Stahlkrise in Großbritannien: Schließung des Tata-Hochofens in Wales sorgt für Unruhe

Die bevorstehende Schließung des letzten Hochofens im Stahlwerk Port Talbot in Großbritannien durch den Tata-Konzern gefährdet Tausende Arbeitsplätze. Trotz Unterstützungszusagen wächst die Kritik an der Umstellung auf klimafreundlichere Produktionsmethoden.
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Die Stahlindustrie sei „der Lebensnerv der walisischen Gemeinden“ betont Jo Stevens, die Staatssekretärin für Wales.Foto: PetersenN/iStock
Von 18. August 2024

Nach den Krawallen infolge der Messerattacke in South Port steht die vor einem Monat ins Amt gewählte Labour-Regierung in Großbritannien vor ihrer zweiten großen Bewährungsprobe. Im nächsten Monat wird der Tata-Konzern seinen letzten Hochofen im Stahlwerk von Port Talbot in Wales schließen. Damit werden an dem traditionsreichen Standort voraussichtlich 2.800 Arbeitsplätze wegfallen.

Hintergrund ist der Umstieg auf elektrisch betriebene sogenannte Lichtbogenöfen, die im Zeichen des „Net Zero“-Ziels der Regierung mit weniger Arbeits- und Energieeinsatz auskommen. Die Entscheidung über den Schritt war bereits in der Amtszeit der konservativen Vorgängerregierung gefallen.

Labour-Regierung im Krisenmodus vor Schließung des Hochofens

Die neue britische Regierung hatte sich bereit erklärt, dem Unternehmen für die Errichtung der neuen Anlagen 500 Millionen Pfund (568,60 Millionen Euro) zur Verfügung zu stellen. Das sind etwa 40 Prozent der gesamten Errichtungskosten.

Im Gegenzug sollte Tata sich an einem mit 100 Millionen Pfund (117,36 Millionen Euro) bestückten Übergangsfonds beteiligen. Dieser soll vorerst über zehn Jahre bestehen und helfen, die Folgen des Arbeitsplatzabbaus für die Region zu bewältigen.

Das Geld sollte vorwiegend der Absicherung betroffener Arbeiter während der Zeit der Umschulung und Beschäftigung dienen. Zudem soll er helfen, alternative Investitionen zu sichern, die den wirtschaftlichen Wert der drohenden Arbeitsplatzverluste „zumindest ersetzen“ sollen.

Aber auch Unternehmen sollen davon profitieren können, die als Hauptabnehmer von Tata Steel in Schieflage geraten könnten. Labour will nun eine erste „Notfall“-Geldspritze von 13,5 Millionen Pfund (ca. 15,84 Millionen Euro) veranlassen.

Wie das Fachblatt „Chemical Engineer“ berichtet, seien dies die ersten Mittel aus dem Fonds, die das sogenannte Transition Board freigegeben hat, seit dieser vor einem Jahr eingerichtet worden war.

Labour will lokale Akteure zur Unterstützung ins Boot holen

Jo Stevens, die Staatssekretärin für Wales, betonte, die Millionen sollten „die unmittelbare Notlage beheben“, die durch die Ungewissheit über Port Talbot und dessen Zukunft entstanden sei. Stevens erklärte, es sei ihr gelungen, etwa 50 Unternehmen und Einrichtungen dafür mit ins Boot zu holen.

Zu diesen zählten FinTech Wales, RWE Energy und die Cardiff Metropolitan University. Diese hätten den betroffenen Beschäftigten Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, kostenlose Finanzberatung und Unterstützung bei der Wohnungssuche angeboten. Die Politikerin lobt die Bereitschaft der lokalen Akteure, die Veränderungen am Standort gemeinsam zu bewältigen:

„Wir machen uns die Großzügigkeit der lokalen Gemeinschaft zunutze, denn bisher haben Dutzende Arbeitgeber praktische Unterstützung für die Arbeitnehmer zugesagt.“

Die Stahlindustrie sei „der Lebensnerv der walisischen Gemeinden“. Gleiches gelte für die örtlichen Unternehmen, die selbst Unterstützung leisteten, aber auch Unterstützung benötigten. Was nun entstehe, werde „für Zulieferer und Mitarbeiter einen echten Unterschied machen“.

Staatssekretärin will Produktion von neuem Stahl noch nicht abschreiben

Kritiker werfen der Regierung vor, unter dem Banner von „Net Zero“ die Produktion von „neuem Stahl“ aus dem Land zu vertreiben. Dieser entsteht aus der Verbrennung von Kohle und dem Schmelzen von Eisenerz zur Eisengewinnung. Kaum ein Industrieland ist bislang bereit, gänzlich auf diese Form der Produktion zu verzichten.

Auch Jo Stevens erklärte gegenüber BBC, dass aus ihrer Sicht noch „alles auf dem Tisch“ liege. Man wolle so viele Arbeitsplätze wie möglich erhalten. Dass nur noch recycelter Stahl in Port Talbot hergestellt werde, sei noch keine beschlossene Sache.

Stevens erklärte gegenüber dem Sender, sie sehe trotz der Transformation noch eine Zukunft für den Standort:

„Ich möchte, dass alle Arten von Stahlprodukten im Vereinigten Königreich hergestellt werden, und ich möchte, dass so viele wie möglich hier in Wales hergestellt werden.“

Derweil hatte Tata ein Verfahren für eine freiwillige Aufhebung von Arbeitsverträgen ins Leben gerufen, das am 7. August endete. Tata Steel UK beschäftigt 8.000 Mitarbeiter, von denen etwa 4.000 in Port Talbot tätig sind.

Plaid Cymru will notfalls Verstaatlichung veranlasst sehen

Im Wahlkampf hatte es vonseiten Labours noch geheißen, dass mit Tata „ein besserer Deal möglich“ gewesen wäre. Nun hat das Kabinett die von der Vorgängerregierung ausgehandelten Bedingungen offenbar akzeptiert. Der konservative walisische Schattenminister Lord Davies of Gower begrüßte die bevorstehenden ersten Zahlungen aus dem Unterstützungsfonds.

Er nahm für die Konservative Partei in Anspruch, diese habe in Port Talbot „mit einem der größten Unterstützungspakete in der Geschichte der Stahlindustrie interveniert, um so viele Arbeitsplätze wie möglich zu retten“.

Die Regionalpartei Plaid Cymru begrüßte zwar, dass sich „die Übergangskommission bewegt, um die Arbeitnehmer zu schützen“, den Deal als solchen will sie dennoch nicht akzeptieren. Sie fordert Labour auf, noch einmal in die Offensive zu gehen – und notfalls auch eine Übertragung der Anlage an die öffentliche Hand ins Auge zu fassen.

Großbritannien vor erstem Stahlarbeiterstreik seit 1980er-Jahren

Gegenüber BBC äußerte ihr Wirtschaftssprecher Luke Fletcher, Labour solle „in den Verhandlungen mit aller Kraft für die Stahlarbeiter kämpfen und nichts unversucht lassen, um die Zukunft einer strategisch wichtigen Anlage zu sichern“. Notfalls müsse auch eine Verstaatlichung ins Auge gefasst werden. Man könne „die derzeitigen Vorschläge von Tata nicht akzeptieren“, betonte Fletcher.

Rückendeckung bekam er mit seiner Position von der Gewerkschaft Unite. Diese hatte für den Fall des Scheiterns einer Gesamtlösung mit einem Streik gedroht – es wäre der erste unter den Stahlarbeitern seit knapp 40 Jahren.

 

 



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