Türkei: Massenproteste fordern Rücktritt von Erdoğan und Freilassung von İmamoğlu

Erneut gingen in Istanbul und anderen türkischen Städten Zehntausende Menschen auf die Straße. Die Regierung will eine Nachrichtensperre durchsetzen – und versuchte, den Zugang zu Konten auf der Plattform X zu sperren. Der Europarat verurteilt „unverhältnismäßige Gewalt der Polizei“.
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Studenten demonstrieren am 24. März 2025 im Istanbuler Stadtteil Besiktas zur Unterstützung des Bürgermeisters der Stadt. Diese fand vor der Großkundgebung am Abend statt.Foto: Kemal Aslan/AFP via Getty Images
Epoch Times25. März 2025

In der Türkei protestierten gestern Abend erneut in mehreren Städten Zehntausende Menschen gegen die Inhaftierung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu. Sie fordern die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan zum Rücktritt auf. Die Regierung will neben einem Demonstrationsverbot auch eine Nachrichtensperre durchsetzen.

Großkundgebung in Istanbul

In Istanbul zogen wieder Menschenmassen mit einem Protestzug zum zentralen Kundgebungsort vor dem Sitz der Stadtverwaltung. Auf Fernsehbildern waren Bereitschaftspolizisten und Wasserwerfer zu sehen, über Zusammenstöße wurde nichts berichtet.

Mit einer riesigen Kundgebung wollten die Istanbul ihren Bürgermeister, Ekrem Imamoglu, unterstützen:

CHP-Chef Özgür Özel würdigte den Einsatz der Demonstranten in einer Rede als „Akt des Trotzes gegen den Faschismus“.

Er kündigte an, İmamoğlu heute im Gefängnis von Silivri zu besuchen. Die CHP werde sich dafür einsetzen, dass İmamoğlu bis zur Verhandlung freigelassen und sein Prozess live im staatlichen Fernsehsender TRT übertragen wird.

Özel reagierte auch scharf auf die Sanktionen der obersten türkischen Rundfunk- und Fernsehbehörde RTÜK gegen oppositionelle Fernsehsender. Er kritisierte den Versuch der Behörde, den Zugang zu Hunderten Konten auf X zu sperren.

Der Parteichef wandte sich an Präsident Recep Tayyip Erdoğan und sagte: „Sie können die Stimme der Nation nicht unterdrücken.“

Slogans und Plakate zur Unterstützung des inhaftierten Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu am 24. März 2025 in Istanbul, Türkei. Foto: Burak Kara/Getty Images

İmamoğlu gilt als Erdoğans aussichtsreichster politischer Herausforderer bei der für 2028 angesetzten Wahl und wurde von der größten Oppositionspartei als Kandidat aufgestellt.

Er wurde unter Korruptions- und Terrorvorwürfen festgenommen und am Sonntag als Bürgermeister von Istanbul abgesetzt. İmamoğlu bestreitet die Vorwürfe und wirft der Regierung vor, ihn mit den Ermittlungen politisch kaltstellen zu wollen.

Erdoğan spricht von „Gewaltbewegung“

Der türkische Regierungschef Erdoğan erhob seinerseits schwere Vorwürfe gegen die Demonstranten. Offenbar störe es die CHP nicht, dass „Straßenterroristen“ die Polizei mit Steinen, Stöcken und Äxten angriffen. Die Justiz werde sie dafür zur Rechenschaft ziehen.

Seit Beginn der Proteste wurden laut türkischem Innenministerium mehr als 1.100 Menschen festgenommen, darunter mindestens zehn Journalisten und Fotografen. Mehr als 120 Polizisten seien verletzt worden.

Offizielle Zahlen zu verletzten Protestteilnehmern gibt es nicht. Erdoğan bezeichnete die mehrheitlich friedlichen Demonstrationen als „Gewaltbewegung“.

Streit um Beschädigungen an Moschee

CHP-Sprecher Deniz Yücel wies Behauptungen zurück, dass die Şehzadebaşı-Moschee während der Proteste beschädigt worden sei. Derjenige, der deswegen verhaftet wurde, habe die Moschee repariert.

„Moscheen sind unsere heiligen Stätten. Die Instandhaltung und Reparatur der angeblich beschädigten Moschee wird seit Jahren von der Stadtverwaltung von Istanbul durchgeführt.“

Die Sicherheitskräfte hätten die Jugendlichen und Bürger, die sich in Saraçhane versammelt hatten, mit Pfefferspray und Wasserwerfern in die Moschee gedrängt.

„Niemand hat der Şehzadebaşı-Moschee oder einer anderen Moschee Schaden zugefügt. Hören Sie auf, sich von der Lüge ‚Die CHP greift Moscheen an‘ Hilfe zu erhoffen.

Die Wut über das, was in der Gesellschaft passiere, wachse. Das entspräche nicht dem „Kalkül im Palast“. „Niemand sollte behaupten, wir würden Chaos schüren. Wir wollen Recht und Demokratie. Wir wollen die Umsetzung der verfassungsmäßigen Garantien. Niemand sollte uns zur Mäßigung auffordern. Wenn Mäßigung gefordert werden soll, dann sollte sie sich an diejenigen richten, die diese ungesetzlichen Taten begehen, an diejenigen, die unser Land dieses Übel erleben lassen.“

Die seit Mittwoch anhaltenden Proteste sind die größten Demonstrationen in der Türkei seit den Gezi-Protesten gegen Erdoğan im Jahr 2013 [1].

Europarat verurteilt „unverhältnismäßige Gewalt der Polizei“

Der Menschenrechtskommissar des Europarats hat den „unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt durch die Polizei“ bei Protesten angeprangert. „Die Gewalttaten, die von manchen Demonstranten begangen wurden, rechtfertigen nicht den übermäßigen Einsatz von Gewalt durch die Polizei“, betonte Michael O’Flaherty am Dienstag in Straßburg.

Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müsse der Einsatz von Gewalt das letzte Mittel sein und strengen Notwendigkeits- und Verhältnismäßigkeitskriterien entsprechen, sagte er. O’Flaherty zeigte sich zudem besorgt über Angriffe auf Journalisten und Festnahmen von Medienvertretern.

Er forderte die türkischen Behörden auf, die Menschenrechte zu respektieren, „insbesondere das Recht auf friedliche Versammlung, die Meinungsfreiheit und die Medienfreiheit“.

Toprak: „Das ist Erdoğans letztes Gefecht“

Angesichts der Massenproteste fordert der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde, Ali Ertan Toprak, ein Ende der „Appeasement-Politik“ gegenüber dem türkischen Präsidenten. „Das ist Erdoğans letztes Gefecht“, sagte Toprak dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. „Wenn er gewinnt, wird es in der Türkei zu einer Diktatur kommen.“

„Die

Die Demonstrationen der vergangenen Tage sind die größten in der Türkei seit den Gezi-Protesten von 2013. Foto: Khalil Hamra/AP/dpa

Aus Topraks Sicht sind die derzeitigen Massendemonstrationen in der Türkei „das letzte Aufbäumen der Demokraten“, warnte Toprak.

„Wir dürfen sie jetzt nicht allein lassen“, forderte er. „Mit der Appeasement-Politik gegenüber Erdogan muss endlich Schluss sein.“ Unter Appeasement-Politik wird eine Politik der Zugeständnisse und des Entgegenkommens gegenüber Aggressionen bezeichnet.

Zudem forderte Toprak die sofortige Einstellung jeglicher Unterstützung für Ankara. Wenn der beliebte Oppositionspolitiker İmamoğlu und der ebenfalls inhaftierte Co-Vorsitzende der pro-kurdischen Partei DEM, Selahattin Demirtas, nicht freigelassen würden, dürfe es „keine weitere finanzielle und politische Unterstützung der Türkei mehr geben“.

[1] Die Gezi-Proteste gegen Erdoğan fanden zwischen dem 28. Mai bis 30. August 2013 landesweit statt, dabei ging es zunächst um ein Bauprojekt auf dem Gelände des Gezi-Parks, der an den Taksim-Platz grenzt. Nach offiziellen Angaben nahmen über 3,5 Millionen Menschen an rund 5.000 Protesten teil, vier Zivilisten und ein Polizist kamen ums Leben. Es gab rund 8.100 Verletzte, mehr als 5.000 Menschen wurden verhaftet.

(afp/dpa/red)



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