Taliban verkünden Einnahme von Afghanistans zweitgrößter Stadt Kandahar
Die radikalislamischen Taliban haben bei ihrer Offensive in Afghanistan weitere strategisch wichtige Städte erobert. Am Freitag übernahmen sie nach eigenen Angaben die Kontrolle über die zweitgrößte afghanische Stadt Kandahar. Zuvor waren bereits die Provinzhauptstädte Herat und Ghasni in die Hände der Islamisten gefallen. Die USA kündigten angesichts des ungebremsten Vormarsches der Taliban an, 3000 Soldaten nach Kabul zu entsenden, um den Abzug von US-Diplomaten abzusichern.
„Kandahar ist vollkommen erobert“, erklärte ein Taliban-Sprecher am Freitag im Onlinedienst Twitter. „Die Mudschaheddin haben den Märtyrerplatz in der Stadt erreicht.“ Ein Anwohner sagte der Nachrichtenagentur AFP, die afghanische Armee habe offenbar den Rückzug angetreten. Zahlreiche Soldaten begaben sich demnach zu einer Militäreinrichtung außerhalb der Stadt.
Die Taliban haben seit dem Beginn des Abzugs der USA und der Nato-Verbündeten Anfang Mai zahlreiche Regionen und Städte Afghanistans unter ihre Kontrolle gebracht. Die afghanische Regierung kontrolliert neben Kabul lediglich noch eine Handvoll Gebiete und vielerorts belagerte Städte.
Am Donnerstag war die drittgrößte afghanische Stadt Herat in die Hände der Islamisten gefallen. Zudem rückten sie weiter auf die Hauptstadt vor und nahmen die 150 Kilometer südwestlich von Kabul gelegene Provinzhauptstadt Ghasni ein. Binnen einer Woche eroberten die Taliban damit mehr als ein Drittel der 34 Provinzhauptstädte in Afghanistan.
Entsendung von US-Soldaten angekündigt
Angesichts des Vormarschs der Taliban kündigte das US-Verteidigungsministerium am Donnerstag die sofortige Entsendung von rund 3000 Soldaten nach Kabul an. Sie sollen bei der Evakuierung von US-Botschaftsmitarbeitern helfen, wie Pentagon-Sprecher John Kirby in Washington sagte.
In einem ersten Schritt sollten innerhalb von 24 bis 48 Stunden drei Infanterie-Einheiten zum Internationalen Flughafen von Kabul verlegt werden, sagte der Pentagon-Sprecher. Zudem würden rund 3500 US-Soldaten nach Kuwait entsandt. Sie sollen Kirby zufolge als Reserve bereitstehen, falls sich die Situation in Kabul weiter verschlechtere. Derzeit sind zum Schutz der Botschaft noch rund 650 US-Soldaten in Afghanistan stationiert.
Der Pentagon-Sprecher versicherte zugleich, dass die USA den internationalen Flughafen nicht für Luftangriffe gegen die Taliban nutzen wollten. Die US-Botschaft soll nach Angaben des Außenministeriums in Washington geöffnet bleiben, es gehe nicht um eine vollständige Evakuierung.
Auch Großbritannien kündigte die Entsendung von Truppen nach Kabul an. Die rund 600 Soldaten sollten „die diplomatische Präsenz in Kabul unterstützen, britischen Staatsbürgern beim Verlassen des Landes helfen, und die Ausreise von früheren afghanischen Ortskräften unterstützen, die ihr Leben beim Einsatz an unserer Seite riskiert haben“, erklärte am Donnerstagabend Verteidigungsminister Ben Wallace.
Auswärtige Amt: Deutsche sollen Afghanistan verlassen
Das Auswärtige Amt forderte alle Deutschen „dringend“ auf, das Land zu verlassen. Ressortchef Heiko Maas (SPD) kündigte im ZDF an, im Falle einer Eroberung des Landes die deutschen Hilfszahlungen von 430 Millionen Euro pro Jahr einstellen zu wollen. „Wir werden keinen Cent mehr nach Afghanistan geben, wenn die Taliban komplett übernommen haben, die Scharia einführen und dieses Land ein Kalifat wird.“
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) schloss einen erneuten internationalen Truppeneinsatz aus. Die Bundesverteidigungsministerin nannte die Geländegewinne der Taliban im Deutschlandfunk „sehr, sehr bitter“ – „gerade mit Blick auch auf unseren Einsatz in den vergangenen 20 Jahren“.
Die Europäische Union (EU) drohte den radikalislamischen Kämpfern für den Fall einer gewaltsamen Machtergreifung mit einer internationalen „Isolation“. Die Taliban sollten die grundlegenden Diskussionen mit der afghanischen Regierung über die Zukunft des Landes wieder aufnehmen und sofort mit ihren Angriffen aufhören, forderte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.
Angesichts der Lage wollen die USA auch ihre früheren Ortskräfte schneller als bisher aus Afghanistan herausholen. Für Dolmetscher und andere afghanische Mitarbeiter, die bei einer Machtübernahme durch die Taliban Repressalien zu befürchten hätten, solle es künftig täglich Flüge geben, die sie außer Landes bringen, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, in Washington. (afp)
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