Ukraine: Botschafter fordert Waffenlieferungen von Baerbock
Kurz vor dem Antrittsbesuchen von Außenministerin Annalena Baerbock in Kiew hat der ukrainische Botschafter in Berlin die Grünen-Politikerin eindringlich aufgefordert, der Ukraine die Lieferung von Waffen zur Landesverteidigung zuzusagen.
Die Zurückhaltung oder sogar Ablehnung von Rüstungshilfe durch Baerbock und die gesamte neue Bundesregierung sei „sehr frustrierend und bitter“, sagte Botschafter Andrij Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. „Die Menschen in der Ukraine sind äußerst enttäuscht. Nun ist der Moment der Wahrheit gekommen, wer der echte Freund ist.“
„Gefahr eines Krieges mitten in Europa“
Den Ukrainern sei zwar bewusst, dass im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP eine restriktive Rüstungsexportpolitik festgeschrieben sei, die keine Waffenlieferungen in Krisengebiete zulasse, sagte Melnyk.
„Aber dieses politische Dokument ist ja keine Bibel. Und die Welt steht derzeit vor der größten Gefahr eines riesigen Krieges mitten in Europa, des schlimmsten seit 1945.“ Die Staatlichkeit der Ukraine werde vom russischen Präsidenten Wladimir Putin bedroht. Die Ukrainer hätten das „heilige Recht auf Selbstverteidigung“.
Die Ukraine fordert seit Jahren Waffenlieferungen von Deutschland, um sich gegen einen möglichen russischen Angriff verteidigen zu können – bisher ohne Erfolg. Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hatte allerdings im vergangenen Mai im Wahlkampf bei einem Besuch in der Ukraine gesagt, man könne dem Land „Defensivwaffen“ kaum verwehren.
Auch der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz plädiert angesichts des russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine dafür, Waffenlieferungen in Erwägung zu ziehen. Baerbock sagte der dpa kurz vor Weihnachten zu der Frage: „Eine weitere militärische Eskalation würde der Ukraine keine weitere Sicherheit bringen.“
Melnyk verwies darauf, dass es im deutschen Strafrecht den Tatbestand der „unterlassenen Hilfeleistung“ gebe. „Dasselbe Grundprinzip gilt auch in zwischenstaatlichen Beziehungen“, sagte er. „Daher appellieren wir an die deutsche Regierung, persönlich an die Außenministerin Baerbock, der Ukraine mit notwendigen Defensivwaffen dringend unter die Arme zu greifen. Das ist moralisch und menschlich geboten.“
Militärische Schutzausrüstung nicht ausreichend
Melnyk machte auch deutlich, dass er die Lieferung von militärischer Schutzausrüstung nicht für ausreichend hält. „Wir hören nun aus Berlin, eine Diskussion über Helme oder Schutzwesten wäre denkbar. Schön. Hauptsache, dass keiner auf die Idee kommt, uns Särge zu schicken. Das wäre ja gewisser Weise auch eine Hilfeleistung“, sagte er.
Er reagierte damit auf eine Äußerung des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), der dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gesagt hatte: „Über Schutzgeräte wie Helme und Schutzwesten ist eine Diskussion denkbar.“
Baerbock reist am Montag zunächst zu ihrem Antrittsbesuch in die Ukraine, wo sie Präsident Wolodymyr Selenskyj und Außenminister Dmytro Kuleba trifft. Noch am Abend reist sie nach Moskau weiter. Dort stehen am Dienstag unter anderem Gespräche mit Außenminister Sergej Lawrow an.
Kuleba machte seine Erwartungen an Deutschland in der „Bild am Sonntag“ zurückhaltender als Melnyk deutlich. „Wir erwarten von der neuen Bundesregierung einen festen und deutlichen Kurs gegenüber den russischen Drohungen und Einschüchterungsversuchen – zusammen mit der Ukraine und unseren Partnern und Alliierten“, sagte der Außenminister.
Streitpunkt Nord Stream 2
Die Ukraine fordert von Deutschland angesichts des russischen Verhaltens im Ukraine-Konflikt einen Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland. Melnyk kritisierte die widersprüchlichen Äußerungen aus der Ampel-Koalition zu dem Thema.
Er rief die Bundesregierung angesichts der Bedrohung durch Russland auf, „klipp und klar eine gemeinsame Position zu beziehen, dass unter diesen verheerenden neuen Umständen Nord Stream 2 politisch nicht mehr tragbar ist und daher nie Betrieb gehen darf“.
Die Grünen stehen der Pipeline skeptisch gegenüber. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht sie dagegen als privatwirtschaftliches Projekt und hat den Genehmigungsprozess als rein unpolitisch bezeichnet.
Unterdessen hat der Kreml den USA angesichts der Spannungen um die Ukraine „falsche Anschuldigungen“ gegen Russland und die Verbreitung von Lügen vorgeworfen. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte im Interview mit dem US-Fernsehsender CNN, dass Washington die angekündigten Belege für eine militärische Eskalation von russischer Seite an der Grenze zur Ukraine bisher nicht vorgelegt habe.
„Wir warten noch immer auf Beweise“, sagte Peskow. Auf die Frage, ob Russland einen Überfall auf die Ukraine ausschließen könne, sagte er, dass es diesen augenscheinlich nicht gebe. (dpa/dl)
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