Selenskyj vor Entscheidung: Neues Gesetz könnte Orthodoxie in der Ukraine spalten

Am 20. August verabschiedete das ukrainische Parlament ein Gesetz, das die Beziehungen zwischen Kiew und Moskau zusätzlich belastet. Verbindungen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche zum Moskauer Patriarchat sollen gekappt werden, was massive Auswirkungen auf die Religionsfreiheit im Land haben könnte.
Ein Mann zündet in Donetsk eine Kerze an, während andere Gemeindemitglieder an dem Weihnachtsgottesdienst in einer orthodoxen Kirche teilnehmen.
Ein Mann zündet in Donezk eine Kerze an, während andere Gemeindemitglieder an dem Weihnachtsgottesdienst in einer orthodoxen Kirche teilnehmen.Foto: Alexei Alexandrov/AP/dpa
Von 21. August 2024

Am Dienstag, 20. August, hat das Parlament in der Ukraine einen Beschluss gefasst, der einen Friedensschluss zwischen Kiew und dem Kreml in noch weitere Ferne rücken könnte. Mit 265 zu 29 Stimmen bei vier Enthaltungen hat die Werchowna Rada ein Gesetz beschlossen, das die Behörden zu einem Verbot von Gemeinden der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) des Moskauer Patriarchats ermächtigt.

Präsident Wolodymyr Selenskyj muss das Gesetz noch unterzeichnen. An seiner Zustimmung bestehen jedoch keine Zweifel. Der Präsident sprach mit Blick auf das Gesetz selbst bereits von einem „Schritt in die spirituelle Unabhängigkeit“.

Nach wie vor mehrere Tausend Gemeinden der UOK in der Ukraine

Wie die ungarische Zeitung „Oroszhirek“ erklärt, wird das Gesetz 30 Tage nach seiner Unterzeichnung und Kundmachung in Kraft treten. Ein unmittelbares Verbot der Aktivitäten der Moskau zugeordneten UOK ist damit noch nicht verbunden. Allerdings wird deren Gemeinden eine Frist von neun Monaten gesetzt, um alle Verbindungen zur Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) abzubrechen, deren Tätigkeit auf ukrainischem Territorium untersagt ist.

Sollten die Gemeinden diesem Ultimatum nicht nachkommen, haben Behörden und am Ende Gerichte die Möglichkeit, diese aufzulösen. Die UOK des Moskauer Patriarchats, der nach wie vor eine höhere vierstellige Zahl an Gemeinden im Land mit mehr als einer Million Gläubigen angehört, wird von diesem als kanonisch anerkannt.

Während der Abgeordnete Roman Losynskyj aus der Nationalistenhochburg Lwiw von der „Zerschlagung eines Agentennetzes des Kremls“ spricht, nennt Russland das Vorgehen gegen die Glaubensgemeinschaft „illegal“. In russischen Medien wird der Schritt als ein weiterer Beweis für eine „nazistische“ Ausrichtung der Regierung in der Ukraine betrachtet – und damit als Rechtfertigung für den seit Februar 2022 laufenden Krieg.

„Ukrainisierung“ der Orthodoxie seit 2014 ein politisches Projekt

Seit dem Staatsstreich von 2014 haben die neuen politischen Autoritäten in Kiew die „Ukrainisierung“ der Orthodoxie des multiethnischen und multireligiösen Landes aktiv vorangetrieben. Ziel war eine vollständige Loslösung der größten christlichen Denomination von russischem Einfluss.

Dabei war die religiöse Landschaft auch innerhalb der Orthodoxie in der Ukraine seit jeher uneinheitlich. Einer Erhebung des Institute for Religious Freedom (IRF) aus dem Jahr 2010 gehörten 54,6 Prozent der ukrainischen Bevölkerung einer orthodoxen Kirche an.

Diese teilten sich auf in drei Zusammenschlüsse: Insgesamt 36,9 Prozent waren der UOK des Moskauer Patriarchats zuzuordnen, 13,3 Prozent der UOK des Kiewer Patriarchats und 3,8 Prozent der „Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche“. Diese hatte zu diesem Zeitpunkt lediglich in den westukrainischen Oblasten Lwiw und Ternopil Anteile von mehr als zehn Prozent.

Die Daten aus dem Jahr 2010 sind insofern von besonderem Interesse, als zum damaligen Zeitpunkt die Krim und Teile des Donbass noch nicht unter russischer Kontrolle standen.

Nationalistische Mobs sollen Kirchen in Besitz genommen haben

Seit den Maidan-Protesten klagten Gemeinden der UOK des Moskauer Patriarchats zunehmend darüber, von radikalnationalistischen Mobs heimgesucht zu werden. In einigen Fällen hätten diese Gemeindehäuser in Besitz genommen und fortan für Kiew-loyale orthodoxe Kirchen beansprucht. Behörden und Gerichte hätten diese Aneignungsprozesse regelmäßig nicht unterbunden.

Im Dezember 2018 setzte die Regierung in Kiew unter Federführung von Präsident Petro Poroschenko die Gründung der „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ (OKU) durch. Diese entstand durch die Vereinigung der dem Kiewer Patriarchat unterstehenden Ukrainisch-Orthodoxen Kirche mit der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche.

Bereits im Oktober 2023 verabschiedete die Werchowna Rada in erster Lesung einen Gesetzentwurf zum Verbot der UOK des Moskauer Patriarchats. Wie auch die nunmehrige Endfassung des Gesetzes wurde der Schritt mit der Verbindung der Gemeinden zum russischen Patriarchat begründet. Kyrill, der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche, hatte den russischen Einmarsch in der Ukraine, der im Februar 2022 begonnen hatte, für gerechtfertigt erklärt.

Ukraine rief 2018 neue orthodoxe Nationalkirche ins Leben

Die Betroffenen waren jedoch bereits vor Beginn der russischen Invasion Schikanen und Angriffen ausgesetzt. Behörden entzogen ihnen in vielen Teilen des Landes das Recht, Grundstücke zu pachten. Gewaltsame Kirchenbesetzungen und Angriffe auf Priester häuften sich in mehreren Landesteilen.

Nach Angaben des Sicherheitsdienstes der Ukraine wurden bis November 2023 siebzig Strafverfahren gegen Geistliche der UOK eingeleitet. Bis dato endeten 19 davon mit Verurteilungen wegen Hochverrats und anderer ihnen zur Last gelegter Delikte. Den Verurteilten wurde auch die Staatsbürgerschaft entzogen. Das Orthodoxe Patriarchat von Konstantinopel hatte unterdessen 2019 der OKU den Status der Autokephalie (Eigenständigkeit) verliehen.

Der am Dienstag verabschiedete Gesetzentwurf verbietet der Russisch-Orthodoxen Kirche den Zugang zum ukrainischen Territorium. Eine Regierungskommission soll eine Liste ihrer angeblichen „Tochtergesellschaften“, gegen die Verbotsverfahren geplant sind, erstellen. Betroffen sind vor allem Gemeinden der UOK des Moskauer Patriarchats.

Gesetz enthält Passus zum „Schutz eingeführter Riten“

Die Führung in Kiew beschuldigt die betroffenen Gemeinden, „Aufwiegelung“ und „russische Propaganda“ betrieben zu haben. Vorwürfen einer Verletzung der Religionsfreiheit setzt man entgegen, dass das Gesetz einen Passus enthalte, der diese respektiere. So heißt es darin, dass „nichts in dem Gesetz so ausgelegt werden sollte, dass es die Religionsfreiheit, die Religionsausübung oder das Recht auf die Einhaltung eingeführter Riten einschränkt“.

Der Sondergesandte des russischen Außenministeriums für Religionsfreiheit, Gennadi Ascaldowitsch, erklärte hingegen am Dienstag:

„Das Selenskyj-Regime hat seinen diktatorischen Charakter bekräftigt, seine Bereitschaft, das Heiligste zu verraten und die Religion von Millionen von Mitbürgern für seine eigenen politischen Zwecke zu entweihen.“

Kritiker hatten bereits 2018 die staatlich forcierte Etablierung der OKU auf Kosten der UOK des Moskauer Patriarchats beanstandet. Einige fühlten sich an ein historisches Vorbild aus dem Jahr 1957 erinnert. Damals rief das KP-Regime in China die „Chinesische Katholisch-Patriotische Vereinigung“ ins Leben. Deren Ziel war es, den Einfluss des Vatikans auf Katholiken im kommunistischen Machtbereich zu minimieren.

 

 



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