Türkei nimmt Kulturschaffende, Wissenschaftler und Menschenrechtler fest
Mehr als fünf Jahre nach den Gezi-Protesten in Istanbul hat die türkische Polizei zahlreiche Kulturschaffende, Wissenschaftler und Menschenrechtler unter dem Vorwurf festgenommen, die regierungskritischen Proteste im Sommer 2013 unterstützt zu haben.
Bei einer Razzia in Istanbul wurden am Freitagmorgen Medienberichten zufolge zwölf Menschen aus dem Umfeld der Organisation Anadolu Kültür des renommierten Kulturmäzens Osman Kavala festgenommen. International stießen die Festnahmen auf scharfe Kritik.
Insgesamt wurden 20 Haftbefehle ausgestellt, von denen bisher zwölf vollstreckt wurden, wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Zu den Festgenommenen zählten fünf führende Mitarbeiter von Anadolu Kültur, unter ihnen der Vize-Vorsitzende Yigit Ekmekci und die Direktorin Asena Günal. Zudem wurden mehrere Wissenschaftler verhaftet, die sich kritisch zur Lage des Justizsystems und der Bürgerrechte in der Türkei geäußert haben.
Die regierungskritische Zeitung „Cumhuriyet“ berichtete unter Berufung auf eine Polizeimitteilung, Kavala und seinen Mitarbeitern werde vorgeworfen, durch die finanzielle und organisatorische Unterstützung der Gezi-Proteste im Sommer 2013 versucht zu haben, Anarchie und Chaos zu verbreiten, um dem gewaltsamen Sturz der Regierung den Boden zu bereiten. Seitdem würden sie versuchen, ähnliche Proteste zu organisieren.
Die Gezi-Proteste hatten sich im Mai 2013 an Plänen zur Bebauung des kleinen Gezi-Parks im Zentrum von Istanbul entzündet. Nach einem gewaltsamen Einsatz der Polizei gegen Umweltschützer, welche die Grünanlage am symbolträchtigen Taksim-Platz besetzt hatten, weiteten sich die Proteste rasch aus. Der damalige Regierungschef und heutige Präsident Recep Tayyip Erdogan wertete die Proteste als Umsturzversuch und ließ sie brutal niederschlagen.
„Jene, die von diesem Regime eine Normalisierung erwarten, sollten weiter träumen“, schrieb der Oppositionsabgeordnete Sezgin Tanrikulu nach den Festnahmen im Kurzmitteilungsdienst Twitter. Der Vertreter von Reporter ohne Grenzen in der Türkei (RSF), Erol Önderoglu, schrieb, die Mitteilung der Polizei enthalte keinen Hinweis auf „bewaffnete Rebellion“ oder „Förderung des Terrorismus“, sondern nur Beispiele für „demokratische Aktivitäten“.
Der Generalsekretär des Europarats, Thorbjörn Jagland, zeigte sich „sehr besorgt über die Festnahmen“ und kündigte an, „diese alarmierende Entwicklung umgehend bei der türkischen Regierung zur Sprache zu bringen“. Die Berichterstatterin des Europaparlaments für die Türkei, Kati Piri, sprach von einem „brutalen Angriff auf die türkische Zivilgesellschaft“. „Die EU muss dies scharf verurteilen“, forderte sie.
Die Razzia erfolgte mehr als ein Jahr nach der Festnahme von Kavala, der bis heute ohne Anklage in U-Haft sitzt. Nach Angaben seiner Anwälte wird er verdächtigt, die Gezi-Proteste finanziert sowie den gescheiterten Militärputsch von Juli 2016 unterstützt zu haben. Seine Organisation will durch Kulturprojekte zur Verständigung zwischen den Volksgruppen in der Türkei beitragen. Sie kooperiert mit vielen internationalen Organisationen, darunter dem Goethe-Institut.
Seit dem Putschversuch wurden in der Türkei mehr als 110.000 Menschen entlassen, mehr als 50.000 sitzen in Haft. Auch mehr als zwei Jahre nach dem Umsturzversuch, für den Ankara den islamischen Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht, gibt es laufend weitere Festnahmen. So stellte die Justiz am Freitag Haftbefehle gegen 188 Verdächtige aus, darunter hundert Militärangehörige, die der Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung verdächtigt werden. (afp)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion