Taliban erobern früheren Bundeswehrstandort Faisabad
Die radikalislamischen Taliban haben die Provinzhauptstadt Faisabad im Norden Afghanistans und damit einen weiteren früheren Bundeswehr-Standort erobert. Die Islamisten rückten am Dienstagabend in die Stadt ein, wie ein lokaler Abgeordneter am Mittwoch berichtete.
Ein Besuch von Präsident Aschraf Ghani in der belagerten Stadt Masar-i-Scharif im Norden des Landes wurde am Mittwoch überschattet von der Kapitulation hunderter afghanischer Sicherheitskräfte nahe Kundus, das wenige Tage zuvor von den Taliban erobert worden war.
Seit dem Beginn des Abzugs der internationalen Truppen im Mai haben die Taliban weite Teile des Landes eingenommen. Faisabad ist bereits die neunte eroberte Provinzhauptstadt innerhalb einer Woche. Damit kontrolliert die Miliz mehr als ein Viertel der Provinzhauptstädte des Landes.
Bundeswehr war bis 2012 in Faisabad
In Faisabad war bis 2012 im Rahmen der Internationalen Schutztruppe ISAF auch die Bundeswehr stationiert, zwischenzeitlich mit rund 500 Soldaten. Die Stadt Kundus, ebenfalls rund ein Jahrzehnt lang ein wichtiger Stützpunkt der Bundeswehr, war bereits am Sonntag an die Aufständischen gefallen.
In der Nähe von Kundus ergaben sich am Mittwoch hunderte afghanische Sicherheitskräfte mit ihrer Ausrüstung den Taliban. Ein Armeeangehöriger sagte der Nachrichtenagentur AFP: „Es gab keine Möglichkeit zu kämpfen.“ Seine Einheit habe sich angesichts des heftigen Mörserbeschusses am Flughafen von Kundus zur Kapitulation gezwungen gesehen.
Zwar hält sich noch eine unbekannte Anzahl an Regierungstruppen in einer Kaserne außerhalb der Stadt auf, eine schnelle Rückeroberung von Kundus wird mit der Kapitulation jedoch unwahrscheinlicher.
Auch rund um Masar-i-Scharif, wo die Bundeswehr zuletzt ihr größtes Feldlager hatte, wurde in den vergangenen Tagen heftig gekämpft.
Präsident Ghani berät sich mit Abdul Raschid Dostum
Präsident Ghani traf sich bei einem Besuch in der belagerten Stadt unter anderen mit Warlord Abdul Raschid Dostum, mit dem er über die Verteidigung der Stadt beriet.
Dostum war der Hauptverbündete der Amerikaner im Krieg gegen die Taliban. Er war in der Vergangenheit sowohl der stellvertretende Verteidigungsminister Afghanistans als auch Vize-Präsident. Er gilt als sogenannter Warlord in der Region und ist usbekischer Abstammung. Er wird von der usbekischen Minderheit in der Region als Anführer gesehen.
Wenige Stunden vor Ghanis Besuch veröffentlichten staatliche Stellen in Online-Netzwerken ein Bild von Dostum und Kommandoeinheiten, die ein Flugzeug nach Masar-i-Scharif bestiegen.
Nach seiner Ankunft in der Stadt sandte Dostum eine Warnung an die Belagerer. „Die Taliban lernen nie aus der Vergangenheit“, sagte er zu Reportern. Sie seien „mehrmals in den Norden gekommen, aber sie liefen immer in die Falle.“ Dostum wird vorgeworfen, für Massaker an hunderten, wenn nicht tausenden gefangenen Taliban während der US-gestützten Vertreibung der Extremisten 2001 verantwortlich gewesen zu sein.
Masar-i-Scharif ist die Hauptstadt der Provinz Balch und die größte Stadt im Norden Afghanistans. Sie ist das wirtschaftliche Zentrum der Region im Norden, der immer als Bollwerk gegen die Taliban galt. Eine Einnahme Masar-i-Scharifs durch die Extremisten wäre ein harter Schlag für die Regierung in Kabul. Damit würde sie die Kontrolle über den Norden des Landes endgültig verlieren.
Taliban befreien Häftlinge
Berichte über heftige Kämpfe gab es auch aus dem Süden des Landes, wo Taliban-Kämpfer in der Stadt Kandahar zum örtlichen Gefängnis vordringen wollen. Die Extremisten haben bereits häufiger Haftanstalten angegriffen, um darin gefangene Kämpfer zu befreien.
Der frühere deutsche Nato-General Egon Ramms machte im Gespräch mit dem Deutschlandfunk die afghanischen Soldaten für die raschen Geländegewinne der Taliban verantwortlich. Diese seien durch die USA gut ausgerüstet und durch die Bundeswehr gut ausgebildet worden, ihnen mangele es aber an Kampfmoral. Neben der Angst vor den Taliban sei diese auch durch deren schlechte Bezahlung zu erklären.
US-Präsident Joe Biden hatte einem Abbruch des Truppenabzugs trotz des schnellen Vorrückens der Taliban eine Absage erteilt: Die Afghanen müssten „für ihre Nation kämpfen“, sagte Biden. (afp/er)
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