Syrien – Türkei: Trump wendet Methoden der klassischen Diplomatie an
Schon vor mehr als einem Jahr hat die westliche Wertegemeinschaft Erdogan einen Freibrief ausgestellt, in Syrien nach Belieben einzumarschieren. Es ging um die grenznahe Stadt Afrin, die von der Türkei einfach besetzt worden ist. Die Reaktion darauf war nicht mehr als ein laues „das ist aber nicht nett“.
Der Punkt war, dass es gegen Assad ging und da ist dem Westen ja jedes Mittel erlaubt. Alle außer Russland machen sich in Syrien des fortlaufenden Völkerrechtsbruchs schuldig, wenn sie militärisch dort agieren. Das hat sogar der wissenschaftliche Dienst des Bundestages unzweifelhaft festgestellt. Warum also kommt jetzt Protest, wenn Erdogan dasselbe wieder tut? Oder tut er eben nicht dasselbe?
Nicht die USA haben den IS besiegt, sondern Russland mit der syrischen Armee
Der Unterschied ist, dass die Türkei diesmal einen Teil Syriens überfällt, der noch nicht unter die Kontrolle von Damaskus zurückgekehrt ist. Es geht also nicht direkt gegen die Regierung Assad, sondern gegen Kurden, die Assad kritisch gegenüberstehen. Die Planung war wohl, den kurdischen Teil von Syrien abzutrennen und damit die größeren Ölvorräte. Erdogan will sowieso Teile von Syrien einnehmen, von Anfang an.
Was könnte in diesem Sinn besser geeignet sein, als das Gebiet einfach zu besetzen, in dem man nicht auf syrische Regierungstruppen stoßen wird, die ihr Land völkerrechtskonform verteidigen würden? Und das Öl. Nach dem Überfall auf Afrin und der bis heute andauernden Besetzung konnte Erdogan annehmen, dass sein neuerlicher Überfall auf Syrien ebenso unbeanstandet durchgehen wird.
Da hat er nicht mit Trump gerechnet.
Dass überhaupt amerikanische Truppen in Syrien stehen, ist das Erbe von Obama. Trump selbst hat dem amerikanischen Interventionismus abgeschworen, konnte aber seine Truppen noch nicht vollständig aus Syrien abziehen, wegen der Widerstände aus den Reihen der Militärs und der demokratischen Partei im Kongress.
Ja, das US-Militär hat die Kurden benutzt, um die Teilung Syriens zu zementieren. Die Behauptung, die USA hätten das getan, um den IS zu besiegen, ist eine glatte Lüge. Die USA haben ihre Unterstützung für den IS erst aufgegeben, nachdem Russland ernsthaft eingegriffen hatte und gezeigt hat, wie man vorgehen muss, wenn man wirklich das ehrliche Ziel hat, den IS auszulöschen.
Da konnten die USA nicht mehr weitermachen wie zuvor. Und nein, nicht die USA haben den IS besiegt, es war Russland mit der syrischen Regierung. Vergessen wir nicht, dass die USA die Stadt Rakka im Kurdengebiet nebenbei dem Erdboden gleich gemacht haben. Allein das kann nicht im Sinn der Kurden gewesen sein. Die Zerstörung von Mossul genauso wenig.
Die Lage ist kompliziert. Erdogan will einen weiteren Teil Syriens besetzen.
Die Türkei ist Mitglied der NATO. Ein NATO-Staat will also seinen souveränen Nachbarn überfallen. Donald Trump will ihm das nicht gestatten und er hatte Soldaten in diesem Gebiet. Es bestand also die Gefahr, dass Erdogans Armee bei ihrem Überfall auf amerikanische Soldaten schießt. Es würde folglich ein NATO-Staat Soldaten eines anderen töten.
Wie müsste die Reaktion der USA darauf sein, wenn türkisches Militär amerikanische Soldaten umbringt? Der Türkei den Krieg erklären? Die Türkei aus der NATO rauswerfen?
Das Verhältnis ist sowieso schon angespannt, nachdem die Türkei russische S-400 gekauft hat. Eine weitere Eskalation könnte fatal sein – für die gesamte NATO. Ganz nebenbei besteht aber auch die Gefahr, dass mit dem türkischen Angriff auch deutsche Soldaten zu Tode kommen, die Kurden unterstützen. NATO gegen NATO.
Die Kurden waren für die Obama-Regierung nur „Verbrauchsmaterial“
Mit dem Rückzug von sowieso nur noch etwa 100 amerikanischen Soldaten aus dem akuten Problemfeld hat Trump diesen Faktor entschärft. Selbstverständlich erntet er dafür allenthalben Kritik. Er hätte die Kurden verraten. Ja, wieso eigentlich? Es ging den USA niemals um die Kurden oder den IS.
Es war Obama, der die Kurden unterstützt hat, um Assad zu schaden und zu stürzen.
Nachdem Russland eingegriffen hat, ist dieses Ziel aber unerreichbar geworden. Die Kurden waren für die USA der Obama-Regierung nur „Verbrauchsmaterial“ für ihre Ziele. „Verraten“ waren sie von Anfang an.
Donald Trump hat nicht erst jetzt wieder das Engagement der USA in der arabischen Region als größten Fehler der Geschichte bezeichnet. Er hat versprochen, all das zu beenden. Da ist die Gelegenheit günstig, den Einmarsch der Türkei in Syrien zum Anlass zu nehmen, US-Soldaten aus Syrien abzuziehen und so wenigstens ein wenig näher an völkerrechtskonformes Verhalten zu kommen. Gleichzeitig verhindert er so einen direkten militärischen Konflikt zwischen NATO-Partnern.
Trump lässt Taten folgen – diplomatische und wirtschaftliche
Aber er tut mehr. Während die Europäer wie im Fall Afrin nur laue Unzufriedenheitsbekundungen abgeben, hat Trump seiner Aufforderung an die Türkei, den Einmarsch zu unterlassen, Taten folgen lassen. Er hat seiner Drohung, die türkische Wirtschaft im Fall des Überfalls zu zerstören, Nachdruck verliehen. Er hat das Gesetz schon durchgebracht, das es ermöglicht, die Türkei von den internationalen Finanzmärkten zu isolieren, also auf dieselbe Stufe zu stellen, wie den Iran.
Das Szenario steht also, ist aber noch nicht in Kraft gesetzt. Das ist Diplomatie. Er zeigt die Instrumente, die gegen Erdogan eingesetzt werden können, um ihn scharf zu ermahnen und zur Umkehr zu bewegen. Letzte Mahnung sozusagen. Und weil Donald Trump eben Trump ist, sind seine Drohungen auch glaubwürdig.
Was für ein Kontrast zu den Reaktionen aus der EU, die so inhaltsleer sind, dass man sie auch sein lassen könnte. Allerdings betritt Trump auch hier Neuland. Es hat es noch nie gegeben, dass ein NATO-Staat den anderen mit Sanktionen bedroht oder gar belegt.
So ist festzustellen, dass der vielgeschmähte Donald Trump nach mehr als einem halben Jahrhundert wieder klassische Diplomatie anwendet.
Seine Androhung von Sanktionen entspricht einer Kriegserklärung und die war in früheren Zeiten die letzte Warnung, bevor man einen veritablen Krieg begann. Mit der Kriegserklärung gab man bekannt, wie ernst man die Lage einschätzt, aber noch eine letzte Möglichkeit offen lässt, den Krieg zu vermeiden.
Trump droht nicht mit Militär, sondern mit Sanktionen
Donald Trump hat also zwei Dinge getan, um die Situation zu entschärfen. Mit dem Abzug seiner Soldaten hat er verhindert, dass türkische Soldaten Amerikaner umbringen und gleichzeitig eine letzte Warnung an Erdogan geschickt. Er droht nicht mit Militär, sondern mit Sanktionen. Das ist es, was die EU-Staaten bereits spätestens mit dem türkischen Einmarsch in Afrin hätten tun müssen.
Die EU aber zieht schon wieder die Köpfe ein, weil Erdogan droht, Migranten aus seinem Land in die EU zu entlassen. Offensichtlich ist den Eurokraten nicht bewusst, dass das eine leere Drohung ist. Wie sollen die denn nach Europa/Deutschland kommen?
Der von der EU gebaute Zaun an der bulgarischen Grenze zur Türkei steht. Ach ja, als Orban einen ebensolchen Zaun bauen ließ, war das ganz böse. So können Migranten aus der Türkei nur auf die griechischen Inseln kommen, aber das wollen die auch nicht, denn von dort führt der Weg nicht aufs Festland und schon gar nicht zur „Balkanroute“, die an der mazedonischen Grenze geschlossen ist.
So könnte sich Erdogan ins eigene Fleisch schneiden, denn nach dieser Drohung ist nicht auszuschließen, dass Deutschland aufhört, jeden Monat zehntausende Migranten mit Flugzeugen aus der Türkei einzufliegen.
Eine direkte Konfrontation wurde mit dem Abzug der US-Truppen verhindert
Inwieweit Erdogan noch fähig ist, rational zu handeln, ist schwer einzuschätzen. Immerhin haben seine Soldaten an anderer Stelle Geschosse abgefeuert, die nur wenige Meter von amerikanischen Soldaten eingeschlagen sind. Es gab keine Verletzten, aber es hätte Tote geben können. So ist das Argument schon entkräftet, erst der Abzug der amerikanischen Soldaten hätte den Weg für den türkischen Überfall frei gemacht.
Auf der anderen Seite stehen aber auch amerikanische Soldaten in der Türkei. In Incirlik, zum Beispiel. Da sind sie sozusagen als Geiseln zu betrachten, denn es ist schwer vorstellbar, dass die sich dort gegen das türkische Militär wehren könnten. Wie gesagt, die gesamte Gemengelage ist kompliziert, eigentlich prekär.
Bricht die Türkei aus der NATO aus, ist die gesamte strategische Planung gegen Russland obsolet. Erdogan weiß auch das und dieses Wissen wird nicht dazu beitragen, ihn zu mäßigen.
Die Situation ist für Trump schwierig. Er selbst würde lieber heute als morgen alle Truppen aus den unsinnigen Kriegen abziehen, stößt da aber auf Widerstand des Militärisch-Industriellen Komplex’. Und natürlich der demokratischen Partei, die sowieso alles hintertreibt, was Trump erreichen will.
Mit dem Abzug seiner Soldaten aus der heißen Zone hat Trump schon verhindert, dass es dort zu einer direkten Konfrontation kommen wird. Mit seiner konkreten Drohung gegen die Wirtschaft der Türkei hat er Erdogan die rote Karte gezeigt. Nein, keine lächerliche und wirkungslose rote Linie, wie sie Obama gegen Assad gezogen hatte. Trump tut alles, um einen Waffengang zu vermeiden und bedient sich stattdessen Methoden der klassischen Diplomatie. Wer hätte das gedacht.
Nun ist es an den Europäern, Trump zu unterstützen, anstatt ihn des Verrats an den Kurden zu bezichtigen. Es sind die Europäer selbst, die die Kurden verraten, weil sie außer lauen Sprüchen nichts tun, während Trump den Schutz der Kurden mit harten Sanktionen einfordert.
Zuerst erschienen auf www.anderweltonline.com
Peter Haisenko, Verkehrspilot, war nach seiner Ausbildung bei der Lufthansa 30 Jahre im weltweiten Einsatz als Copilot und Kapitän. Seit 2004 ist er tätig als Autor und Journalist. Er gründete den Anderwelt Verlag. www.anderweltonline.com/
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