Signal an die EU: Österreich erlaubt wieder Abschiebung nach Afghanistan

Der Verfassungsgerichtshof in Österreich hat in einem jüngst publizierten Erkenntnis (Entscheidung) Abschiebungen abgelehnter Asylsuchender nach Afghanistan in bestimmten Fällen für zulässig erklärt. Innenminister Karner will nun auf EU-Ebene Verhandlungen über ein koordiniertes Vorgehen führen.
Titelbild
Taliban-Sicherheitskräfte sitzen am 5. Mai 2024 vor einem Außenposten im Bezirk Argo in der Provinz Badakhshan.Foto: Omer Abrar/AFP via Getty Images
Von 15. Juli 2024

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.
Eine jüngst publizierte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) in Österreich hat Geschäftigkeit in der politischen Führungsebene des Landes ausgelöst. In dem am Donnerstag, 11.7., veröffentlichten Erkenntnis E 746/2024 vom 13. Juni 2024 hat das österreichische Höchstgericht Abschiebungen nach Afghanistan als nicht mehr grundsätzlich unzulässig eingestuft. Innenminister Gerhard Karner sprach von einer „richtungsweisenden“ Entscheidung und will nun auf EU-Ebene mögliche politische Konsequenzen sondieren.

Nach gescheitertem Asylantrag in der Schweiz nach Österreich zurückgekehrt

Der Verfassungsgerichtshof selbst hatte zuvor im Jahr 2021 unmittelbar unter dem Eindruck der Machtübernahme der Taliban-Milizen Abschiebungen bis auf Weiteres für unzulässig erklärt. Inzwischen hat der zuständige Senat diese pauschale Einschätzung revidiert. Weiterhin sei jedoch im Vorfeld ins Auge gefasster Abschiebungen eine konkrete Einzelfallprüfung erforderlich.

Im konkreten Fall hatte ein junger Afghane aus der paschtunischen Mehrheits-Volksgruppe, der zuletzt in Kabul lebte, nach seiner Ausreise Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Nach dessen Einreichung am 28. Oktober 2022 verließ er Österreich und stellte in der Schweiz einen Asylantrag. Die Eidgenossen überstellten ihn jedoch schon im Februar 2023 zurück ins Nachbarland. Dort wollte der Afghane nun subsidiären Schutz erlangen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies seinen Schutzantrag im Oktober 2023 ab, erklärte eine Abschiebung für zulässig und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest. Dagegen zog der Betroffene vor das Bundesverwaltungsgericht – das die Entscheidung des BFA allerdings bestätigte. Dem Verfassungsgerichtshof zufolge ist dem Gericht dabei kein Rechtsfehler unterlaufen.

VfGH: Sicherheitslage in Afghanistan nach Machtübernahme durch Taliban stabiler

Nach Auffassung des VfGH hat sich das Bundesverwaltungsgericht zu Recht an der Länderinformation der Asylagentur der EU (EUAA) orientiert. In deren Einschätzung zu Afghanistan wird davon ausgegangen, dass „in keiner Provinz Afghanistans ein solch extremes Ausmaß an Gewalt erreicht werde, dass die bloße Anwesenheit für eine ernsthafte Lebensbedrohung ausreiche“.

Das Gericht sei deshalb „in nachvollziehbarer Weise“ davon ausgegangen, dass „sich die Sicherheitslage seit der Machtübernahme durch die Taliban“ verändert habe. Und zwar in der Art und Weise, dass „eine auf das gesamte Staatsgebiet bezogene ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Beschwerdeführers als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts nicht (mehr) vorliegt“.

Auch mit Blick auf die Versorgungslage ging das Gericht nicht von einer realen Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit aus. Der Beschwerdeführer hatte diese geltend gemacht. Zwar seien einige der Regionen, in denen der Afghane zuvor seinen Lebensmittelpunkt gehabt hatte, als „krisengeschüttelt“ eingestuft.

Allerdings sei der Beschwerdeführer arbeitsfähig, habe 12 Jahre lang eine Schule besucht und verfüge über Berufserfahrung als Schreibkraft und Baumaterialienhändler. Zudem verfüge er über ein familiäres Netzwerk, dessen wirtschaftliche Situation der Betroffene selbst als gut beschrieben habe.

Österreichs Innenminister will EU-weite Standards für Abschiebungen nach Afghanistan

Der VfGH betont, dass Abschiebungen nach Afghanistan weiterhin nicht in jedem Fall zulässig seien. Im Fall eines minderjährigen Mädchens hat das Höchstgericht eine solche verhindert, da diesem dort nicht nur des Geschlechts, sondern auch der Volksgruppenzugehörigkeit wegen Verfolgung drohe. Zudem darf ein 17-jähriger Afghane nicht abgeschoben werden, dessen geflüchteter Vater vor der Machtübernahme durch die Taliban in der regulären Armee des Landes gedient habe.

Für Österreichs Innenminister Gerhard Karner reicht die Erkenntnis des VfGH jedoch aus, um einen Anlauf auf EU-Ebene zu starten. Diese sollen den Zweck verfolgen, ein einheitliches Vorgehen mit Blick auf Asylsuchende aus dem Land am Hindukusch zu vereinbaren. Zudem wies er das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BfA) an, weitere Fälle afghanischer Schutzsuchender zu überprüfen.

Debatte nach Polizistenmord in Mannheim neu entflammt

Auch in Österreich hatte der tödliche Messerangriff auf den Polizeibeamten Rouven Laur am 1. Juni in Mannheim für Aufsehen gesorgt. Inwieweit eine veränderte Rechtslage dazu beitragen könnte, Straftaten wie die Tötung des Polizeibeamten Rouven Laur zu verhindern, ist allerdings ungewiss.

In jenem Fall war der afghanische Tatverdächtige 2013 als unbegleiteter Minderjähriger nach Deutschland gekommen – was auch nach dem geltenden Verständnis der Höchstgerichte in den meisten Fällen einer Abschiebung entgegensteht. Zudem war die politische Radikalisierung des mutmaßlichen Täters von Mannheim erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten.

Selbst wenn Gerichte Abschiebungen nach Afghanistan erlauben, steht in der Praxis ein wesentliches Hindernis deren Durchführung entgegen: Die EU-Staaten haben die Taliban nicht als Regierung anerkannt und unterhalten mit diesen keine diplomatischen Beziehungen. Gleiches gilt für Syrien – auch dorthin kann regelmäßig nicht abgeschoben werden, weil es keine diplomatischen Beziehungen gibt.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion