Show vorbei – Realität beginnt: Harris‘ Herausforderungen auf dem Weg ins Weiße Haus
Kamala Harris hat ihre Nominierung zur Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten beim Parteitag in Chicago feierlich angenommen. „Im Namen des Volkes, im Namen aller Amerikaner, unabhängig von Partei, Ethnie, Geschlecht (…)“ nehme sie die Nominierung an, sagte die 59-Jährige in ihrer Rede zum Abschluss des viertägigen Parteitages.
Sie rief das Land auf, zusammenzukommen. „Mit dieser Wahl bietet sich unserer Nation eine wertvolle, flüchtige Chance, die Verbitterung, den Zynismus und die spaltenden Kämpfe der Vergangenheit hinter sich zu lassen.“ Ihre Landsleute hätten die Chance, einen neuen Weg nach vorn zu beschreiten, „nicht als Mitglieder einer bestimmten Partei oder Fraktion, sondern als Amerikaner“.
Zur Konjunkturpolitik sagte Harris in ihrer Rede, sie wolle in den USA ein wirtschaftliches Umfeld schaffen, in dem jeder Erfolg haben könne. „Diese Mittelklasse aufzubauen, wird ein bestimmendes Ziel meiner Präsidentschaft sein“, kündigte sie an.
Außenpolitisch sprach sie sich derweil für ein Abkommen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen aus und bekräftigte, „fest an der Seite der Ukraine“ zu stehen. Außerdem sprach sie sich für „Selbstbestimmung“ der Palästinenser aus.
Die Demokratin dankte auch ihrem Chef, US-Präsident Joe Biden, und lobte dessen Erfolge. „Deine Leistungen sind außerordentlich – die Geschichte wird es zeigen – und Dein Charakter ist eine Inspiration“, sagte sie an den 81-Jährigen gerichtet. Biden war im Juli auf Druck seiner Partei hin aus dem Präsidentschaftsrennen ausgestiegen. An seiner Stelle rückte Harris nach.
Große Show zum Abschluss
Der viertägige Parteitag endete mit einer großen Show. Die Demokratin ist auf der Bühne umringt von ihrer Familie. Es regnet Konfetti, Musik dröhnt aus Lautsprechern, Tausende Delegierte johlen und jubeln. Es ist das Ende von vier Tagen Parteitag in Chicago voller Show mit Stars und Künstlern, mit diversen Liebeserklärungen und ganz großen Emotionen, um die neue Frontfrau und Präsidentschaftskandidatin der Demokraten zu zelebrieren. Und um sie zu inszenieren als Kämpferin für das Gute, als Beschützerin der Schwachen, gar als Retterin Amerikas.
Doch das große Spektakel und der choreografierte Freudentaumel der Demokraten sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für Harris schwer werden dürfte, sich bei der Wahl im November gegen ihren republikanischen Kontrahenten Donald Trump durchzusetzen.
Die frühere First Lady, Michelle Obama, mahnte in Chicago, die Partei dürfe in ihrem Überschwang nicht zu siegesgewiss sein: „Egal, wie gut wir uns heute Abend oder morgen oder übermorgen fühlen, es wird ein harter Kampf werden.“
Das sind die größten Probleme für Harris:
Die Inhalte
Die 59-Jährige ist seit gut dreieinhalb Jahren als Vizepräsidentin Teil der Regierung von Joe Biden und steht mit in der Verantwortung für all das, was aktuell politisch nicht läuft. „Es gibt ja in der Tat ungelöste Probleme, so wie zum Beispiel die unkontrollierte Immigration“, sagt etwa der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Michael Link. Ausgerechnet für Migration – genauer: für die Bekämpfung von Fluchtursachen – war Harris in den vergangenen Jahren zuständig – und es ist ein wichtiges Wahlkampfthema, bei dem Trump seine Konkurrentin vor sich hertreibt.
Bei anderen wichtigen Themen wie Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Inflation ist die Lage zwar nicht schlecht, doch in der Stimmung der Menschen schlägt sich das nicht nieder. Auch das ist für Harris ein großes Problem. Sie müsse nun „Wege finden, inhaltlich bei den Themen Sicherheit, Migration und Lebenshaltungskosten mit glaubwürdigen Vorschlägen zu punkten“, meint Link. Ihr Paradethema im Wahlkampf wiederum hat Harris mit dem Kampf um das Recht auf Abtreibung gefunden, das sie als Frau deutlich besser vertreten kann, als Biden es je gekonnt hätte.
Die Performance
Als Staatsanwältin und Senatorin trat Harris in der Vergangenheit souverän und sicher auf. In ihre Vizepräsidentenrolle dagegen fand sie sich nie wirklich ein. Sie war in den vergangenen Jahren wenig sichtbar auf dem – zugegebenermaßen nicht ganz einfachen – Posten, konnte inhaltlich nicht punkten, machte Patzer, wirkte oft unsicher und verkrampft. Bis vor einigen Wochen galt sie noch als zusätzlicher Ballast für Biden in dessen Wahlkampf und hatte wie er mit dramatisch schlechten Beliebtheitswerten zu kämpfen.
Seitdem die Demokraten Harris als ihre neue Frontfrau auserkoren haben, hat sich ihre Beliebtheit im Land verbessert. In einigen Umfragen liegt sie nun knapp vor Trump. Allerdings hat sich Harris in den vergangenen Wochen, seitdem Biden aus dem Rennen ausgestiegen ist und sie an die Spitze katapultiert wurde, ausschließlich in einem geschützten Raum aus bis ins Detail choreografierten und inszenierten Auftritten bewegt. Keine Interviews, keine Pressekonferenzen, keine Besuche an politisch heiklen Orten, keine Bewegungen auf unbekanntem Terrain.
Die Parteitagsshow ist der vorläufige Höhepunkt dieser Inszenierung. In den kommenden Wochen wird Harris sich in Situationen beweisen müssen, die nicht komplett der Kontrolle ihres Wahlkampfteams unterliegen.
Der dritte Kandidat
Es gibt Spekulationen, dass der parteilose Präsidentschaftsbewerber Robert F. Kennedy aus dem Rennen aussteigen und Trump unterstützen könnte. Der 70-Jährige hat für den deutschen Freitagabend eine Ansprache angekündigt zum „gegenwärtigen historischen Moment“ und seinem „weiteren Weg“ – und zwar im US-Bundesstaat Arizona, wo auch Trump parallel Wahlkampf macht. Trumps Wahlkampfteam wiederum kündigte an, Trump werde bei einer Kundgebung im Anschluss einen „besonderen Gast“ mitbringen. Kennedys Vize Nicole Shanahan hatte zuletzt einen Zusammenschluss mit Trump ins Spiel gebracht.
Der Neffe des legendären Ex-Präsidenten John F. Kennedy ist bei der Präsidentenwahl zwar chancenlos – in Umfragen liegt er im Schnitt bei nur rund fünf Prozent. Da sich Harris und Trump in Umfragen aber ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, könnte sein Ausstieg Trump zugutekommen und dem Republikaner entscheidende Stimmen liefern. Sollte dieser Dämpfer unmittelbar nach der großen Krönungsmesse der Demokraten in Chicago kommen, würde es Harris auch etwas von ihrem dort gewonnen Schwung nehmen. (dpa/afp/red)
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