine Zukunft zu sichern, in der Natur und Menschen gemeinsam wachsen können.“

Die „degradierten Moore, Wälder, Auen und Flüsse in Europa“ müssten dringend wieder in einen guten Zustand gebracht werden, erklärte NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. Dafür sei ein ambitioniertes EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur nötig. „Gelingt das nicht, steht unsere Lebens- und Wirtschaftsgrundlage auf dem Spiel.“

Im Vorfeld Demonstrationen in Straßburg – Thunberg dabei

Bereits am Dienstag hatten vor dem EU-Parlament in Straßburg sowohl Umweltschützer als auch Landwirte anlässlich der anstehenden Abstimmung zum Renaturierungsgesetz demonstriert – die einen dafür und Letztere dagegen. Die Bauern fürchten massive Einbußen, wenn sie einen Teil ihrer Flächen nicht mehr nutzen können oder der Einsatz von Pestiziden massiv eingeschränkt wird.

Zusammengekommen waren rund 300 Menschen, unter ihnen auch die Klimaaktivistin Greta Thunberg. Thunberg muss sich Ende Juli wegen einer anderen Demonstration in Schweden vor Gericht verantworten. Damals hatte sie sich geweigert, Polizeibefehlen Folge zu leisten und den Proteststandort zu verlassen.

Die AfD bezeichnete das Renaturierungsgesetz als „brandgefährlich“, es greife „radikal in die Eigentumsfreiheit der Bauern ein“. „Bei einer Zustimmung würde Brüssel nicht nur Zehntausende bäuerliche Familienbetriebe in Deutschland unwiederbringlich zerstören, sondern auch unsere Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln gefährden“, erklärte der Agrarpolitiker Stephan Protschka. Guter Naturschutz funktioniere nur gemeinsam mit den Bauern.

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)



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