Türkei: Mit Baseballschläger und Schusswaffen gegen das freie Wort – Immer mehr Angriffe auf Journalisten
Der türkische Journalist Hakan Denizli wurde in seiner Laufbahn bereits 28 Mal angegriffen – geschlagen, getreten und mit einem Baseballschläger attackiert.
Das 29. Mal kamen die Angreifer jedoch mit einer Schusswaffe, als er gerade sein vierjähriges Enkelkind zur Kita bringen wollte.
„Ich stieg ins Auto. Das Fenster war offen. Sie kamen, schossen mir ins Bein und liefen davon“, erzählt der Chefredakteur der Zeitung „Egemen“ in der südtürkischen Stadt Adana nüchtern.
Der Vorfall im Mai war nur einer von sechs Angriffen auf Journalisten in ebenso vielen Wochen in der Türkei. Viele Beobachter führen die Zunahme der Gewalt auf die wachsende Polarisierung in der Gesellschaft zurück.
Politische Rivalen werden in der Türkei allzu oft als Feinde betrachtet und als „Verräter“, „Terroristen“ und ausländische Agenten diffamiert. Immer wieder schlagen die verbalen Angriffe in körperliche Gewalt um.
„Wenn Sie nicht Ihren Platz kennen, wird das Volk Ihnen einen Schlag in den Nacken verpassen“, blaffte Präsident Recep Tayyip Erdogan im Dezember, als ein Moderator des Nachrichtensenders Fox ihn nach den steigenden Lebenshaltungskosten fragte.
Dutzende Medien geschlossen
Seit dem Putschversuch von Juli 2016 hat die Regierung dutzende Medien schließen lassen. Laut der Plattform für Pressefreiheit P24 sitzen derzeit 142 Medienschaffende im Gefängnis.
Einen Antrag der Opposition für einen Untersuchungsausschuss zu den Angriffen auf Journalisten lehnten die regierende AKP und ihr rechtsextremer Partner MHP kürzlich ab.
Deren Vorsitzender Devlet Bahceli hatte nach den Parlaments- und Präsidentenwahlen vor einem Jahr dutzenden Journalisten in einer ganzseitigen Zeitungsanzeige für ihre „Verleumdungen, Behauptungen und Klagen“ sarkastisch seinen „Dank“ ausgesprochen.
Der Journalist Yavuz Selim Demirag von der nationalistischen Zeitung „Yenicag“ macht Bahcelis Anzeige mitverantwortlich für die jüngsten Angriffe. Der 61-Jährige gehörte selbst zu den genannten Journalisten.
Journalisten leben in ständiger Gefahr
Anfang Mai wurde er vor seinem Haus mit Baseballschlägern attackiert und erlitt Verletzungen am Brustkorb. „Wenn ich niese, huste oder aufstehe, tut es weh“, sagt Demirag. Sechs Verdächtige wurden rasch wieder freigelassen.
Wenige Wochen nach dem Angriff wurde Demirag aufgrund einer Verurteilung wegen „Beleidigung des Präsidenten“ kurzzeitig inhaftiert. Wie viele kritische Journalisten lebt er mit der ständigen Gefahr einer Anklage.
Der „Egemen“-Journalist Denizli hat derzeit „24 oder 25 Prozesse“ gegen sich laufen. Doch sieht er die Verfahren und die Angriffe als „Ehrenauszeichnung“ und Beweis, dass er „auf dem richtigen Weg“ sei, wie er sagt.
Journalisten aller politischen Richtungen laufen Gefahr, attackiert zu werden. Die Reaktion der Behörden hängt aber stark davon ab, wer angegriffen wird. Zu der Attacke auf Demirag hat sich die Regierung bis heute nicht geäußert.
Als der islamistische Journalist Murat Alan Mitte Juni in Istanbul zusammengeschlagen wurde, verurteilte Erdogan dagegen umgehend den Angriff. Alan soll die Nationalisten verärgert haben, als er Generäle als „Esel“ bezeichnete.
Guter Bulle schlechter Bulle
Als der Journalist Idris Özyol aus der südtürkischen Stadt Antalya angegriffen wurde, drückte ihm Außenminister Mevlüt Cavusoglu in einem Telefonat rasch sein Mitgefühl aus.
Özyol war aber irritiert, dass Cavusoglu dabei den Koalitionspartner MHP für den Angriff verantwortlich machte. „Ein Arm der Regierung attackiert, der andere Arm schickt Beileidsbotschaften. Es ist wie ein Spiel von guter Bulle, schlechter Bulle“, sagt Özyol.
Erol Önderoglu von der Organisation Reporter ohne Grenzen nennt es „zutiefst heuchlerisch“, dass die Regierung die Ermordung des saudiarabischen Journalisten Jamal Khashoggi im Konsulats seines Landes in Istanbul scharf verurteilte, aber nicht konsequent gegen Angriffe auf eigene Reporter vorgeht.
„Wir brauchen einen prominenten Politiker, der gegen dieses feindliche Klima einschreitet“, sagt Önderoglu. Viel Hoffnung hat er aber nicht. (afp)
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