Ukraine: Gescheiterter Friedensvertrag hätte Russland weitgehende Kontrolle garantiert
Im März und April 2022, wenige Wochen nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine, hatten sich Unterhändler beider Länder in Istanbul zu Verhandlungen getroffen. Ziel war es, den Krieg durch eine dauerhafte Friedensvereinbarung zu beenden. Die Versuche scheiterten. Bis heute wird über die Gründe dafür spekuliert. Das „Wall Street Journal“ (WSJ) will nun Licht ins Dunkel bringen und hat den Entwurf für den Friedensvertrag veröffentlicht, über den damals gesprochen worden sei.
Anlauf zum Friedensvertrag im Juni 2022 endgültig gescheitert
Das Blatt gibt an, der Vertrag sei ihm zugespielt worden; Recherchen hätten die Authentizität des Papiers bestätigt. Nicht zu allen Punkten habe es eine Klärung gegeben. Offene Fragen hätten die Präsidenten Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj in persönlichen Verhandlungen klären sollen.
Die Narrative zu den Gründen des Scheiterns der Gespräche sind vielfältig. Von russischer Seite heißt es, Selenskyj wäre zum Friedensschluss bereit gewesen. Der Westen – insbesondere der damalige britische Premier Boris Johnson – habe die Ukraine jedoch dazu gedrängt, weiterzukämpfen.
Der damalige Selenskyj-Berater und heutige Rivale Oleksij Arestovych hat hingegen die Nachricht vom Massaker in Butscha als Wendepunkt bezeichnet. Selenskyj sei davon so schockiert gewesen, dass er umgehend von weiteren Verhandlungen Abstand genommen habe. Vor allem in westlichen Medien war auch die Rede von unannehmbaren Bedingungen, die Russland gestellt habe.
Verhandelt wurde noch sporadisch bis Juni 2022, anschließend habe die Ukraine die Gespräche auf Drängen Johnsons abgebrochen.
Russland forderte von der Ukraine strikte Neutralität und weitreichende Demilitarisierung
Der Entwurf, den das „Wall Street Journal“ veröffentlicht hat, lässt eine Bereitschaft zu Zugeständnissen auf beiden Seiten erkennen. Auch Russland war offenbar bereit, auf einige Maximalforderungen zu verzichten – nachdem der Versuch, die Regierung in Kiew durch das militärische Vorgehen zu stürzen, gescheitert war.
Das Dokument, das mit dem 15. April 2022 datiert war, sah vor allem eine dauerhaft neutrale, militärisch vom Westen getrennte und weitgehend demilitarisierte Ukraine vor. Kiew hätte einwilligen müssen, zu keinem Zeitpunkt einem Militärbündnis wie der NATO beizutreten. Auch für die Zahl der Soldaten, des Kriegsgeräts und der Reichweite von Kriegswaffen hätte Russland strenge Vorgaben gefordert.
Es wären keine ausländischen Waffen auf ukrainischem Territorium gestattet gewesen. Dies hätte Armeeangehörige, militärische Formationen und Raketenwaffen umfasst. Ein Wiederaufbau der ukrainischen Armee hätte nicht mit westlicher Hilfe stattfinden dürfen.
Die Ukraine hätte nach russischen Vorstellungen ihre Armee auf 85.000 Soldaten, 342 Panzer und 519 Artilleriegeschütze begrenzen müssen. Die Ukraine forderte 250.000 Soldaten – und damit die Stärke von vor dem Krieg – sowie 800 Panzer und 1.900 Artilleriegeschütze.
Friedensvertrag nach Vorbild von Versailles?
Russland machte dagegen geltend, dass vor Beginn der Militäroperation die ukrainische Armee in einer Stärke 100.000 Soldaten an der Frontlinie zum Donbass positioniert gewesen sei. In Moskau hatte man der Führung in Kiew vorgeworfen, durch einen massiven Angriff auf die von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiete vollendete Tatsachen schaffen zu wollen.
Die Ukraine hätte zudem alle internationalen Vereinbarungen einschließlich bilaterale über Militärhilfe aufkündigen müssen, die einem neutralen Status widersprochen hätten. Die Krim wäre unter russischer Kontrolle verblieben. Was die territoriale Zugehörigkeit der umkämpften Gebiete in der Ostukraine betraf, sollten die Präsidenten persönlich eine Regelung treffen.
Vieles an dem Friedensvertrag hätte Reminiszenzen an historische Vorbilder wie den Vertrag von Versailles geweckt. Allerdings war es ein weitreichendes Zugeständnis aus russischer Sicht, der Ukraine grünes Licht für einen EU-Beitritt zu geben. Das Scheitern des Assoziierungsabkommens im Jahr 2013 war der Auslöser für den vom Westen unterstützten Staatsstreich im Februar 2014 – und in weiterer Folge dem Bürgerkrieg im Osten des Landes.
Fragen wie Kriegsschuld oder Reparationen waren kein Thema in den Verhandlungen.
Kiew verwahrte sich gegen mehrere Forderungen des Kremls
Dies würde auch erklären, warum Russland bezüglich der Einhaltung des Friedensvertrages eine Fünf-Mächte-Garantie für die Sicherheit der Ukraine vorsah. Als Garantiemächte sollten demnach die fünf ständigen Mitglieder des UN-Weltsicherheitsrats fungieren – und damit auch Russland selbst. Diese sollten auch die Neutralität der Ukraine verteidigen. Die Ukraine wollte die Türkei, Russland Belarus als zusätzliche Garantiemacht.
Offen blieb, was im Fall eines Angriffs auf die Ukraine geschehen solle. Kiew forderte für diesen Fall eine Flugverbotszone und die Bereitstellung von Waffen durch die Garantiemächte. Russland lehnte dies ab und wollte stattdessen ein einvernehmliches Vorgehen aller Beteiligten durchsetzen. Aus westlicher und ukrainischer Sicht hätte dies dem Kreml eine jederzeitige Option auf eine neuerliche Militäroperation gegeben.
Russland drängte auch darauf, die russische Sprache vor Behörden und Gerichten mit der ukrainischen gleichzustellen – wogegen sich Kiew ebenfalls verwahrte. Die Ukraine war auch nicht bereit, einer wechselseitigen Sanktionsaufhebung und einem Verzicht auf geltend gemachte Ansprüche vor dem Internationalen Strafgerichtshof zuzustimmen.
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