Ukraine tritt dem Internationalen Strafgerichtshof bei – mit Einschränkungen

Das ukrainische Parlament hat den Beitritt zum Internationalen Strafgerichtshof beschlossen. Allerdings hat Kiew eine Bedingung gestellt: Der Gerichtshof darf sieben Jahre lang keine Kriegsverbrechen in der Ukraine untersuchen.
Titelbild
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, inspiziert am 13. April 2022 ein Massengrab in Butscha, Ukraine.Foto: Fadel Senna/AFP via Getty Images
Von 23. August 2024

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Das Parlament in Kiew stimmte am Mittwoch, 21. August, mit 281 von 328 Abgeordneten dafür, das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zu ratifizieren. Damit wurde anerkannt, dass das Gericht mit Sitz in Den Haag in Zukunft über ukrainische Staatsbürger urteilen kann.

Die Maßnahme ist auch eine Voraussetzung für den Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union. Das Land hofft außerdem, dass der Schritt eine weitere Gelegenheit bietet, mögliche Kriegsverbrechen zu untersuchen, die von russischen Soldaten auf seinem Territorium begangen wurde.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bezeichnete den Beschluss vom Mittwoch als historisch. „Mit diesem Schritt zeigt die Ukraine ihr unerschütterliches Engagement für die Stärkung der internationalen Justiz“, so Kuleba auf seinem X-Kanal.

Kuleba betonte außerdem, dass „die Ukraine bereits effektiv mit dem IStGH zusammengearbeitet hat, um eine umfassende Rechenschaft für alle russischen Gräueltaten zu gewährleisten, die im Zuge der russischen Aggression begangen wurden.“

Internationaler Strafgerichtshof

Die Ukraine ist damit nun das 125. Land, das den Vertrag des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag angenommen und ratifiziert hat. Der Gerichtshof untersucht die individuelle strafrechtliche Verantwortung für schwerste Verbrechen. Der von den UN eingesetzte, aber von ihnen unabhängigen Gericht ist seit dem Jahr 2003 im niederländischen Den Haag tätig. Hauptaufgabe des IStGH ist die Verfolgung und Bestrafung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

Angeklagt werden können nur Personen, die aus einem Land kommen, das die Arbeit des IStGH unterstützt. Seine Urteile haben daher unter anderem in Israel, den USA, Russland und China keine Gültigkeit. Alle EU-Mitgliedstaaten haben das Römische Statut unterzeichnet und ratifiziert.

Im vergangenen Jahr erließ das Gericht einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und seine Kinderrechtsbeauftragte Marija Lwowa-Belowa wegen des Vorwurfes der Deportation ukrainischer Kinder nach Russland und in russisch kontrollierte Gebiete.

Der Internationale Strafgerichtshof hat seinen Sitz in Den Haag, Niederlande. Foto: iStock/oliver de la haye

Ukraine hat eine Bedingung gestellt

Am 15. August legte Präsident Wolodymyr Selenskyj dem Parlament ein Gesetzespaket zur Ratifizierung des Römischen Statuts des Strafgerichtshofes vor. Nach Angaben des Nachrichtenportals „Europejska Prawda“ heißt es in dem verabschiedeten Dokument jedoch, dass die Ukraine die Zuständigkeit des Strafgerichtshofes für Kriegsverbrechen, an denen ukrainische Staatsbürger beteiligt sind, sieben Jahre lang nicht anerkennen wird.

In dem Bericht heißt es weiter: „Es ist bisher nicht klar, wie diese Bestimmung funktionieren wird, nachdem die Ukraine dem IStGH bereits das Recht eingeräumt hat, auf ihrem Territorium begangene Kriegsverbrechen zu untersuchen.“

Die Ukraine hat das Statut bereits im Jahr 2000 unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert. Als einer der Gründe wurde die Befürchtung angeführt, dass der IStGH ukrainische Bürger zur Rechenschaft ziehen könnte.

Die Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und dem Internationalen Strafgerichtshof begann bereits vor der Ratifizierung. Dessen Chefankläger, Karim Khan (3.v.l.), inspizierte am 13. April 2022 ein Massengrab in Butscha. Foto: Fadel Senna/AFP via Getty Images

Über die Ängste der Ukrainer

Der Beitritt zum internationalen Gericht ermöglicht der Ukraine zwar, mögliche Vergehen von Angehörigen der russischen Streitkräfte zu verfolgen, hat aber anscheinend auch Ängste in der Bevölkerung geschürt.

Nach Angaben der Zeitung „Ukrajinśka Prawda“ bestehe trotz der siebenjährigen Ausnahme Ungewissheit über die möglichen Folgen eines Beitritts, und zwar in Bezug auf die mögliche strafrechtliche Verfolgung von ukrainischen Soldaten und Entscheidungsträgern.

Gyunduz Mamedov, ehemaliger stellvertretender Generalstaatsanwalt der Ukraine, und Nadiya Volkova, Direktorin einer ukrainischen Rechtsberatungsgruppe, analysierten dies in einem gemeinsamen Artikel.

Sie beschrieben auch die Befürchtung, dass der IStGH zu einem Werkzeug der Russischen Föderation und ihrer Verbündeten werden könnte, falls diese die Eröffnung von Verfahren gegen ukrainische Bürger fordern.

Die Autoren warfen auch die Frage auf, ob die ukrainischen Soldaten im Zusammenhang mit der Offensive in der russischen Region Kursk „vor Gericht gestellt werden könnten“.

Die Anwälte betonten, dass es die Aufgabe des IStGH ist, unparteiisch für Gerechtigkeit zu sorgen. Der Gerichtshof untersuche jedoch nur Fälle, für die es genügend Beweise gebe. „Wenn die Ukraine außerdem nachweisen kann, dass sie angemessene und qualitativ hochwertige Ermittlungen gegen ihre Bürger durchführt, welche schwere internationale Verbrechen begangen haben, wird der IStGH nicht eingreifen.“

Allerdings schreiben Mamedov und Volkova auch, dass bei den Ermittlungen weder die Nationalität der Täter noch ihre Zugehörigkeit zu einer der Konfliktparteien berücksichtigt würde. „Der einzige wirklich effektive Weg, eine Verfolgung durch den IStGH oder das nationale Regime zu vermeiden, ist daher die weitere Umsetzung und Durchsetzung des humanitären Völkerrechts.“

Reaktion aus Moskau

Konstantin Kossatschow, stellvertretender Sprecher des Oberhauses des russischen Parlaments, reagierte auf die Entwicklung aus Kiew auf seinem Telegrammkanal. Laut Kossatschow hat das ukrainische Parlament die Ratifizierung wohl „so lange wie möglich hinausgezögert“. Er zieht eine Verbindung zu einem Sicherheitsabkommen zwischen Japan und der Ukraine vom Juni 2024, welches als eine der rechtlichen Verpflichtungen Kiews die Ratifizierung des IStGH-Statuts beinhalte.

„Die Ukraine untersteht nun der Gerichtsbarkeit des IStGH. Das ist übrigens eine Besonderheit von Staaten, die ihrer Souveränität beraubt wurden“, schrieb der Politiker. Seiner Aussage nach unterliegen „wirklich souveräne Länder“ keiner anderen Gerichtsbarkeit als der ihrer eigenen Gerichte. Aus diesem Grund, so Kossatschow, erkennen neben Russland auch die USA, China, Indien, die Türkei, Aserbaidschan, Weißrussland, Ägypten, Indonesien, Iran, Kasachstan, Saudi-Arabien und andere die Zuständigkeit des IStGH nicht an.

Der Sprecher ging auch auf die Tatsache ein, dass die Ukraine die Gerichtsbarkeit des Gerichts für sieben Jahre nur unter Vorbehalten anerkennt. „Ich möchte daran erinnern, dass Artikel 8 [welchem sich die Ukraine sieben Jahre lang entzieht] eine breite Liste von Kriegsverbrechen enthält: von Mord, Folter und Vergewaltigung bis zu Geiselnahme, Angriffen auf zivile Objekte und dem Einsatz verbotener Mittel und Methoden der Kriegsführung“, schrieb Kossatschow.

Er betonte, dass neben Artikel 8 über Kriegsverbrechen, das IStGH-Statut aber auch die Rechenschaftspflicht für Völkermord (Artikel 6) und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Artikel 7) vorsehe. „Der Vorbehalt der Ukraine deckt diese Kategorien von Verbrechen nicht ab, was bedeutet, dass der IStGH mit der Aufarbeitung dieser Verbrechen beginnen könnte“, so Kossatschow.

Der UN-Menschenrechtsrat hatte die von ukrainischen Kämpfern begangenen Kriegsverbrechen außerdem „in zahlreichen Berichten thematisiert“.



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