Staudammzerstörung: Trotz gegenseitiger Anschuldigungen führt eine Spur in die Ukraine

Das Ausmaß der Zerstörung nach dem Bruch des Staudamms in der Ukraine ist verheerend. In Bezug auf den Tathergang und die Verursacher gehen die Meinungen weit auseinander. Eine interessante Spur deutet darauf hin, dass ein ukrainischer Generalmajor bereits im letzten Jahr eine eventuelle Sprengung des Damms in Betracht zog.
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Bewohner werden aus einem überfluteten Viertel in Cherson evakuiert.Foto: Roman Hrytsyna/AP/dpa
Von 7. Juni 2023

Die Explosion des Kachowka-Staudamms am 6. Juni im Süden der Ukraine beschäftigt nicht nur den UN-Sicherheitsrat. Kiew und Moskau beschuldigen sich gegenseitig der Tat und sprechen von Kriegsverbrechen.

In den frühen Morgenstunden des Mittwochs sind die Wassermassen, die nach dem Bruch des Kachowka-Damms in der Region Cherson die Stadt Nowaja Kachowka überflutet haben, zwar weiter zurückgegangen, wie die örtliche Verwaltung auf ihrem Telegram-Kanal mitteilte. Dennoch sind immer noch Zehntausende Menschen in der Region Cherson gefährdet.

Das Reaktionszentrum des Bezirks gab gegenüber der Nachrichtenagentur „Tass“ an, dass der Wasserstand um 35 mm gesunken sei. Die gleiche Zahl wurde kurz darauf vom Bürgermeister von Nowaja Kachowka, Wladimir Leontjew, genannt. Nach seinen Worten seien am Dienstag mehr als 900 Menschen aus den überfluteten Gebieten evakuiert worden.

„Tass“: Sprengung durch Mehrfachraketenwerfer verursacht

Expertenmeinungen bezüglich der Katastrophe im Wasserkraftwerk Kachowska gibt es mittlerweile zuhauf. Zudem ist es nicht überraschend, dass beide Seiten die Beschädigung des Staudamms zum Anlass für Schuldzuweisungen an die jeweils andere Seite nehmen.

Laut „Tass“ hätten die ukrainischen Streitkräfte das Kraftwerk Kachowka in den frühen Morgenstunden des Dienstags beschossen. Dazu seien offenbar Raketen verwendet worden, die von einem Mehrfachraketenwerfer Olkha (MLRS) abgefeuert wurden, so die Nachrichtenagentur. Durch den Beschuss seien schließlich die Schieber des Staudamms des Kraftwerks zusammengebrochen, sodass das Wasser unkontrolliert auslief.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bezeichnete den Angriff auf das Kachowka-Kraftwerk als vorsätzlichen Sabotageakt der Ukraine. Er fügte hinzu, dass das Kiewer Regime die volle Verantwortung für die Folgen tragen müsse.

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Kiews lang geplanter „letzter Ausweg“?

In der Tat ist interessant, dass der große Staudamm in der von Russland besetzten Region Cherson genau einen Tag nach dem Scheitern der angekündigten ukrainischen Gegenoffensive bombardiert wurde, wie es von russischer Seite heißt.

Und laut Raul Ilargi Meijer, Chefredakteur bei „The Automatic Earth“, haben ukrainische Beamte zudem im vergangenen Jahr bereits zweimal über Kiews Pläne zur Sprengung des Staudamms gesprochen. So war davon sowohl in einem Bericht der „Washington Post“ vom Dezember 2022 die Rede als auch in einem Artikel des „Business Insider“ vom Oktober desselben Jahres.

Im Artikel der „Washington Post“ zitierten die Journalisten den ehemaligen Kommandeur der ukrainischen Gegenoffensive von Cherson im November, Generalmajor Andrej Kowaltschuk. Dieser habe zugegeben, das Kriegsverbrechen geplant zu haben.

In einem Abschnitt des Berichtes heißt es wie folgt: „Kowaltschuk dachte darüber nach, den Fluss zu fluten. Die Ukrainer hätten sogar einen Testangriff mit einem HIMARS-Werfer auf eines der Fluttore am Nova-Kachowka-Damm durchgeführt und dabei drei Löcher in das Metall gebohrt, um zu sehen, ob das Wasser des Dnjepr so weit angehoben werden kann, dass die Russen den Fluss nicht mehr überqueren können, ohne die umliegenden Dörfer zu überfluten. Der Test war ein Erfolg, sagte Kowaltschuk, aber dieser Schritt sollte der letzte Ausweg sein. Er hat davon Abstand genommen.“

In einem auf Twitter geposteten Videobeitrag sollen offenbar Aufnahmen zu sehen sein, die den Angriff auf den Staudamm Nova Kachowka im vergangenen Jahr zeigen. Damals hätten die Ukrainer den Widerstand der Überschwemmungstore mit amerikanischen Himars-Raketen getestet, wie es im Artikel der „Washington Post“ heißt.

Somit könnte laut „The Automatic Earth“ die Bemerkung des Generalmajors, dass „dieser Schritt der letzte Ausweg sein“ solle, in Anbetracht der jetzigen Tatsache durchaus relevant sein. Insbesondere im Hinblick auf die erste Phase der von der NATO unterstützten Gegenoffensive Kiews, die nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums am Montag vollständig gescheitert sei.

Selenskyj erhielt offenbar Angebot von F-16-Kampfjets

Nach Darstellung Selenskyjs diente die Sprengung des Staudamms dazu, die ukrainische Gegenoffensive auszubremsen. „Wir werden trotzdem unser gesamtes Land befreien“, kündigte er an. Solche Attacken könnten Russlands Niederlage nicht verhindern, sondern führten nur dazu, dass Moskau am Ende einen höheren Schadenersatz zahlen müsse. Der ukrainische Generalstaatsanwalt habe sich bereits an den Internationalen Strafgerichtshof mit der Bitte um eine Untersuchung der Explosion gewandt.

Unabhängig davon habe Selenskyj verkündet, er habe ein „ernsthaftes, starkes“ Angebot von Ländern erhalten, die bereit seien, F-16-Kampfjets zu liefern. „Unsere Partner wissen, wie viele Flugzeuge wir brauchen“, wurde Selenskyj laut „The Guardian“ in einer Erklärung auf seiner Website zitiert. „Ich habe bereits von einigen unserer europäischen Partner ein Verständnis für die Anzahl erhalten […] Es ist ein ernsthaftes, starkes Angebot.“

Kiew warte nun auf eine endgültige Vereinbarung mit seinen Verbündeten, einschließlich „einer gemeinsamen Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten“, sagte Selenskyj. Es ist nicht klar, welche Verbündeten der Ukraine bereit sind, die Jets zur Verfügung zu stellen.

Gegenseitige Schuldzuweisungen vor UN-Sicherheitsrat

Vor dem UN-Sicherheitsrat in New York wiesen sich Kiew und Moskau gegenseitig die Schuld für die Zerstörung des Kachowka-Staudamms zu.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, sagte am Dienstag, die teilweise Zerstörung des Kachowka-Damms in der Ukraine sei eine „weitere verheerende Folge“ der russischen Invasion in seinem Nachbarland. „Die heutige Tragödie ist ein weiteres Beispiel für den schrecklichen Preis, den der Krieg für die Menschen hat“, sagte Guterres vor Reportern am UN-Hauptsitz in New York.

Guterres sagte, die UNO habe „keinen Zugang zu unabhängigen Informationen über die Umstände, die zur Zerstörung des Staudamms des Wasserkraftwerks Kachowka geführt haben“. „Aber eines ist klar“, fügte er hinzu. „Dies ist eine weitere verheerende Folge der russischen Invasion in der Ukraine.“

Der ukrainische UN-Botschafter Serhij Kislizia sprach bei einer kurzfristig einberufenen Dringlichkeitssitzung von einem „Akt des ökologischen und technologischen Terrorismus“.

Der russische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Wassili Nebenzya, erklärte dagegen wiederum, die Explosion des Staudamms sei auf eine „vorsätzliche Sabotage durch Kiew“ zurückzuführen. „Es sind das kriminelle Kiewer Regime und die westlichen Schirmherren, die es hartnäckig mit Waffen vollpumpen, die die volle Verantwortung für die sich entfaltende Tragödie tragen“, sagte Nebenzya.



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