Ukraine plant neuen Anlauf für Friedensgespräche – so stehen die Aussichten

Die Ukraine bereitet offenbar einen neuen Anlauf für Friedensverhandlungen in der Schweiz vor. Dass Selenskyj dabei von seinen Plänen für einen Sieg Abstand nehmen wird, erscheint unwahrscheinlich: Erst jüngst bestellte Kiew den Vatikanbotschafter ein, um den Friedensappell des Papstes zu tadeln.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba fordert nach Gesprächen in Vilnius weitere Waffen und Munition für den Krieg gegen Russland.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba.Foto: Mindaugas Kulbis/AP/dpa
Von 13. März 2024

Ist ein Frieden für die Ukraine vielleicht doch in absehbarer Zeit erreichbar? Ein Interview des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba lässt zumindest ein Fünkchen Hoffnung aufkeimen: Nach Informationen der „Sky News Arabia“-Journalistin Nancy Tabet bestätigte Kuleba in dem arabischen Fernsehsender, dass die Ukraine derzeit an einem „Friedensgipfel“ arbeite. Als Tagungsort habe man sich abermals für die Schweiz entschieden.

Zunächst, so Kuleba, wolle man möglichst viele Länder einladen, „die sich auf die Grundsätze der UN-Charta und die von [der] Ukraine vorgeschlagene Friedensformel einigen“ könnten. Auch arabische Staaten sollten an diesem ersten Treffen teilnehmen. Russland werde dann „in der Lage sein, am zweiten Gipfel teilzunehmen, der hoffentlich zu einem Ende des Krieges führen“ werde, so Kuleba laut Nancy Tabet. Seiner Einschätzung nach sei die Kriegslage „ausgeglichen“, die Ukraine könne die russischen Angriffe im Schwarzen Meer abwehren. Tabet gab die Kernpunkte des Gesprächs am 12. März 2024 auf ihrem X-Kanal bekannt (Video auf YouTube).

Bereits am vergangenen Montag, 11. März, erzählte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem Interview mit dem französischen TV-Sender BFMTV von seinem Wunsch, einen Friedensgipfel in der Schweiz stattfinden zu lassen, um einen „Friedensplan“ auszuarbeiten. Dieser könne dann von „Ländern, die diesen Plan unterstützen, […] an Vertreter der Russischen Föderation“ weitergeleitet werden.

Knackpunkt „Friedensformel“

Nach Informationen der „Berliner Zeitung“ hat der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis bereits Ende Februar 2024 in der UN-Generalversammlung „alle Nationen“ eingeladen, „auf unser gemeinsames Ziel hinzuarbeiten“. Er habe auch auf die Existenz diverser Lösungsvorschläge abseits von Selenskyjs Vorstellungen hingewiesen, schrieb die „Berliner Zeitung“ unter Berufung auf die russische Nachrichtenagentur „TASS“:

Es gibt insgesamt etwa zehn Friedenspläne. Natürlich sprechen wir über den Zehn-Punkte-Friedensplan des ukrainischen Präsidenten. Dann gibt es sechs oder sieben öffentlich bekannte Pläne. Es gibt auch geheime.“

Weitere Details habe Cassis nicht erwähnt. Nach Einschätzung der „Berliner Zeitung“ wird wie bei dem internationalen Davoser Treffen vom Januar die entscheidende Frage sein, ob die Befürworter der ukrainischen „Friedensformel“ sich gemeinsam mit Kiew auf einen neuen Kompromissvorschlag einigen werden, der dann Moskau vorgelegt werden könnte.

Bislang beharrt Präsident Selenskyj noch immer auf einem „Siegfrieden“ für die Ukraine: Sein Zehn-Punkte-Plan sieht unter anderem den Abzug aller russischen Truppen, Strafen für russische Kriegsverbrecher, Reparationen und Sicherheitsgarantien vor.

Dass Moskau dem zustimmen könnte, erscheint noch immer unwahrscheinlich: Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja habe Cassis‘ Einladung von Ende Februar seinerzeit mit den Worten quittiert, dass man „keine Zeit mit Kiews vergeblichen Plänen verschwenden“ sollte, „auf der Grundlage von Selenskyjs sogenannter Friedensformel zu verhandeln“. Eine aktuelle Reaktion des Kreml auf Kulebas jüngstes Interview steht noch aus.

Kiew macht Ansage an Vatikan-Botschafter

Noch vor zwei Tagen sah es jedenfalls nicht danach aus, als wolle die ukrainische Führung von ihrer Position abrücken: Nachdem kurz vor dem Wochenende bekannt wurde, dass der Papst schon im Februar an Kiew appelliert hatte, den „Mut zum Hissen der weißen Fahne“ aufzubringen, bestellte die Ukraine nach Informationen des „Kölner Stadtanzeigers“ den Vatikan-Botschafter ein.

In Kulebas Außenministerium wurde der Apostolische Nuntius Visvaldas Kulbokas dann am 11. März 2024 offiziell in Kenntnis gesetzt, dass die ukrainische Regierung „enttäuscht“ über die Äußerungen des Papstes sei, die dieser im Rahmen eines Interviews mit dem Schweizer Fernsehsender RSI getätigt hatte. Kiew hätte es lieber gesehen, wenn Franziskus seinen Verhandlungsappell „an den Angreifer und nicht an das Opfer“ gerichtet hätte.

„Appelle zu senden, die das Recht des Stärkeren legalisieren und ihn dazu ermutigen, die Normen des Völkerrechts weiter zu missachten“, werde nicht vom Pontifex erwartet. Stattdessen hätte der Papst sich besser für einen „Sieg des Guten über das Böse“ einsetzen sollen, zitiert der „Stadtanzeiger“ das ukrainische Außenministerium. Weiter habe es geheißen, dass die Ukraine einen „fairen“ Frieden anstrebe, dieser jedoch nur auf der Basis von Selenskyjs „Friedensformel“ zustande kommen dürfe.

Moskau verhandlungsbereit

Kremlsprecher Dmitri Peskow stellte nach Angaben des „RedaktionsNetzwerks Deutschland“ (RND) am selben Tag erneut klar, dass der russische Präsident Wladimir Putin eine Verhandlungslösung favorisieren würde, um die Kämpfe in der Ukraine zu beenden. „Das ist der bevorzugte Weg“, habe Peskow gesagt, so das RND unter Berufung auf „russische Nachrichtenagenturen“.

Peskow habe außerdem davon gesprochen, dass Russland die Worte des Papstes ohnehin „als Plädoyer für Verhandlungen“ verstanden habe, nicht aber als einen Aufruf zur Kapitulation der Ukraine. Nach Darstellung von Peskow habe Putin seine Bereitschaft und Offenheit zu Gesprächen auch früher immer wieder zum Ausdruck gebracht.

Kiew will keine Pause für Russland

Den persönlichen Gang an den Verhandlungstisch mit Putin lehnt Selenskyj nach wie vor ab. Im BFMTV-Interview bezweifelte er, dass es seinem Kontrahenten Putin wirklich um Verhandlungen gehe. Vielmehr glaube er, dass der Kreml-Chef Zeit gewinnen wolle, um „die Wiederherstellung der militärischen Fähigkeiten seiner Armee und die Ausbildung seiner jungen Wehrpflichtigen“ voranzutreiben. Zusätzlich würde Russland die Gelegenheit gegeben, noch mehr Munition herzustellen. Eine „Pause“ dafür wolle er Russland nicht zugestehen. Denn das Ziel Russlands sei, „die Zerstörung der Ukraine und von allem, was in der Ukraine lebt, mit allen Mitteln“, so Selenskyj in gewohnt scharfer Rhetorik.

An einen Atomangriff glaube er aber nicht: Immerhin werde die Ukraine „durch den Nuklearschirm der NATO geschützt“. Womöglich werde Putin aber das Baltikum oder Moldawien per „Landoperation“ angreifen, so der ukrainische Präsident. Baltische Regierungsmitglieder begeisterten sich jüngst stark für Macrons Idee, europäische Truppen in die Ukraine zu entsenden.

Selinskyj: „Lage viel besser als in den letzten drei Monaten“

Derzeit sei die aktuelle Situation an der ukrainischen Front „viel besser als in den letzten drei Monaten“, gab sich Selenskyj optimistisch. Der „Vormarsch Russlands“ sei „gestoppt“ worden. Die feindliche Armee sei „20 Kilometer vor uns“, die russischen Truppen verlören „einen großen Teil ihrer lebenswichtigen Kräfte“, so Selenskyj laut BFMTV.

Die ukrainischen Soldaten seien unterdessen dabei, „drei Befestigungslinien“ mit einer Gesamtlänge von über 1.000 Kilometern zu errichten. Da die russischen Streitkräfte aber über mehr Langstreckenwaffen verfügen würden, habe der ukrainische Präsident den Westen erneut aufgefordert, ihm ebenfalls mehr derartige Waffen zu liefern. Im BFMTV-Gespräch hatte Selenskyj auch über zu wenig Artilleriemunition, über die Luftblockade und über die „hohe Dichte an russischen Drohnen“ geklagt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) dachte zuletzt darüber nach, der Ukraine deutsche Taurus-Marschflugkörper über einen „Ringtausch“ mit Großbritannien zukommen zu lassen.

Nach Informationen des ZDF war die ukrainische Armee in den letzten Monaten immer stärker in Bedrängnis geraten. Auch wegen der seit Monaten ins Stocken geratenen Hilfe aus den USA hätten sich Kiews Truppen im Februar aus der zerbombten Stadt Awdijiwka im östlichen Donezk-Gebiet zurückziehen müssen: Es mangele an Munitionsnachschub aus Amerika.

Derzeit keine französischen Bodentruppen nötig

Dem ursprünglichen Vorschlag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Bodentruppen an die Ukraine zu schicken, war Selenskyj im BFMTV-Interview grundsätzlich mit Verständnis begegnet: Man könne noch einmal darüber reden, wenn Macron die Ukraine besuche. Solange die Ukraine aber wie bisher standhalte, könne „die französische Armee auf französischem Territorium bleiben“. Falls NATO-Mitgliedsländer „Ausbilder“ und „technisches Personal“ entsenden wollten, seien diese dennoch „willkommen“.

Nach Angaben des ZDF bekam Macron für seinen Vorschlag aus Deutschland und aus anderen verbündeten Staaten viel Gegenwind. Daraufhin habe Macron präzisiert, dass er nicht an „Kampfeinheiten“, sondern an Kräfte für „Ausbildung“ und „Minenräumung“ gedacht habe. Nach Angaben des RND habe Macron nach einer Konferenz von proukrainischen Staats- und Regierungschefs in Paris jedoch betont, dass „in der Dynamik […] nichts ausgeschlossen werden“ dürfe. „Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann“, so Macron laut RND.

Kreml-Sprecher: „Eine sehr gefährliche Linie“

Kreml-Sprecher Peskow kritisierte den Vorschlag Frankreichs, eigene Bodentruppen in die Ukraine zu schicken. Diese Debatte heize nach Peskows Meinung die Spannungen weiter an. „Das ist eine gefährliche Linie, eine sehr gefährliche“, zitiert das RND den russischen Regierungssprecher. Moskau sei über seine „Dienste“ darüber informiert, dass sich auf ukrainischem Territorium bereits jetzt „Kräfte“ aufhielten, die sich zwar als „Berater“ bezeichnen würden, in Wahrheit aber „direkten Bezug zur NATO hätten“.

Viel Gegenwind bekam das Oberhaupt der katholischen Kirche zuletzt auch aus Deutschland: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), weitere Spitzenpolitiker wie Friedrich Merz (CDU), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) oder auch die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) äußeren ihr Unverständnis über die Worte des Papstes .



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