Ukraine in Schuldenfalle: Ohne Einigung mit privaten Gläubigern droht Zahlungsunfähigkeit

Die Ukraine steht vor einer Schuldenkrise: Am 1. August läuft ein Moratorium für Zinszahlungen aus, und die Europäische Kommission drängt auf eine rasche Einigung mit den Gläubigern. Drohende Zahlungsunfähigkeit könnte die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Stabilität gefährden.
Ohne die Waffenlieferungen aus dem Westen hätte die Ukraine vermutlich schon längst aufgeben müssen. (Archivbild)
Gelingt es der Ukraine nicht, bis August eine Einigung mit seinen Gläubigern zu finden, droht eine finanzielle Notlage.Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa
Von 14. Juli 2024

Die Ukraine steckt in der Schuldenfalle. Die Gläubiger sitzen dem Land im Nacken: Am 1. August läuft ein zweijähriges Moratorium für ukrainische Zinszahlungen auf Darlehen privater Gläubiger aus. Wie die Onlineplattform „Euraktiv“ berichtet, hat die Europäische Kommission die Gläubiger nun aufgefordert, „rasch“ eine Einigung mit der ukrainischen Regierung herbeizuführen. 

Das Stillhalteabkommen der Gläubiger wurde im Februar 2022, kurz nach der russischen Invasion, vereinbart. Bei der Vereinbarung geht es nach Angaben von „Euraktiv“ um etwa 15 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts der Ukraine, was gut 20 Milliarden Euro sind. 

„Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Ukraine und die internationalen Anleihegläubiger schnell eine faire Einigung über die Parameter der Umstrukturierung finden, die für das Ziel der Wiederherstellung der Tragfähigkeit der ukrainischen Schulden wesentlich ist“, erklärte ein Sprecher der Kommission am Donnerstag, 11. Juli, auf Anfrage von „Euractiv“.

„Wir sind zuversichtlich, dass die beteiligten Parteien eine zufriedenstellende und ordnungsgemäße Umstrukturierungsvereinbarung finden werden, bevor die Aussetzung des Schuldendienstes mit den internationalen Anleihegläubigern ausläuft“, fügte der Sprecher hinzu.

Schuldenschnitt von 60 Prozent abgelehnt

Im vergangenen Monat scheiterten die Verhandlungen zwischen den Gläubigern und der Ukraine. Internationale Investoren hatten immer wieder darauf gedrungen, dass das Land ab dem kommenden Jahr wieder die Zinszahlungen auf gewährte Kredite aufnimmt. Unter den Anleihegläubigern befinden sich unter anderem Investmentgiganten wie BlackRock, Fidelity, Amundi und Pimco. Zuerst hatte im Mai das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf mit der Angelegenheit betrauten Quellen berichtet. Im Gegenzug, dass die Ukraine wieder ihre Rückzahlungen der Kredite aufnimmt, haben die Gläubiger einen Schuldenerlass von 22 Prozent angeboten. Die ukrainische Seite hatte aber einen Schuldenschnitt von 60 Prozent verlangt. 

Sollte es zum 1. August keine Einigung mit den privaten Gläubigern geben, dann kann das die Ukraine noch weiter in eine Notlage bringen. Die Auszahlung eines im März 2023 mit dem „Internationalen Währungsfonds“ (IWF) vereinbarter Kredit über 15,6 Milliarden US-Dollar hängt zu einem großen Teil davon ab, ob es der Ukraine gelingt, eine Einigung über die Auslandsschulden zu erzielen. Das Land steht also im Moment sehr unter Druck. Die von Europa und den USA angekündigten Finanzhilfen werden die dann drohende Haushaltskrise nicht abfedern können.

Ein vom US-Repräsentantenhaus nach langem Hin und Her bewilligtes Hilfspaket über 60,8 Milliarden US-Dollar wird von den USA ausschließlich für militärische Ausgaben zur Verfügung gestellt. Die Auszahlung eines im Juni von den G-7-Staaten bewilligten Kredites von 50 Milliarden US-Dollar dürfte sich noch einige Monate hinziehen. Es ist nicht zu erwarten, dass er im August da ist. 

Ukraine droht Zahlungsunfähigkeit

Im März 2027 läuft ein weiteres Moratorium der Ukraine aus. Vorher könnten die Länder Kanada, Frankreich, Deutschland, Japan, Großbritannien und die USA auf der Matte stehen, die ab März 2027 vermutlich auch Rückzahlungen ihrer Kredite erwarten. 

„Wenn die Aussetzung des Schuldendienstes ausläuft und es keine Einigung über eine neue Aussetzung oder eine vollständige Umstrukturierung der Schulden gibt, wird die Ukraine wahrscheinlich zahlungsunfähig“, sagte Tim Jones, Leiter der Abteilung Politik bei Debt Justice, einer in Großbritannien ansässigen gemeinnützigen Organisation, gegenüber „Euractiv“. Jones kritisiert, dass die privaten Gläubiger den von der Ukraine angebotenen Schuldenschnitt von 60 Prozent nicht akzeptieren. 

„Die Ukraine kann und sollte private Gläubiger nicht vollständig bezahlen, während sie mit einer Invasion Russlands konfrontiert ist“, so Jones. Er fügte hinzu, dass „der einzige Grund, warum private Gläubiger nicht bereit sind, einen größeren Schuldenerlass zu akzeptieren, darin besteht, dass sie auf einen größeren Profit für sich selbst drängen“.

486 Milliarden Dollar für Aufbau

In einem gemeinsamen Bericht, der im Februar von den Vereinten Nationen, der Weltbank, der ukrainischen Regierung und der Europäischen Kommission veröffentlicht wurde, werden die Gesamtkosten für den Wiederaufbau der Ukraine auf 486 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Diese Schätzung dürfte am Ende noch deutlich höher ausfallen, da Russland seit der Veröffentlichung des Berichts seine Angriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine verschärft hat.

Die finanzielle Lage der Ukraine verschlechtert sich zunehmend, da die Regierung immer öfter gezwungen ist, Staatsvermögen zu verkaufen, um die Kriegsanstrengungen zu finanzieren.

Die Militärausgaben der Ukraine stiegen von 3,2 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2021 auf 37 Prozent im vergangenen Jahr 2023, während das Gesamtdefizit im gleichen Zeitraum von vier auf 19,7 Prozent anstieg.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert, dass der Schuldenstand der Ukraine in diesem Jahr 94 Prozent des jährlichen BIP erreichen wird – fast doppelt so viel wie vor dem russischen Einmarsch.

„Der Haushalt ist in den roten Zahlen„, sagte Oleksiy Sobolev, stellvertretender Wirtschaftsminister der Ukraine, im Juni gegenüber der „New York Times“ und warnte, dass das Land „andere Wege finden muss, um an Geld zu kommen, um die makroökonomische Stabilität zu gewährleisten“ und gleichzeitig seine militärischen Anstrengungen zu unterstützen.



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