Türkei-Krise: Migranten stürmen Grenze zu Griechenland – EU wirft Ankara „Erpressung“ vor
Kurz vor einem Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Brüssel hat die EU Bedingungen für Hilfen in der Flüchtlingskrise gestellt. Weitere Finanzhilfen könne es nur geben, wenn „die erpresserische Politik Ankaras durch die Entsendung von Flüchtlingen in Richtung EU eingestellt wird“, sagte EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn der „Welt“ vom Samstag. Erdogan wies die Küstenwache an, Migranten an Überfahrten per Boot nach Griechenland zu hindern – dies sollte aber kein Kurswechsel im Flüchtlingsstreit sein.
Die EU sei prinzipiell zu „weiteren Finanzhilfen zur Unterstützung der Flüchtlinge in der Türkei“ bereit, sagte Hahn. Diese würden jedoch „deutlich geringer“ ausfallen als im bisherigen EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei.
Erdogan reist laut „Welt“ am Montag zu Gesprächen nach Brüssel. Zentrales Thema sei die aktuelle Krise an der griechisch-türkischen Grenze. Die türkische Präsidentschaft bestätigte eine bevorstehende Reise Erdogans nach Belgien, nannte aber keine Details.
Erdogan öffnet die Grenzen
Erdogan hatte vergangene Woche nach der Eskalation der Lage in der nordsyrischen Provinz Idlib die Grenzen zur EU für geöffnet erklärt. Dies sorgte für einen starken Flüchtlingsandrang an der türkisch-griechischen Grenze und führte zu neuen Spannungen zwischen Ankara und Brüssel.
Die EU wirft der Türkei vor, die Migranten gegenüber Brüssel als Druckmittel zu missbrauchen. Die Türkei wiederum beschuldigt die EU, ihre Zusagen aus dem im März 2016 geschlossenen Flüchtlingsabkommen nicht einzuhalten.
Unabhängig von dem Streit wies Erdogan die türkische Küstenwache nun an, keine Überfahrten von Migranten durch die Ägäis mehr zuzulassen. Grund seien die „Gefahren“ solcher Bootsfahrten. Die türkische Küstenwache wirft Griechenland vor, solche Boote absichtlich in Gefahr zu bringen. Die griechischen Behörden weisen dies zurück.
Die türkische Küstenwache stellte zugleich klar, dass die neue „Anordnung des Präsidenten“ für die Ägäis keinen Kurswechsel in der Flüchtlingskrise darstelle. Die Türkei hindere weiterhin keine Migranten daran, das Land auf eigenen Wunsch zu verlassen.
Flüchtlingsabkommen für „tot“ erklärt
An der Landgrenze zwischen Griechenland und der Türkei blieb die Lage angespannt. Die griechische Polizei setzte auch am Samstag Tränengas und Wasserwerfer gegen Migranten ein, die versuchten in der Grenzprovinz Edirne Zäune zu durchbrechen, wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP berichteten. Die Migranten warfen Steine. Auch türkische Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein.
Der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis bezeichnete den EU-Türkei-Flüchtlingspakt im US-Sender CNN am Freitag als „tot“. Schuld sei Ankara, das entschieden habe, „komplett gegen die Vereinbarung zu verstoßen“. Die Türkei habe Flüchtlinge zu Lande und zu Wasser „aktiv“ bei ihren Bemühungen unterstützt, nach Griechenland zu gelangen.
Auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock erklärte das Flüchtlingsabkommen von 2016 für „gescheitert“. Sie forderte in der „Rheinischen Post“ vom Samstag ein „neues, rechtsstaatlich garantiertes Abkommen“. Der stellvertretende FDP-Fraktionschef Alexander Graf Lambsdorff sagte der „Rhein-Neckar-Zeitung“, die Europäer dürften sich von der Türkei „nicht erpressen lassen“.
Die EU und die Türkei hatten im März 2016 ein Flüchtlingsabkommen geschlossen, nachdem 2015 hunderttausende Flüchtlinge über die Balkan-Route nach Mitteleuropa gekommen waren. Ankara verpflichtete sich, alle auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen. Die EU versprach der Türkei im Gegenzug Milliardenhilfen, eine beschleunigte Visa-Erleichterung und die Modernisierung der Zollunion. (afp/so)
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