Hunderttausende Kinder missbraucht – Katholische Kirche in Frankreich vor dem Aus?
Nach den Enthüllungen zum Ausmaß des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen steht die katholische Kirche in Frankreich vor einer Existenzkrise. Bei den eigenen Mitgliedern muss sie um ihre Glaubwürdigkeit fürchten, ihre Stellung in der französischen Gesellschaft ist stark angeschlagen. Und sobald es um die Entschädigung der Missbrauchsopfer geht, wird die katholische Kirche, die in Frankreich ohne Kirchensteuer auskommen muss, in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten geraten.
„Wenn wir den Bericht der Untersuchungskommission nicht ernst nehmen, dann hat die Kirche in Frankreich keine Zukunft mehr“, warnt der Erzbischof von Straßburg, Luc Ravel. Erst kürzlich hat eine Umfrage gezeigt, dass Gottgläubige in Frankreich erstmals in der Minderheit sind.
Hunderttausende Opfer
Die Untersuchungskommission zum Missbrauch in der katholischen Kirche Frankreichs schätzt, dass seit 1950 etwa 216.000 Minderjährige von Priestern oder Ordensleuten sexuell missbraucht wurden. Die Zahl steigt auf 330.000 Opfer, wenn Täter mitgezählt werden, die als Laien in katholischen Einrichtungen Dienst taten.
Und die Kommission hat klare Vorstellungen, was die Kirche nun tun sollte: Zwei wichtige Forderungen betreffen die Entschädigung der Opfer und das Beichtgeheimnis. In beiden Fällen regte sich – bei aller Bestürzung und bei allem sicher ernst gemeinten Mitleid mit den Opfern – bereits Widerstand in der Kirchenführung.
Dass die Opfer finanzielle Hilfe bekommen sollen, steht außer Frage. Darauf haben sich die Bischöfe in Frankreich bereits 2018 verständigt. Derzeit ist ein Fonds von fünf Millionen Euro eingeplant. Strittig ist vor allem, wo das Geld herkommen soll. Die Kommission empfiehlt ausdrücklich, nicht die Gläubigen zur Finanzierung heranzuziehen.
Doch darauf scheint die Kirche nun doch auch zu setzen. „Ich hoffe, dass eine gewisse Zahl von Gläubigen uns helfen wird“, sagt Eric de Moulins-Beaufort, der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Ein katholischer Laienverband reagierte empört: „Der Klerikalismus hat uns an die Wand fahren lassen, und jetzt sollen es die Laien reparieren“, sagte Paule Zellitch, Vorsitzende eines französischen Laienverbandes, der Zeitschrift Mediapart.
Tiefgreifende Reform benötigt
Heikel ist auch die Frage nach dem Beichtgeheimnis. Die Kommission empfiehlt, Priestern die Anzeige mutmaßlicher Täter bei der Polizei zu ermöglichen, sollten sie während eines Beichtgesprächs von Missbrauchsfällen erfahren. Unmöglich, meint der Vorsitzende der Bischofskonferenz: „Das Beichtgeheimnis ist stärker als die Gesetze der Republik.“
Auf der nächsten Vollversammlung der französischen Bischöfe im November in Lourdes wird viel zu besprechen sein. Über die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle hinaus muss die katholische Kirche in Frankreich nach Ansicht der Kommission eine tiefgreifende Reform in Angriff nehmen. Dabei müsse es auch um eine „verkorkste Sexualmoral“ gehen, die zu dem Drama beigetragen habe.
„Sexueller Missbrauch wurde als ‚Fleischessünde‘, als Verfehlung gegen das Keuschheitsgebot für Priester betrachtet, nicht aber als Angriff auf die physische und psychische Unversehrtheit der Person“, sagt der Kommissionsvorsitzende Jean-Marc Sauvé. Das Zölibat, die Ehelosigkeit katholischer Priester, sei nicht der Grund für den Missbrauch, habe die Lage aber verschlimmert.
In den katholischen Kirchengemeinden herrscht nun große Unsicherheit, wie mit den erschreckenden Zahlen und der Vertrauenskrise umzugehen sei. „Wir sind tief bestürzt, aufgewühlt, am Boden zerstört“, schrieb ein Pariser Pfarrer per WhatsApp an seine Gemeindemitglieder und lud sie zu einer Gesprächsrunde ein. (afp/oz)
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