Staatsminister warnt EU vor Verlust der Glaubwürdigkeit in Rechtsstaatspolitik
„Wie wollen wir gegenüber den autoritären Mächten weltweit für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit eintreten, wenn es im Inneren der Europäischen Union Zweifel an der strikten Einhaltung unserer Werte gibt?“, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD).
Die EU müsse nun bei der Umsetzung des Gipfelbeschlusses zur Rechtsstaatlichkeit „sehr rasch vorankommen“, mahnte der Europa-Staatsminister. „Das auf die lange Bank zu schieben, ist keine Option.“ Der Beschluss sei „eine Riesenchance für die Verteidigung und Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der EU – nutzen wir sie!“
„Umdeutungsversuche“ der Staaten
Roth äußerte Unverständnis über die Regierungen in Polen und Ungarn, die wegen der Untergrabung von Werten wie der Pressefreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz seit Jahren in der EU am Pranger stehen – und die den Beschluss des Gipfels Mitte Juli als ihren Sieg gegen die Kritiker ausgegeben hatten.
Der Staatsminister wertete dies als „Umdeutungsversuche“: „Ich habe mich erst einmal gefragt: Was haben die gelesen? Die Interpretation der Beschlüsse ist schon erstaunlich.“
Der Gipfelbeschluss sei vielmehr ein Sieg für den Schutz der Rechtsstaatlichkeit auf EU-Ebene, sagte Roth.
Soweit waren wir noch nie: Erstmals haben sich die Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt, dass die Auszahlung von Mitteln künftig an die Achtung rechtsstaatlicher Prinzipien geknüpft ist.“
Streit um „qualifizierte Mehrheit“
Weil zahlreiche Verfahren Brüssels gegen Warschau und Budapest bislang keine Lösung brachten, hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, über den EU-Haushalt einen neuen Hebel zu schaffen. Im Beschluss des EU-Gipfels wurde festgelegt, dass die Kommission Maßnahmen wegen Verstößen vorschlagen soll, „die vom Rat mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden“.
Nötig sind dann 55 Prozent der EU-Länder mit 65 Prozent der Gesamtbevölkerung, was als schwer zu erreichen gilt. Viele Details des Mechanismus blieben unklar. Kritiker der Regierungen in Ungarn und Polen hätten sich einen weitergehenden Beschluss gewünscht.
Staatsminister Roth wies in dem AFP-Interview darauf hin, dass es „eine überwältigende Mehrheit von Regierungen und im Europäischen Parlament“ gebe, „die darauf pochen, dass wir die Gewährung von EU-Mitteln an die strikte Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit knüpfen“. Das sei auch „eine klare Erwartungshaltung unserer Bürgerinnen und Bürger“.
Das Thema bewege die Menschen, sagte Roth. „Sie empfinden es als ungerecht, dass Staaten, die massiv von der EU profitieren, auf der anderen Seite Zweifel daran lassen, dass sie die in den EU-Verträgen fest verankerten Werte auch strikt einhalten.“ (afp)
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