Studie zu Flüchtlingen in Österreich: Nicht alles „Fachkräfte“, aber auch nicht alle bildungsfern
In der Zeit vom 16. bis 18. September 2020 fand die 6. Jahrestagung der Migrations- und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Salzburg statt.
In diesem Rahmen referierte Judith Kohlenberger vom Institut für Sozialpolitik an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien über die Ergebnisse einer unter ihrer Federführung durchgeführten Studie über den Bildungsgrad jener 90.000 Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, die 2015 in der Alpenrepublik Asyl beantragt hatten.
„Relativ hoher Bildungsgrad“
Die Erkenntnisse der Untersuchung machen deutlich, dass einseitige Einschätzungen entlang der politischen und weltanschaulichen Pole, die sich in der damaligen Krise gebildet hatten, der realen Situation nicht gerecht wurden.
Die Erwartung der Befürworter einer weitreichenden Willkommenskultur, die davon sprachen, der Zustrom von Asylbewerbern würde endlich den erhofften Zuwachs an gut ausgebildeten Fachkräften bringen, den die demografisch unter Druck geratene Wirtschaft brauche, erfüllte sich nicht flächendeckend. Andererseits ließ sich auch die Darstellung kategorischer Gegner einer Flüchtlingsaufnahme nicht verifizieren, es kämen vorwiegend ungebildete Personen ohne Perspektive auf dem Arbeitsmarkt nach Europa.
Vor allem syrische und irakische Flüchtlinge, die 2015 nach Österreich gekommen seien, wiesen einen „relativ hohen Bildungsgrad“ auf, bilanziert Studienautorin Kohlenberger. Allerdings gebe es ein gewisses Gefälle zwischen Flüchtlingen aus Syrien, wo es vor dem Krieg eine gut ausgebaute Bildungsinfrastruktur gegeben habe, und Afghanistan, wo der Zugang zur Bildung eingeschränkt sei.
Gefälle zwischen den Herkunftsländern
Wie das Portal oe24 unter Berufung auf die Nachrichtenagentur APA berichtet, geht Kohlenberger davon aus, dass sich an den grundlegenden Tendenzen auch mit Blick auf Flüchtlinge, die ab 2016 ins Land gekommen waren, nichts Substanzielles geändert habe.
Die Zahlen, die Kohlenberger präsentierte, bestätigten im Wesentlichen auch die Erkenntnisse des DiPAS (Displaced Persons in Austria Survey) des Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital aus dem Jahr 2015 und Ergebnisse von Gesamterhebungen einzelner österreichischer Bundesländer oder von Kompetenzchecks des Arbeitsmarktservices (AMS). Wie Kohlenberger gegenüber der APA äußerte, unterschieden sich Ergebnisse einer in Deutschland laufenden Langzeitstudie nicht substanziell von den österreichischen.
Der Kohlenberger-Studie zufolge weisen im Schnitt der drei Herkunftsländer 15 Prozent der Asylsuchenden keine Schulbildung oder nur wenige Grundschuljahre auf. Allerdings traf dies auf 46 Prozent der afghanischen Flüchtlinge zu, die 29 Prozent der Antragsteller auf Asyl in jenem Jahr gestellt hatten (gegenüber 28 Prozent aus Syrien und 15 aus dem Irak). Etwa die Hälfte der Migranten weise einen Berufsabschluss, eine abgeschlossene Mittelschule oder einen Hochschulabschluss auf. Auch Bachelor- oder Mastergraden gebe es ein Gefälle zwischen den Herkunftsländern: 31 Prozent der Iraker, 27 Prozent der Syrer, aber nur zehn Prozent der Afghanen brächten diesen Bildungshintergrund mit.
Insgesamt versucht vor allem Mittelschicht der Herkunftsländer, nach Europa zu gelangen
Was die syrischen Geflüchteten anbelangt, gäbe es allerdings eine höhere Dunkelziffer an Personen mit höherer Bildung, die dadurch bedingt sei, dass viele den Studienabschluss hinausgezögert hätten, um der in Syrien geltenden Wehrpflicht zu entgehen.
Der Anteil der höher Gebildeten unter den Flüchtlingen unterscheide sich den Ergebnissen der Studie zufolge nicht wesentlich von den Verhältnissen in der gleichaltrigen österreichischen Bevölkerung. Allerdings besteht ein deutlicher Unterschied, was Personen anbelangt, die maximal über einen Grundschulabschluss verfügen. Während dies auf 30 Prozent der Asylsuchenden der drei Hauptherkunftsländer zutreffe, sei dies nur bei zwei Prozent der Österreicher der Fall.
Auch im Vergleich zum Durchschnitt der Herkunftsländer seien es jedoch in der Gesamttendenz besser Ausgebildete und Angehörige der dortigen Mittelschicht, die ihrer Heimat den Rücken gekehrt hätten.
Amazon wirbt mit Erfolgsgeschichten von Flüchtlingen
Um das Potenzial der Flüchtlinge optimal zu nutzen, rät Kohlenberger, auf das mitgebrachte Vorwissen und die Bildungsmotivation der Zuwanderer zu setzen. Wo Anerkennungen von Bildungsabschlüssen möglich sind, sollten diese zeitnah veranlasst werden. Zudem würde es Sinn machen, den Geflüchteten neben Deutschkursen auch Zugang zu internationalen, englischsprachigen Bildungsgängen zu eröffnen – was jedoch „etwa wegen der Fachsprache“ – eine gewisse Vorlaufzeit benötige.
Was Geflüchtete ohne Schulabschluss anbelange, setzen Unternehmen wie Amazon auf Training on the Job. Aus der Fernsehwerbung bekannt dürften dem deutschsprachigen Publikum etwa die Positivbeispiele von Hatice aus dem Logistikzentrum Werne oder dem syrischen Familienvater Mouhanad sein, die in Imagespots verewigt wurden.
Die beiden Amazon-Aufsteiger sind jedoch noch nicht repräsentativ für den Stand der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. In Deutschland hat das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung am Institut für Wirtschaftsforschung (IW) jüngst eine Studie auf der Basis von Befragungen unter 1.259 Unternehmen veröffentlicht, der zufolge mittlerweile jedes vierte Unternehmen inzwischen Flüchtlinge beschäftige und jedes zehnte sie ausbilde.
Studie von IAB: Sprachkurse öffnen Türen
Dagegen nähmen berufsvorbereitende Angebote wie Praktika in ihrer Bedeutung für die Arbeitsmarkt-Integration der Flüchtlinge ab, so das „Migazin“. Insgesamt seien insgesamt 429.000 von ihnen mittlerweile in betrieblicher Ausbildung oder regulärer Beschäftigung.
Rund vier Prozent oder 18.000 Unternehmen mehr als im Jahr 2016 würden in diesem Sinne auf die Asylsuchenden zurückgreifen. Zugleich sei der Anteil von Flüchtlingen in regulärer Beschäftigung im gleichen Zeitraum um mehr als 50 Prozent gestiegen. Insgesamt seien es mittlerweile 15,8 Prozent aller Unternehmen in Deutschland, die seit 2015 ins Land gekommene Flüchtlinge sozialversicherungspflichtig beschäftigen.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) veröffentlichte im August Zahlen, wonach etwa die Hälfte jener Flüchtlinge, die zwischen 2013 und 2016 nach Deutschland gekommen wären, einen Arbeitsplatz gefunden hätte. Für die Studie berücksichtigt wurden Geflüchtete aus den acht Ländern Eritrea, Nigeria, Somalia, Irak, Iran, Afghanistan, Pakistan und Syrien. Nachteilige Effekte der Corona-Pandemie dürften bezüglich der Untersuchung allerdings noch nicht eingepreist sein.
Die Einrichtung erklärte laut „Tagesschau“, dass vor allem Sprachkurse die Eingliederung in den Arbeitsmarkt erleichtert hätten. Nur etwa ein Prozent der Geflüchteten wäre mit sehr guten oder guten deutschen Sprachkenntnissen nach Deutschland gekommen, sagte IAB-Migrationsforscher Herbert Brücker. Mittlerweile spreche mehr als die Hälfte gut oder sehr gut Deutsch.
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