Assads Ausreise: Hinter den Kulissen der diplomatischen Verhandlungen

Vor einer Woche stürzten Rebellen in Syrien Langzeitherrscher Assad. Mittlerweile wurde bekannt, dass Russland und die Türkei in Katar wesentliche Elemente des Machtwechsels vorbereitet haben, insbesondere Assads Evakuierung. Drusische Dörfer haben Jerusalem derweil um Annexion gebeten.
Im jordanischen Rotmeer-Bad Akaba sprechen westliche und arabische Diplomaten dem neuen Syrien ihre Unterstützung aus.
Im jordanischen Rotmeer-Bad Akaba sprechen westliche und arabische Diplomaten dem neuen Syrien ihre Unterstützung aus.Foto: Andrew Caballero-Reynolds/AFP Pool/dpa
Von 22. Dezember 2024

Im Vorfeld des im Wesentlichen gewaltfrei und geordnet vonstattengegangenen Machtübergangs in Syrien haben sich die Russische Föderation, die Türkei und Katar offenbar über wichtige Details verständigt. Dies berichtete die österreichische Nachrichtenplattform „exxpress“. Zugleich habe der Kreml die Sicherheit der russischen Militäreinrichtungen in dem bürgerkriegsgeschüttelten Land eingefordert. Allerdings wurde noch keine Vereinbarung über die Dauer der russischen Präsenz getroffen.

Im Vorfeld des Machtübergangs in Syrien haben die Russischen Föderation und die Türkei in Katar wesentliche Vereinbarungen getroffen, um diesen reibungslos und gewaltfrei zu gestalten. Inwieweit das Gastgeberland, das seit Beginn des Bürgerkrieges die Rebellen unterstützt hat, Einfluss auf diese ausübte, ist nicht bekannt. Einem Bericht von „RP Online“ zufolge war auch der Iran in die Gespräche mit einbezogen.

Keine direkten Gespräche mit HTS

Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der am 6. und 7. Dezember am Doha-Forum in Katar teilgenommen hatte, hat dem Bericht zufolge die diplomatischen Bemühungen geleitet. Moskau hat nicht direkt mit den Rebellen von Hayat Tahrir al-Scham (HTS) verhandelt, die in zahlreichen Ländern der Welt als terroristisch eingestuft sind. Eine indirekte Abstimmung mit diesen wäre über die Türkei und Katar möglich gewesen.

Ein wesentliches Element der Gespräche war die ungehinderte Abreise des gestürzten Präsidenten Baschar al-Assad und engster Vertrauter nach Russland. Dieser war Ende November erst nach Moskau und dann in den Iran gereist, um den Ernst der Lage in Syrien zu schildern. Der Kreml hatte bereits kurz vor der Einnahme Aleppos durch die Rebellen deutlich gemacht, dass es eine neuerliche militärische Intervention nicht geben werde.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte, Russland habe in der Vergangenheit mit großem Einsatz die Stabilisierung Syriens betrieben. Mittlerweile müsse man mit der Ukraine jedoch eigene Schwerpunkte setzen. Im Iran habe es anschließend geheißen, eine Intervention könne zur Eskalation des Konflikts mit Israel führen.

Russland wollte in Syrien Szenario wie in Libyen oder Irak verhindern

Offizielle Statements aus Moskau oder Teheran gibt es nicht. Die sichere Ausreise von Assad war für Moskau jedoch von zentraler Bedeutung. Eine Ermordung des Langzeitherrschers durch Rebellen, wie in Libyen, oder ein Schauprozess wie im Fall Saddam Husseins hätte im Westen Triumphgefühle ausgelöst.

Lawrow hat Insidern zufolge „alles in seiner Macht Stehende“ dafür getan, dass russische Flugzeuge Assad und dessen engste Angehörige ungehindert nach Moskau bringen konnten. Assad selbst soll „Reuters“ zufolge seine Regierungsspitze, seine Armee und sogar den Großteil seiner Verwandtschaft über seine Ausreisepläne im Unklaren gelassen haben.

Zuvor habe Assad versucht, in den Vereinigten Arabischen Emiraten Zuflucht zu finden. Dort lehnte man dies jedoch ab. Grund war die Sorge vor internationalen Verwicklungen angesichts der Vorwürfe, der gestürzte Präsident habe Giftgas eingesetzt und Kriegsverbrechen angeordnet. Assad hatte diese stets bestritten.

Al-Scharaa: Rebellen sollen „revolutionäre Mentalität ablegen“

Unterdessen hat der Kommandant von HTS, Ahmed al-Scharaa, angekündigt, die neue Führung in Syrien werde schon bald konkrete Schritte zur Stabilisierung des Landes nach dem Krieg benennen. Er betonte die Notwendigkeit, die „revolutionäre Mentalität“ abzulegen, die die Rebellen gekennzeichnet habe. Es sei nun erforderlich, moderne Institutionen zu schaffen, die Rechtsstaatlichkeit zu garantieren und die Rechte aller Syrer zu respektieren.

Al-Scharaa lobte die Disziplin seiner Kämpfer und die Effektivität ihrer Strategie. Es sei ihnen gelungen, „die Kontrolle über große Städte herzustellen, ohne dass jemand vertrieben worden wäre“, zitiert ihn die „Times of Israel“. Ob es ihm gelingen wird, die Autorität zu bewahren, ist noch offen. In der Vergangenheit hatte es vielfach auch blutige Auseinandersetzungen unter den Rebellengruppen selbst gegeben.

Ein großer Teil von ihnen hat jedoch in Idlib bereits konkrete Regierungserfahrung gesammelt. Dort verwalteten sie das unter der militärischen Kontrolle der Türkei stehende Hinterland, das ihnen nach der Vertreibung aus Städten wie Aleppo oder Homs verblieben war. Es ist anzunehmen, dass dies zu einer realistischeren Einschätzung der Aufgaben beigetragen hat, die im Fall einer Machtübernahme im gesamten Land auf sie zukommen würden.

Israel: „Mischen uns in Syrien nicht ein“

Al-Scharaa erklärte, die anfänglichen limitierten Luftschläge der russischen Luftwaffe gegen Rebellen in den Tagen vor Assads Sturz habe Besorgnis erregt. In den Reihen der Rebellen habe man ein „Gaza-Szenario“ befürchtet. Der nunmehrige Machtwechsel biete jedoch die Möglichkeit, die Verbindungen mit Russland neu zu bewerten – „in einer Weise, die gemeinsamen Interessen dient“.

In einem Interview mit dem syrischen Fernsehen forderte Al-Scharaa Israel auf, seine Militäroperation in Syrien zu beenden. Man sei zu diplomatischen Lösungen bereit, um Eskalationen in der Region entgegenzuwirken. Der HTS-Führer äußerte: „Wir suchen keinen Konflikt. Israel hat deshalb keinen Grund mehr für Angriffe.“

In Jerusalem sieht man weiterhin eine Notwendigkeit, kritische militärische Infrastruktur auszuschalten. Die „Times of Israel“ zitiert IDF-Generalstabschef Generalleutnant Herzi Halevi mit der Aussage:

Wir mischen uns nicht ein in das, was in Syrien passiert. Wir haben kein Interesse daran, Syrien zu regieren.“

Drusen äußern Angst vor „ISIS-ähnlicher Regierung“

Allerdings müsse man die eigene Bevölkerung vor Gefahren schützen. Syrien sei ein Feindstaat gewesen, dessen Armee zusammengebrochen sei. Nun gehe es darum, sicherzustellen, dass sich keine terroristischen Elemente nahe an Israels Grenze niederlassen könnten. Syrien befand sich formal seit 1948 mit Israel im Kriegszustand. Es gab auch keine diplomatischen Beziehungen, da Syrien die Existenz des jüdischen Staates nicht anerkannte. 

Im Süden von Syrien haben einige Vertreter drusischer Gruppen aus sechs Dörfern einen Appell an Jerusalem gerichtet. Darin wurde an Israel der Wunsch gerichtet, die Siedlungsgebiete der Gemeinschaft zu annektieren. Als Begründung wurde die Furcht vor einen „neuen ISIS-artigen Führung“ in Damaskus genannt. Die drusisch besiedelten Gebiete Syriens liegen in der Nähe der Golan-Höhen. Die militärstrategisch wichtige Hügelkette wird seit 1967 von Israel kontrolliert. Im Jahr 1981 hat die Regierung in Jerusalem deren Eingliederung in das israelische Staatsgebiet erklärt.

Im jordanischen Akaba fand unterdessen am Samstag, 14.12., ein Syrien-Gipfel statt. An diesem nahmen Vertreter arabischer Länder, der Türkei, der EU und der USA teil. Syrische Akteure selbst waren nicht zugegen, obwohl die Situation in dem Land nach dem Machtwechsel das Thema war.

Türkei eröffnet Botschaft in Damaskus nach 12 Jahren wieder

Jordaniens Außenminister Aiman al-Safadi kündigte an, das Land wolle seinen Beitrag zu einem „inklusiven und umfassenden politischen Prozess“ in Syrien leisten. US-Außenminister Antony Blinken äußerte, die anwesenden Akteure seien sich einig, dass „der Übergangsprozess unter syrischer Führung und in syrischer Verantwortung erfolgen muss“. Ziel sei eine „inklusive und repräsentative Regierung“. Zudem dürfe Syrien nicht wieder zum Stützpunkt für Terrorgruppen werden.

Der türkische Außenminister Hakan Fidan erläuterte, seine Verhandlungen mit Russland und dem Iran hätten bewirkt, dass es zu einem reibungslosen Machtwechsel ohne massive Kampfhandlungen gekommen sei. Nun werde die Türkei „weiterhin Seite an Seite des syrischen Volks stehen“.

Im Norden Syriens führt die Regierung in Ankara derzeit selbst eine Militäroperation durch. Ziel ist es, kurdische Milizen, die der terroristischen PKK nahestehen, aus Regionen nahe der türkischen Grenze zu vertreiben. Die Türkei hat mittlerweile erstmals seit 12 Jahren ihre Botschaft in Damaskus wiedereröffnet.



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