SIPRI: „China baut sein Atomwaffenarsenal schneller aus als jedes andere Land“
Die Atommächte investieren laut einer Studie immer höhere Summen in die Aufrüstung ihrer Nuklearwaffenarsenale. In den vergangenen fünf Jahren seien die Ausgaben um mehr als ein Drittel angestiegen, teilte die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) mit.
Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI) äußerte sich besorgt über die Modernisierung der Atomwaffen und die erhöhte Zahl der einsatzbereiten Sprengköpfe.
„Wir können von einem nuklearen Wettrüsten sprechen“, sagte ICAN-Chefin Melissa Parke. 2023 gaben die Atommächte zusammen 91 Milliarden Dollar (85 Milliarden Euro) für ihre Arsenale aus, wie es in einem Bericht des ICAN heißt.
2018 waren es demnach 68,2 Milliarden Dollar (63,7 Milliarden Euro). Im Vergleich zu 2022 stiegen die Gesamtausgaben im vergangenen Jahr laut Bericht um 10,8 Milliarden Dollar (10,1 Milliarden Euro).
China setzt fast 12 Milliarden Dollar für Atomwaffen ein
Die USA investierten laut dem ICAN-Bericht 51,9 Milliarden Dollar in ihre Atomwaffen. Washington sei auch für 80 Prozent der weltweiten Mehrausgaben im vergangenen Jahr verantwortlich.
Der zweitgrößte Investor war dem Bericht zufolge China, das 11,8 Milliarden Dollar für sein Atomwaffenarsenal ausgab. Dahinter folgt Russland mit 8,3 Milliarden Dollar. Großbritannien gab mit Investitionen von 8,1 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr im zweiten Jahr in Folge mehr für die nukleare Abschreckung aus, erklärte ICAN.
Seit 2018 gaben die neun Staaten – neben den USA, China, Russland und Großbritannien sind es Frankreich, Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea – 387 Milliarden Dollar (fast 362 Milliarden Euro) für Atomwaffen aus.
Mehr Sprengköpfe einsatzfähig gehalten
Aus dem Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI geht hervor, dass die Atommächte angesichts zahlreicher internationaler Konflikte verstärkt auf eine nukleare Abschreckung setzen.
Zwar würden ausrangierte Sprengköpfe demontiert und die weltweite Zahl der Kernwaffen sinke seit Jahrzehnten. Zugleich würden aber immer mehr Sprengköpfe einsatzfähig gehalten.
Auch die Anzahl der in der Entwicklung befindlichen Kernwaffen hat laut SIPRI zugenommen, da Staaten verstärkt auf nukleare Abschreckung setzen.
Vom weltweiten Gesamtbestand der schätzungsweise 12.121 Sprengköpfe im Januar 2024 befanden sich etwa 9.585 in militärischen Lagerbeständen für den potenziellen Einsatz. Rund 3.904 dieser Sprengköpfe waren auf Raketen und Flugzeugen bestückt – 60 mehr als im Januar 2023. Der Rest befand sich laut Bericht in Zentrallagern.
USA und Russland dominieren bei Atomwaffenbestand
Insgesamt neun Länder verfügen nach Angaben des Instituts über Atomwaffen. Spitzenreiter sind die USA und Russland. In ihren Beständen befinden sich etwa 90 Prozent aller nuklearen Sprengköpfe. Großbritannien rangiert auf dem dritten Platz gefolgt von Frankreich, China, Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel. Deutschland besitzt solche Waffen nicht.
Zusätzlich zu ihren militärischen Beständen haben Russland und die USA jeweils mehr als 1.200 Sprengköpfe, die zuvor aus dem Militärarsenal genommen wurden und nach und nach abgebaut werden.
„Während die Gesamtzahl der nuklearen Sprengköpfe weltweit weiter sinkt, da die Waffen aus der Zeit des Kalten Krieges allmählich abgebaut werden, steigt die Zahl der einsatzbereiten Nuklearsprengköpfe leider weiterhin von Jahr zu Jahr“, sagte SIPRI-Direktor Dan Smith in dem Bericht. Die Friedensforscher erwarten eine Fortsetzung und Beschleunigung des Trends, was „äußerst besorgniserregend“ sei.
China erstmals auch auf höchster Alarmbereitschaft
Etwa 2.100 der eingesetzten Sprengköpfe wurden auf ballistischen Raketen in hoher Alarmbereitschaft gehalten, hieß es. Nahezu alle diese Sprengköpfe gehörten Russland oder den USA. Erstmals soll aber auch China einige Sprengköpfe in hoher Alarmbereitschaft halten.
Das dortige allgemeine Atomwaffenarsenal stieg von 410 im Januar 2023 gezählten Sprengköpfen auf 500 im Januar 2024.
„China baut sein Atomwaffenarsenal schneller aus als jedes andere Land“, sagte SIPRI-Experte Hans Kristensen. Ausnahmslos alle nuklear bewaffneten Staaten hätten Bestrebungen, die Bestände weiter aufzustocken.
Nordkorea baut eigene Waffen
Die Anzahl nordkoreanischer Atomwaffen ist schwer einzuschätzen. Das schwedische SIPRI rechnet mit bis zu 50 Atomwaffen. Das sei ein deutlicher Anstieg zum vergangenen Jahr, wo die Menge bei 30 lag.
Zudem könne Nordkorea noch mehr produzieren: „Nordkorea hat Plutonium für den Einsatz in Atomwaffen produziert, aber es wird angenommen, dass es auch HEU [hoch angereichertes Uran] für Atomwaffen produziert“.
Nordkorea hat seit 2006 sechs Mal atomare Technologie getestet und sagt, dass seine Raketen überall auf der Welt treffen können. „Nordkoreas militärisches Atomprogramm bleibt von zentraler Bedeutung für seine nationale Sicherheitsstrategie“, so SIPRI.
Eine Rolle dabei spiele auch, dass Nordkorea und der Iran „die Raffinesse ihrer Cyberspionage-Techniken und -Operationen“ im Jahr 2023 erhöht haben.
Auswirkung auf internationale Beziehungen
Bei den Atomwaffen will sich kein Land so recht in die Karten schauen lassen. Die Transparenz in Bezug auf die Nuklearstreitkräfte der beiden führenden Länder habe nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine im Februar 2022 abgenommen, schreiben die SIPRI-Experten.
Auch in den übrigen Ländern sei die Transparenz zurückgegangen. An Bedeutung gewonnen habe hingegen die Debatte über Vereinbarungen zur gemeinsamen Nutzung von Atomwaffen.
„Wir haben seit dem Kalten Krieg nicht mehr erlebt, dass Atomwaffen eine so herausragende Rolle in den internationalen Beziehungen spielen seit dem Kalten Krieg“, sagte Wilfred Wan, Leiter des SIPRI-Programms für Massenvernichtungswaffen.
Diplomatie und Russland
Die Atomdiplomatie hat seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 mehrere Rückschläge erlitten. Staatschef Wladimir Putin hatte im Februar 2023 den Abrüstungsvertrag „New Start“ – den letzten großen atomaren Abrüstungsvertrag mit den USA – außer Kraft gesetzt.
Dieser begrenzt die Atomwaffenarsenale beider Länder und regelt Inspektionen. Auch Gespräche über ein Nachfolgeabkommen für den 2026 auslaufenden Vertrag wurden auf Eis gelegt.
Im November 2023 zog Russland seine Ratifizierung des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT) zurück und begründete dies mit einem „Ungleichgewicht“ gegenüber den USA, die den Vertrag nicht ratifiziert hatten, seit er 1996 zur Unterzeichnung aufgelegt wurde. Zuletzt kündigte Russland im Mai 2024 taktische Atomwaffenübungen nahe der ukrainischen Grenze an.
Die Wirksamkeit der UN-Waffenembargos geriet 2023 unter Druck – inmitten weit verbreiteter Vorwürfe, dass sich Russland Waffen aus Nordkorea beschafft habe, sowie der anhaltenden Ineffektivität eines Embargos gegen Libyen, so die Denkfabrik.
Außerhalb bewaffneter Konflikte gab es zudem eine Verschiebung hin zu einer stärkeren Nutzung von Cyber-Fähigkeiten für die längerfristige Informationssammlung und weg von groß angelegten oder einmaligen Operationen.
Wer ist das SIPRI? Wer das ICAN?
Das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) ist ein unabhängiges, internationales Forschungsinstitut, das sich der Erforschung von Konflikten, Rüstung, Rüstungskontrolle und Abrüstung widmet.
SIPRI wurde 1966 auf Beschluss des schwedischen Parlaments gegründet und hat seinen Sitz in Stockholm, Schweden. Es versorgt Wissenschaftler, Politiker, Medien und die Öffentlichkeit mit Daten, Analysen und Empfehlungen zu Themen der Sicherheit, Konflikten und Frieden.
Zentraler Forschungsschwerpunkt ist die quantitative Datenerhebung zum globalen Waffenhandel, staatlichen Rüstungsausgaben sowie Abrüstungsfragen. Bekannt ist SIPRI insbesondere für seine jährlichen Berichte zur Höhe globaler Rüstungsausgaben (SIPRI Yearbook). Das Institut hat etwa 50 bis 60 Mitarbeiter und wird zur Hälfte von der schwedischen Regierung finanziert.
ICAN steht für die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons). Es ist ein internationales Bündnis von NGOs, das sich für ein vollständiges und verbindliches Verbot aller Atomwaffen durch einen internationalen Vertrag einsetzt. Involviert sind über 450 Organisationen aus über 100 Ländern, die sich für nukleare Abrüstung einsetzen.
Die Kampagne hat ihren Hauptsitz in Genf, Schweiz. ICAN setzte sich maßgeblich für das Zustandekommen des UN-Vertrags über das Verbot von Atomwaffen ein, der 2017 von 122 Staaten verabschiedet wurde. (dpa/red)
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