Ukraine wirft Moskau systematische Verletzung des Budapester Memorandums vor – Ex-Botschafter stellt Nuklearverzicht infrage
Die jüngste Eskalation der Spannungen zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine sowie Äußerungen eines ukrainischen Generalmajors über eine mögliche nukleare Aufrüstung seines Landes haben auch in Westeuropa Spekulationen und Besorgnis ausgelöst.
Der Zwischenfall in der Straße von Kertsch Ende November hatte den Konflikt zwischen beiden Staaten weiter angeheizt. Der russische Grenzschutz hatte – auch mithilfe von Kampfhubschraubern – vor etwa drei Wochen drei ukrainische Militärschiffe in der Meerenge zwischen Asowschem und Schwarzem Meer aufgebracht.
Die Ukraine sprach von einer „Aggression“. Sie habe nach eigenen Angaben den Behörden der Russischen Föderation angezeigt, einen Schlepper und zwei Artillerieboote von Odessa nach Mariupol verlegen zu wollen. Moskau bestreitet dies und spricht von einer „Provokation“. Bei dem Vorfall wurden mindestens drei Ukrainer verletzt, alle 23 Besatzungsmitglieder wurden wegen des Verdachts „illegaler Aktivitäten in russischen Gewässern“ festgenommen.
Eigentlich gilt seit 2003 ein Vertrag über die freie Durchfahrt durch das Asowsche Meer zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation. Dieser erstreckt sich auf die militärische und auch die zivile Schifffahrt beider Länder und auf Handelsschiffe von Drittländern.
Wechselseitige Schikanen an der Tagesordnung
Das Jahr 2014 mit dem gewaltsamen Machtwechsel in Kiew und der Abspaltungserklärung der Autonomen Republik Krim – aus Sicht der Ukraine und deren westlicher Verbündeter eine „völkerrechtswidrige Annexion“ – änderte jedoch Grundlegendes. Seit dieser Zeit und der Errichtung einer Brücke zwischen Südrussland und der Krim kontrollieren russische Lotsen die Meerenge allein und sie haben ihre Kontrollintensität deutlich ausgeweitet. Sowohl aufseiten der Ukraine als auch Russlands kommt es seither in den Hafenstädten des Asowschen Meeres vermehrt auch zu schikanösen Kontrollen ziviler Wasserfahrzeuge der jeweils anderen Seite mit stunden- bis zu tagelangen unfreiwilligen Aufenthaltsverlängerungen. Die Ukraine hat auch begonnen, in dem Gewässer eine eigene Marinebasis aufzubauen.
Nun hat das Außenministerium der Ukraine umgehende Konsultationen unter den Signatarstaaten des Budapester Memorandums gefordert. Minister Pawlo Klimkin begründete dies damit, dass „die russische Aggression und die Verletzung der Bedingungen für einen Verzicht der Ukraine auf Atomwaffen“ internationale Standards zur Non-Proliferation unterminiere. Dies gefährde auch künftige Beziehungen zu Ländern, die mit dem Gedanken spielten, solche Waffen zu entwickeln.
Auf den ersten Blick mag es irritieren, dass sich die Regierung der Ukraine, die sich gerade ihrer besonders ausgeprägten Westorientierung seit dem Umsturz auf dem Kiewer Maidan im Jahr 2014 rühmt, auf diese Weise selbst mit notorischen Outlaws wie Nordkorea oder dem Iran in Relation bringt. Es wird jedoch dann verständlicher, wenn man sich den Sinngehalt des Budapester Memorandums von 1994 vor Augen führt.
Zum damaligen Zeitpunkt war die Ukraine, die 1992 nach Jahrzehnten der Zwangseingliederung in die Sowjetunion ihre Eigenstaatlichkeit erlangt hatte, noch Hüterin des größten Teils des sowjetischen Atomwaffenarsenals. Die Russische Föderation als Rechtsnachfolgerin des untergegangenen sozialistischen Großreichs erhob Anspruch auf dieses. Die Ukraine erklärte sich bereit, diesen anzuerkennen und Moskau die Atomwaffen auszufolgen, sollte es im Gegenzug wirksame Garantien für die Souveränität, den Schutz und die territoriale Integrität des Landes geben.
Krim 2014: Russische Aggression oder Nothilfe nach verfassungswidrigem Putsch?
Nachdem Großbritannien, die USA und die Russische Föderation dies zugesagt hatten, trat die Ukraine dem Non-Proliferationsvertrag (NPT) bei und verzichtete so auf den weiteren Besitz von Nuklearwaffen. Im Gegenzug garantierten die anderen Signatarstaaten der Ukraine Souveränität und territoriale Integrität sowie dass keiner der Staaten seine Waffen jemals gegen die Ukraine zum Einsatz bringen werde.
Die Ukraine wirft Russland vor, dieses Memorandum seit dem Regierungswechsel in Kiew 2014 mehrfach verletzt zu haben – unter anderem durch den Einsatz russischer Soldaten ohne Hoheitszeichen im Umfeld der Volksabstimmung auf der Krim über den Beitritt zur Russischen Föderation, durch die Unterstützung der bewaffneten prorussischen Verbände und „Volksrepubliken“ im Donbass und jüngst durch das Vorgehen in der Straße von Kertsch.
Russland betrachtet die Abspaltung der Krim demgegenüber als direkte Reaktion auf die gewaltsam erzwungene Flucht des gewählten Präsidenten Wiktor Janukowytsch und nationalistisch motivierte Einschränkungen von Volksgruppenrechten der russischen Minderheit. Dass die sogenannten „Höflichen Menschen“ die Volksabstimmung schützten, habe den Zweck gehabt, eine gewaltsame Niederschlagung von Protesten gegen den Umsturz zu verhindern. Auch hinter den bewaffneten Aufständen im Osten der Ukraine wolle man nicht stecken – obwohl Offiziere der russischen Armee und des Geheimdienstes in den Regierungsetagen der „Volksrepubliken“ stets offene Türen vorfinden.
Mit dem Hinweis auf die mögliche Infragestellung der Grundlage des Nuklearwaffenverzichts und dem versteckten Verweis auf Schurkenstaaten, die nach solchen streben, wollte das ukrainische Außenministerium vor allem seine Verbündeten zu weiteren Sanktionen gegen Russland motivieren. Einen tatsächlichen Ausstieg aus dem Nonproliferationsvertrag und die Inangriffnahme eines eigenen ukrainischen Atomprogramms fordern jedoch bislang nur wenige Politiker des Landes – etwa die nicht in der Regierung vertretene rechtskonservative Radikale Partei von Oleh Ljaschko oder die Ultranationalisten von Swoboda über den „Rechten Sektor“ bis hin zum „Nationalen Korps“.
Ukraine befürchtet Nuklearisierung der Krim und russische Invasion
Allerdings hat der frühere ukrainische Gesandte bei der NATO, Petro Garaschtschuk, mit seinen jüngsten Äußerungen in einem TV-Interview Spekulationen weiter angeheizt, als dieser erklärte, die Ukraine verfüge über die intellektuellen, organisatorischen und finanziellen Kapazitäten, um seine eigenen Nuklearwaffen zu bauen. Dies gelte nicht nur für Bomben, sondern auch für voll funktionsfähige nukleare Sprengköpfe für Raketen.
In Dnipro sei seit früheren Zeiten eine Anlage vorhanden, die in der Lage sei, einzigartige Interkontinentalraketen herzustellen, die bislang weder die USA noch Russland oder die Volksrepublik China produzieren hätten können.
Während russische Medien die Äußerungen des inaktiven Diplomaten nun gezielt instrumentalisieren, um Kiew und seinen westlichen Verbündeten vorzuwerfen, mit dem Feuer zu spielen, werfen ukrainische Regierungsvertreter ihrerseits Moskau vor, die Krim zu nuklearisieren oder sogar eine Invasion in der Ukraine vorzubereiten.
Wolodymyr Jeltschenko, der ukrainische UN-Botschafter, sprach jüngst gegenüber US-amerikanischen Medien davon, dass Russland die Anzahl seiner Soldaten auf der Halbinsel von 12 500 auf mehr als 28 000 mehr als verdoppelt habe. Jüngste Schätzungen gingen von etwa 31 500 aus.
„Die russische Armee auf der Krim verfügt über Panzer und Luftabwehrsysteme, die es zuvor nicht gegeben hatte“, erklärte Jeltschenko. „Es gibt mehr als das Sechs- oder Siebenfache an Kampffahrzeugen, Artilleriesystemen, Kampfflugzeugen und man bereitet die vollständige Renuklearisierung der Krim vor.“
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