Syrien fährt „Einmischung“ im Libanon zurück
Syrien will nach Angaben der neuen Machthaber im Land seine Einflussnahme im Libanon drastisch zurückfahren.
Damaskus werde sich nicht länger „negativ in die Angelegenheiten des Libanon einmischen“, sagte der Anführer der Islamistenmiliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS), Ahmed al-Scharaa, am Sonntag in Damaskus bei einem Treffen mit hochrangigen Vertretern der drusischen Minderheit im Libanon.
Die neue syrische Führung „respektiert die Souveränität des Libanon, die Einheit seines Territoriums, die Unabhängigkeit seiner Entscheidungen und seine Sicherheitsstabilität“.
Treffen von HTS-Chef und Führern der Drusen
Das Treffen zwischen dem HTS-Chef und den Drusenführern Walid und Tajmur Dschumblatt fand im Präsidentenpalast in Damaskus statt.
Syrien werde im Libanon „in gleicher Distanz zu allen“ Seiten bleiben, betonte al-Scharaa, der bislang unter seinem Kampfnamen Mohammed al-Dscholani auftrat. Zugleich räumte er ein, dass Syrien bisher für das Nachbarland eine „Quelle der Angst und Besorgnis“ gewesen sei.
Ungefähr 3 Prozent der Syrier sind Drusen, meist wird von ca. 700.000 gesprochen. Die drusische Gemeinschaft spielte früher eine bedeutende politische Rolle, sie haben einen beträchtlichen Einfluss insbesondere im Militär. Dort besetzen sie zahlreiche Offiziersposten.
Syrien fiel 1976 in den Libanon ein – und blieb im Land bis 2005
Walid Dschumblatt gilt seit langem als scharfer Kritiker des gestürzten syrischen Ex-Machthabers Baschar al-Assad und dessen Vorgängers Hafes al-Assad. Er wirft den syrischen Behörden unter anderem vor, für die Ermordung seines Vaters 1977 während des Bürgerkriegs im Libanon verantwortlich zu sein.
Die syrische Armee war 1976 als Teil arabischer Streitkräfte in den Libanon einmarschiert, um den ein Jahr zuvor ausgebrochenen dortigen Bürgerkrieg zu beenden.
Stattdessen blieben syrische Truppen bis zu ihrem Abzug im Jahr 2005 in dem Nachbarland präsent, wo pro-syrische Gruppierungen wie die Hisbollah-Miliz fortan sämtliche Bereiche des politischen und militärischen Lebens beherrschten.
Der komplette Abzug der syrischen Armee erfolgte schließlich angesichts von Massenprotesten der Opposition im Libanon und großem internationalen Druck. Die Opposition im Libanon warf Damaskus und der Hisbollah vor, unter anderem hinter dem Attentat auf den beliebten libanesischen Ex-Regierungschef Rafik Hariri zu stecken.
Pro-syrische Hisbollah ist im Libanon sehr mächtig
Die Hisbollah ist als mächtige schiitisch-muslimische politische Partei in der libanesischen Politik sehr aktiv. Sie ist seit 1992, als sie zum ersten Mal Sitze im Parlament gewann, ein fester Bestandteil der libanesischen Regierung.
Derzeit verfügt der Block „Loyalität zum Widerstand“ der Hisbollah über 13 Sitze im 128 Mitglieder zählenden libanesischen Parlament. Aufgrund der konsensorientierten politischen Struktur des Libanon übt die Hisbollah einen erheblichen Einfluss. Sie hat seit 2005 Kabinettsposten inne, und in der Regel ein bis drei Sitze in jeder libanesischen Regierung.
Ein Netzwerk von sympathisierenden Parteien ermöglicht ihr, über die offizielle Vertretung hinaus weithin Einfluss zu nehmen. Sie ist Teil der politischen Koalition des 8. März und kann wichtige Entscheidungen blockieren.
Das führte zu einem politischen Stillstand – unter anderem konnte seit zwei Jahren kein Präsident gewählt werden. Die Hisbollah hatte ihre Position genutzt, um Veto gegen Entscheidungen einzulegen, die nicht mit ihrer Agenda und ihren Interessen übereinstimmen.
Die politische Stärke wird durch ein umfangreiches Netz sozialer Dienste unterstützt. Die Gruppe betreibt Schulen, Krankenhäuser, Kultureinrichtungen und Wohltätigkeitsorganisationen im gesamten Libanon, vor allem in benachteiligten Gebieten. Es ist eine Art Schattengemeinschaft entstanden, aus der sie politischen Nutzen und Unterstützung zieht.
Geschätzt wird die Größe der Schattengemeinschaft auf einen erheblichen Teil der schiitischen Bevölkerung des Libanon, die etwa 27 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes ausmacht.
Iran streitet Einflussnahme ab
Derweil stritt Irans geistliches Oberhaupt, Ayatollah Ali Chamenei, ab, dass militante Gruppen in der Region als Teherans Stellvertreter agieren.
„Die Islamische Republik hat keine Stellvertretertruppen“, sagte Chamanei am Sonntag vor Besuchern mit Blick auf die vom Iran angeführte und gegen Israel und die USA gerichtete sogenannte „Achse des Widerstands“, zu der die Hisbollah im Libanon, die Huthis im Jemen und die radikalislamische Hamas im Gazastreifen gehören.
„Sie handeln nicht als unsere Stellvertreter“, betonte Chamanei und drohte: „Wenn wir eines Tages etwas unternehmen wollen, brauchen wir keine Stellvertreterkräfte.“
Der Iran zählte zu den wichtigsten Verbündeten von Assad. Syriens Ex-Machthaber spielte lange Zeit eine strategische Rolle für Teheran, insbesondere bei ungehinderten Waffenlieferungen an die libanesische Hisbollah-Miliz, die ebenfalls in Syrien aktiv ist.
Vor zwei Wochen hatten HTS-Kämpfer und ihre Verbündeten Damaskus eingenommen und die jahrzehntelange Herrschaft der Familie Assad beendet. Die HTS gilt bislang für vielen westlichen Regierungen, darunter die USA, als terroristische Organisation. Zuletzt sicherte die Miliz zu, die religiösen und ethnischen Minderheiten Syriens zu schützen. (afp/red)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion