Theresa May strapaziert ihre EU-Kollegen
Die britische Premierministerin Theresa May hat die Geduld ihrer EU-Kollegen auf dem Brüsseler Gipfel aufs Äußerste strapaziert.
Immerhin, nach einem stundenlangen Beratungsmarathon, konnten die EU-Chefs in der Nacht zu Freitag ein Ergebnis verkünden: Der Brexit wird aufgeschoben, ein Austrittschaos am 29. März ist vorerst abgewendet. Doch hinter den Kulissen hinterließ May vor allem Ratlosigkeit, Verärgerung und schlicht Erschöpfung, wie Gipfelteilnehmer hinter vorgehaltener Hand berichteten.
Bei den Beratungen wollten die Staats- und Regierungschefs vor allem eines von May wissen: Wie will sie das Austrittsabkommen mit der EU nach zwei Niederlagen doch noch durchs Unterhaus bringen, und was passiert, wenn die Abgeordneten zum dritten Mal Nein sagen? „Sie hat keine Antworten gegeben“, berichtet ein EU-Vertreter. Ständig sei sie ausgewichen. „Sie hat Ping-Pong gespielt, es war enttäuschend.“
Auf die Vorhaltung, dass eine Zustimmung der Unterhauses mehr als fraglich sei, erwiderte May nach Angaben eines anderen EU-Diplomaten lediglich: „Ich habe keinen Plan B, ich halte mich an Plan A.“ Bei den anderen Staats- und Regierungschefs habe May damit „Ungewissheit und Entnervung“ ausgelöst.
Nach anderthalb Stunden war der mühsame Austausch mit der Britin vorbei, May verließ den Raum. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe seinem Frust mit einem Stoßseufzer Ausdruck gegeben. Vor Mays Auftritt habe er noch geglaubt, dass das Brexit-Abkommen eine zehnprozentige Chance auf Annahme im Unterhaus habe. „Nun sind es nur noch fünf Prozent“, zitierte ein EU-Diplomat den Staatschef. EU-Ratspräsident Donald Tusk habe sarkastisch erwidert: „Sie sind sehr optimistisch.“
Während die Premierministerin in einem nahegelegenen Raum mit ihren Mitarbeitern wartete, berieten die übrigen EU-Chefs bis tief in die Nacht über das weitere Vorgehen im Brexit-Drama. May hatte um einen Aufschub des Austrittsdatums um drei Monate bis Ende Juni gebeten. Auf dem Tisch lag zunächst die Idee, ihr einen Aufschub bis zum 22. Mai, dem Tag vor Beginn der Europawahl, zu gewähren.
Ein dermaßen pauschaler Aufschub war den Staats-und Regierungschefs der verbleibenden 27 EU-Staaten angesichts der britischen Unwägbarkeiten dann aber doch zu riskant. Sie beschlossen, den Briten zwei Optionen für eine Brexit-Verschiebung vorzulegen, die an strikte Bedingungen geknüpft sind. „Dieses Zwei-Optionen-Modell wurde entworfen, nachdem sie May angehört hatten“, sagte ein EU-Diplomat.
Sollte May in der kommenden Woche doch noch eine Mehrheit im Unterhaus für das Abkommen finden, wollen die übrigen 27 EU-Staaten den Briten einen Aufschub bis zum 22. Mai gewähren, um einen geordneten Austritt vorzubereiten.
Sollte das Unterhaus den Vertrag abermals ablehnen, kommt der 12. April als wahrscheinlicher neuer Brexit-Stichtag ins Spiel. Spätestens dann muss Großbritannien entscheiden, ob es ohne Abkommen austritt und somit einen harten Bruch mit der EU vollzieht – oder ob es noch einmal an der Europawahl Ende Mai teilnimmt und einen längeren Aufschub des Austrittsdatums beantragt.
An der Ausarbeitung dieses Plans war May selbst nicht direkt beteiligt, sie wurde laut Diplomaten aber regelmäßig von Tusk auf dem Laufenden gehalten. Ihr blieb zum Schluss nur noch, dem Vorschlag zuzustimmen. Wie sich der Brexit letztlich gestaltet, hängt nun von den weiteren Schritten von Parlament und Regierung in London ab. Gelöst ist das Brexit-Problem also noch nicht.
„Das hat lange gedauert, sehr lange“, bilanzierte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez nach den mehrstündigen Gipfelberatungen. „Die Wahrheit ist: Es war sehr intensiv.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach nüchtern von einer „der Ernsthaftigkeit auch angepassten Diskussion“. Ihr Fazit fiel aber positiv aus: Es sei „ein sehr intensiver, aber auch sehr erfolgreicher Abend“ gewesen. (afp)
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