Sicherheitsexperte: Europa braucht mehr strategische Autonomie
Im Kräftemessen der Großmächte braucht Europa nach Einschätzung des Leiters der Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker Perthes, mehr strategische Unabhängigkeit. „Wir müssen die strategische Autonomie auch deshalb vorantreiben, weil andere Spieler in der Welt keine wirklich verlässlichen Partner sind“, sagte Perthes der Nachrichtenagentur AFP vor der am Freitag beginnenden Münchner Sicherheitskonferenz.
Dabei gehe es sowohl um Europas Verhältnis zu den USA als auch zu China und Russland.
Wenn Europa ein Mehr an strategischer Autonomie erreichen will, dann muss es in der Lage sein, selbst seine eigenen Prioritäten zu setzen und muss die Mittel oder Ressourcen bereitstellen oder entwickeln“, sagte Perthes.
„Es geht nicht darum, dass man alles allein macht“, sagte der Sicherheitsexperte weiter. Es gehe eher darum, „selbst seine Partner wählen zu können und nicht gezwungen zu sein, sich auf jemanden verlassen zu müssen oder sich auf einen Partner zu verlassen, der plötzlich vielleicht nicht mehr so verlässlich ist oder es nicht sein will“, sagte der Politikwissenschaftler.
Die Europäer hätten dabei „in zwei konkreten Bereiche Nachholbedarf“: zum einen im militärischen Bereich. Perthes kritisierte, „dass wir zwar mehr Soldaten in den EU-Staaten einschließlich Großbritannien haben als die USA, aber sehr viel weniger Kampfkraft“. Unter den EU-Staaten gebe es „bei der Koordination, bei der Zusammenarbeit, bei der Interoperabilität enorme Defizite“.
Perthes warnt vor „Bedrohung unseres Wohlstand“
Der zweite „große Bereich ist die wirtschafts- und finanzpolitische strategische Autonomie“, sagte Perthes mit Blick auf den Handelsstreit zwischen den USA und China. Wenn sich die Europäer „nicht auf die eine oder andere Seite schlagen“ würden, die USA dann aber Sanktionen gegen Firmen verhängen würden, die Geschäfte mit China machen, „dann wäre das eine enorme Bedrohung unseres Wohlstands“, warnte Perthes.
„Iran ist hier sozusagen ein Testfall“, sagte Perthes. Er verwies auf die Ende Januar von Deutschland, Frankreich und Großbritannien gegründete Zweckgesellschaft zur Umgehung der US-Sanktionen gegen den Iran. Die Gesellschaft mit dem Namen Instex (Instrument in Support of Trade Exchanges, Instrument zur Unterstützung des Handelsaustausches) soll helfen, das von den USA einseitig aufgekündigte Atomabkommen mit Teheran zu erhalten. Im Aufsichtsrat der Instex sitzen unter Vorsitz eines Briten Vertreter Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens, die Mitunterzeichner des Atomabkommens sind. Andere EU-Länder sollen sich in einer zweiten Phase anschließen.
Ungeregelten, chaotischen Brexit vermeiden
Großbritannien muss laut Perthes auch nach einem Brexit „so eng wie möglich“ in die außen- und sicherheitspolitischen Prozesse der EU eingebunden sein. Er sei „fest überzeugt, dass wir Großbritannien in allen sicherheitspolitischen und möglichst auch allen außenpolitischen Fragen mit dabei haben werden“, sagte der SWP-Chef der AFP. Viele hänge vom Verlauf des Brexit ab.
Wenn wir einen chaotischen, ungeregelten Brexit habe, dann wird vermutlich auch die außen- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit darunter leiden.“
„Es macht einen großen Unterschied, ob wir die E3, also Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben, die gemeinsam in Sachen Iran und anderen Fragen einen einheitlichen politischen Kurs vertreten, oder ob es nur Deutschland und Frankreich sind“, sagte Perthes weiter. Das Gleiche gelte für europäische Interventionen oder europäische Verteidigung oder die Vertretung Europas im Sicherheitsrat. „Engste Einbindung Großbritanniens ist hier sinnvoll.“ Die politische Herausforderung sei, London „eine Stimme, aber kein Veto zu geben“. (afp)
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